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STANDPUNKT/105: Papst Franziskus nimmt Verurteilungen gegen Ernesto Cardenal zurück (Gerhard Feldbauer)


Papst Franziskus nimmt Verurteilungen gegen Ernesto Cardenal zurück

Dem Priester war eine marxistische Haltung und sein Ministeramt in der Regierung Ortega vorgeworfen worden

von Gerhard Feldbauer, 23. Februar 2019


Laut Medienberichten, darunter die Katholische Nachrichtenagentur KNA, das Nachrichtenportal Vatican News und die staatliche italienische ANSA, hat Papst Franziskus die Verurteilung Ernesto Cardenals zurückgenommen. Der nicaraguanische Priester und Schriftsteller, ein führender Vertreter der Befreiungstheologie, hatte in den 70er Jahren die sandinistische Befreiungsbewegung im Kampf gegen die Somoza-Diktatur unterstützt und nach deren Sturz in der Regierung Daniel Ortegas das Amt des Kulturministers inne. 1983 war er von dem polnischen Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Managua in demütigender Weise aufgefordert worden, sein Ministeramt niederzulegen. Als Cardenal, der obendrein als Marxist beschuldigt wurde, sich weigerte, erteilte ihm der Papst 1984 Berufsverbot. Der Bruder Ernestos, Pater Fernando Cardenal SJ, der Erziehungsminister war, wurde aus dem Jesuiten-Orden ausgeschlossen.

Ernesto Cardenal wurde für seinen Beitrag zur Weltliteratur und für sein Engagement für den kulturellen Austausch zwischen Nicaragua und Deutschland von der Bergischen Universität Wuppertal die Ehrendoktorwürde verliehen. Zu weiteren Ehrungen seines literarischen Werkes gehört der 1980 verliehene Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.


Foto: Dontworry [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Ernesto Cardenal am 10. Oktober 2012 in der Katharinenkirche in Frankfurt am Main
Foto: Dontworry [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Der 94jährige Ernesto Cardenal liegt derzeit an einer Niereninfektion schwer erkrankt im Krankenhaus [1], wo ihn der Nuntius (Botschafter des Vatikans) in Nicaragua, der polnische Erzbischof Stanislaw Waldemar Sommertag, die Botschaft überbrachte. Als nächster besuchte ihn der Weihbischof von Managua, Silvio José Báez Ortega, der direkt einem "Wunsch" aus Rom gefolgt sei. Er habe vor Cardenals Krankenbett niedergekniet und den "Abtrünnigen" um seinen "priesterlichen Segen" gebeten. Die Visite habe, wie in der Verlautbarung des Vatikans betont wurde, dem "Priester-Poeten" gegolten. Während Cardenal in Nicaragua vorgeworfen wird, mit der Kritik am Regierungskurs Ortegas 2009 rechte Positionen zu beziehen, habe er sich laut ANSA vom Marxismus und seiner revolutionären Vergangenheit nicht distanziert. Der Schritt erfolge, obwohl "die katholische Kirche vom Regime verfolgt" wird. Wie El Pais schrieb, hatte Cardenal jedoch die Wahl Franziskus' begrüßt und geäußert: "Ich identifiziere mich mit dem neuen Papst. Er ist besser, als wir ihn uns hätten erträumen können." Es habe außerdem, so die spanische Zeitschrift, vorher ein Briefwechsel zwischen Franziskus und Cardenal stattgefunden.

So wie Ernesto Cardenal wurden von dem Wojtyla-Papst Hunderte Befreiungstheologen wegen ihres sozialen Einsatzes für die Armen und Unterdrückten verfolgt, gemaßregelt, wenn sie sich verweigerten. Ihnen wurde jeder Einfluss entzogen, sie wurden aus ihren Ämtern entfernt und auch regelrechten neuzeitlichen Inquisitionsprozessen unterworfen. Allein in Frankreich wurden 157 Geistliche gemaßregelt. Aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden hatten 163 Professoren gegen die Entmündigung der Lokalkirchen und weitere Bevormundungen durch Rom protestiert. Wojtylas Chef der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat in den 24 Jahren seiner Zeit als Großinquisitor, wie der frühere Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Hubertus Mynarek, in dem Buch von Richard Corell und Ronald Koch "Papst ohne Heiligenschein" (Frankfurt/Main 2006) einschätzte, 150 Theologen nach einem Inquisitionsprozess verurteilt.

Zu ihnen gehörten namhafte Theologen wie der Brasilianer Leonardo Boff und der mexikanische Erzbischof Helder Camara. Dem US-amerikanischen Theologie-Professor Charles Curran wurde die Lehrerlaubnis entzogen und er wurde 1987 entlassen. Er hatte die Enzyklika "Humanae vitae" (wegen der Ablehnung der Verhütung im Volksmund Pillenenzyklika genannt) kritisiert, die Sexualethik als überholt erklärt, Homosexualität, voreheliche sexuelle Beziehungen gebilligt und war für die Ehescheidung und Wiederverheiratung danach eingetreten. Sein Kardinalverbrechen aber bestand darin, dass er ablehnte, dass der Papst bzw. der Vorsitzende der Glaubenskongregation zu all diesen Fragen das alleinige und absolute Entscheidungsrecht hätten.

Die Liste der in demütigender Weise Gemaßregelten ist lang. Darunter befinden sich der Erzbischof von Seattle, Raymund Hunthausen, der niederländische Theologe Edward Schillebeeckx, der Bischof von Rochester (USA), Matthew Clark, der Redemptoristenpater und Theologieprofessor, Bernhard Häring, der Religionswissenschaftler Professor Jacques Dupuis SJ der Universität Gregoriana, die US-amerikanischen Priester Sr. Jeannine Gramick und P. Robert Nugent, die US-amerikanische Benediktinerin Sr. Joan Chittister, der Bischof Eugène Rixen von Goiás, der Jesuitenpater Paul Valadier, der Schweizer Franziskaner und Dozent Josef Imbach, der spanische Redemptorist Marciano Vidal, der australische Theologe Paul Collins, der Theologe aus Sri Lanka Tissa Balasuriya, der Bischof von Évreux (Frankreich), Jacques Gaillot.

Die Maßregelungen wurden damit begründet, dass das katholische Kirchenrecht Priestern die Ausübung politischer Ämter untersagt. In einem Schreiben vom 29. Juni 1982 an die Bischöfe von Nicaragua verurteilte Johannes Paul II. ihre "Volkskirche" und ihr Bekenntnis zur Theologie der Befreiung. Gleichzeitig hatte die Kurie nie etwas dagegen einzuwenden, dass Mitglieder ihres klerikalfaschistischen Opus Dei (Werk Gottes) der Regierung des Franco-Regimes angehörten oder unter Pinochet in Chile Minister waren. Im Gegenteil, während eine protestierende Menge Wojtyla bei einem Besuch in Santiago aufforderte, "maledice l'Assasino" (verfluche den Mörder), segnete er öffentlich Pinochet und seine Regierung (Rosella Lotti "Der weißgetünchte Fürst", La Contradizione Nr. 108, Juni 2005).

Wenn Franziskus jetzt zum wiederholten Male Befreiungstheologen rehabilitiert, ist zu sehen, dass er bei der Bewältigung der tiefen Krise der katholischen Kirche versucht, in Lateinamerika, wo die Hälfte der Katholiken der Welt lebt, verlorenen Einfluss zurückzugewinnen. Von der unter seinen Vorgängern betriebenen unerbittlichen Verfolgung ihrer Anhänger, vom Festhalten an den Doktrinen von der Unantastbarkeit der Ehe, über Homosexualität, Frauenpriestertum, Zölibat oder welchen Fragen der klerikalen Moral und Ethik es auch immer geht, hat er nicht die geringsten Abstriche gemacht. Die gegenwärtig in Rom veranstaltete sogenannte "Kinderkonferenz", die sich mit den verbrecherischen Mißbrauchsskandalen befassen muss, bestätigt das erneut besonders deutlich. Franziskus hebt im Gegenteil immer wieder sein vorbildliches Verhältnis zu dem 2013 zum Rücktritt veranlassten Benedikt VI. hervor. Wie der Ratzinger-Papst, der Wojtyla im Mai 2011 seligsprach, hatte auch Franziskus keine Skrupel, den Polen im April 2014 im Schnellverfahren heilig zu sprechen.

Neben der Verfolgung von Kritikern wurden unzählige reaktionäre und faschistische Kleriker selig- und heilig gesprochen, wie 1992 der so geheiligte Begründer des Opus Dei Josemaria Escrivá de Balaguer y Albás. Dieser erzreaktionäre Kleriker hatte öffentlich Gläubige als einen "Eimer für Abfälle", als "schmutzigen, herabgefallenen Staub", einen "Haufen Unrat" genannt. Zum Dank erhielt Ratzinger den Doktor Honoris causa der Opus-Dei-Universität von Navarra in Pamplona und wurde Mitglied ihres Lehrkörpers. Nach seiner Wahl zum Papst berief er Dutzende Opus-Dei-Mitlieder in höchste Ämter des Vatikans, wo sie noch heute unter Franziskus sitzen. Drei Monate nach seinem Amtsantritt ließ er am Petersdom in Rom eine fünf Meter hohe Marmorskulptur Balaguers anbringen, die er bei der Einweihung persönlich segnete. Der Faschistenfreund gehört damit zu den 150 Heiligen, deren Konterfeis die Außenseite des Petersdoms zieren. 2007 sprach er im Block gleich 498 Kreuzritter Francos selig, die ihn bei der Niederschlagung der Volksfrontregierung im Bürgerkrieg, in dem über eine Million Menschen umgebracht wurden, aktiv unterstützt hatten.


[1] Anmerkung der SB-Redaktion:
Medienberichten zufolge soll sich Ernesto Cardenal auf dem Weg der Besserung befinden. Er sei wohlauf und habe aus dem Krankenhaus entlassen werden können.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2019

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