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INTERNATIONAL/112: Baum der Würde - Oliven sind für Palästinenser mehr als ein Auskommen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2012

Nahost: Baum der Würde - Oliven sind für Palästinenser mehr als ein Auskommen

von Jillian Kestler-D'Amours


Palästinensische Kinder auf Olivenbaum in Deir Istiya im Westjordanland - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Palästinensische Kinder auf Olivenbaum in Deir Istiya im Westjordanland
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Salem, Westjordanland, 30. Oktober (IPS) - Vier Tage lang war das Tor in diesem Jahr geöffnet. Nur so viel Zeit stand den Bewohnern von Salem im Westjordanland zur Verfügung, um ihre Olivenernte einzubringen. Das Tor, das die Zufahrt zu einem 920 Hektar großen Areal der Gemeinde versperrt, wird nur zu zwei Gelegenheiten geöffnet, wie Adley Shteyeh vom örtlichen Lokalkomitee berichtet.

Das Gebiet liegt östlich von Salem. Doch in diesen Teil kommen seine Besitzer nur mit einer Sondergenehmigung der israelischen Militärbehörden. Dürfen sie passieren, müssen sie erst noch an einer israelischen Siedlung vorbei, bevor sie ihren Olivenhain erreichen. "Für gewöhnlich benötigen wir für die Arbeit zehn Tage", erzählt Shteyeh. Um ihn herum herrscht emsiges Treiben. Die Dorfbewohner schneiden den Olivenbäumen einzelne Äste ab, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich alle Oliven erwischen.

In der dritten Oktoberwoche hatten zwei palästinensische Bauern versucht, die Straße mit einem Traktor zu überqueren, um an das Grundstück heranzukommen. Doch wurden sie kurz darauf von einem israelischen Armeejeep gestoppt. Wenige Augenblicke später waren zwei weitere Fahrzeuge des israelischen Militärs zur Stelle.

Die mehr als zehn Soldaten hielten mehrere Palästinenser und internationale Unterstützer unter dem Vorwand fest, palästinensische Jugendliche hätten benachbarte Siedler mit Steinen beworfen. Nach eineinhalb Stunden durfte die Gruppe gehen, und den Bauern wurde der Zugang zu ihrem Olivenhain erlaubt.


Bauern schikaniert

"Wenn jemand versucht, diese Straße ohne vorherige Absprache zu überqueren, wird er entweder von den Siedlern oder israelischen Soldaten misshandelt oder belästigt", erläutert Shteyeh. "Auch kommt es vor, dass Siedler unsere Olivenhaine betreten und zerstören und auch die Menschen in unserem Dorf misshandeln."

Nach Angaben des Büros für humanitäre Hilfe in den Palästinensergebieten (UN-OCHA) gibt es im Westjordanland 73 Tore, die die Palästinenser von ihrem Land trennen. Sie werden nur für eine begrenzte Zeit geöffnet, um seinen Eigentümern die Möglichkeit zu geben, ihre Oliven-Ernte einzubringen. Schätzungen von UN-OCHA zufolge haben israelische Siedler seit Oktober etwa 1.000 Olivenbäume von Palästinensern im Westjordanland zerstört.

Der Vandalismus wirkt sich negativ auf die Olivenölproduktion in den besetzten Gebieten aus, die 14 Prozent der Agrareinnahmen der Region ausmachen und 80.000 palästinensischen Familien ein Einkommen bieten. "Jeder Verlust, der auf die Gewalt von Siedlern zurückzuführen ist, und die fortgesetzten Zugangsbeschränkungen wirken sich negativ auf die lokale Wirtschaft aus", betont der UN-OCHA-Chef Ramesh Rajasingham in einer E-Mail an IPS.


Vom Selbstversorger zum Hilfsempfänger

"Das Traurige daran ist, dass in vielen dieser Fälle Familien, die sich zuvor selbst versorgen konnten, plötzlich zu Hilfsempfängern werden. Diese Abhängigkeit ist für die Betroffenen ein Angriff auf ihre Würde. Dabei wäre eine solche Situation vermeidbar", unterstreicht Rajasingham.

Die Olivenernte ist für die Palästinenser mehr als nur eine Einnahmequelle. "Unser Leben ist eng mit den Olivenbäumen verknüpft", sagt der Bauer Jamal Abu Hijji. Der 48-jährige Vater und seine Brüder haben mit ihren Frauen und Kindern die Olivenernte in Deir Istiya, einem Dorf in Nablus, eingeholt. Die Familie kletterte auf die Bäume und fuhr mit Plastikrechen durch die Zweige, um die Oliven auf die unter den Bäumen aufgeschlagenen Plastikplanen zu bugsieren.

Wie Abu Hijji erklärt, ist er in der Olivenerntezeit in der Regel einen ganzen Monat lang von morgens sechs bis nachmittags um vier Uhr auf seinem Feld, um die insgesamt 300 Olivenbäume abzuernten. Hinzu kommt die Arbeit an einer lokalen Olivenpresse, die zum Einkommen der Familie beiträgt.

Das Ergebnis ist zu bescheiden, um davon leben zu können. Und doch ist es für uns, die wir hier leben und das Land unserer Väter und Großväter bewirtschaften, wichtig", sagt er. "Nicht nur der materielle, auch der moralische Wert ist entscheidend. Als Palästinenser will ich mein Land schützen." (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/dignity-grows-on-olive-trees/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2012