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INTERNATIONAL/146: Pakistan - Gewalt gegen Christen, Stadtteile auf teurem Baugrund verwüstet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. April 2013

Pakistan: Gewalt gegen Christen - Stadtteile auf teurem Baugrund verwüstet

von Irfan Ahmed


Bild: © Irfan Ahmed/IPS

Muslime attackieren ein Christenviertel in Lahore
Bild: © Irfan Ahmed/IPS

Lahore, 29. April (IPS) - Younas Gill, ein Steuerberater, blickt auf die Stelle, an der noch bis vor einem Monat sein Haus in dem von Christen bewohnten Viertel Joseph Colony in der zweitgrößten pakistanischen Stadt Lahore stand. Am 9. Mai brannte das Gebäude vollständig ab, nachdem eine Gruppe von etwa 3.000 Muslimen in dem Viertel gewütet hatte. Mehr als 150 Familien wurden vertrieben.

Gill und seine Angehörigen sind nun auf Unterstützung durch die Regierung und Wohlfahrtsverbände angewiesen. Am 22. April erhielt jede Familie von der Diözese der christlichen Kirche in Pakistan einen Kühlschrank, Ventilatoren, einen Herd, ein Fahrrad und ein Bügeleisen. "Die Provinzregierung hat uns beim Wiederaufbau unseres Hauses geholfen, und Hilfsorganisationen unterstützen die Bevölkerung seit der Tragödie", sagt Gill.

Obwohl wieder eine gewisse Normalität in Joseph Colony eingekehrt ist, leben die Menschen in Angst. Die Einwohner fürchteten Repressalien von Seiten der Brandstifter, die gegen Kaution freigelassen wurden, berichtet Gill. Sie seien wieder zurück auf den Straßen, einige von ihnen "mit Rachegelüsten".

Die Beispiele von Gill und seinen Nachbarn zeigen, wie prekär die Lage der rund 2,8 Millionen pakistanischen Christen ist. In dem südasiatischen Land mit insgesamt 170 Millionen Menschen sind sie nur eine winzige Minderheit. Sie bekommen die Härte der so genannten 'Blasphemie-Gesetze' zu spüren, die für die Diffamierung des islamischen Propheten Mohammed die Todesstrafe und für Verunglimpfungen des Korans lebenslange Haftstrafen vorsehen.

Neue Vorschriften, die zwischen 1980 und 1986 während der Amtszeit des früheren Staatspräsidenten Zia-ul-Haq erlassen wurden, gestatten eine breite Auslegung des Gesetzes. Zwischen 1986 und 2013 sind 1.100 Fälle von Blasphemie gerichtlich verhandelt worden.


Muslime der Anstachelung zur Gewalt beschuldigt

Eine erhebliche Zahl von Klagen richte sich gegen Christen, sagt Peter Jacob, Sekretär der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NCPJ), der von der Katholischen Bischofskonferenz in Pakistan gebildet wurde. Laut Jacob sind die Vorwürfe oft manipuliert. Islamische Geistliche versuchten auf diese Weise, die Bevölkerung zu Angriffen gegen Christen anzustacheln.

Das Viertel Joseph Colony, das sich über eine Fläche von etwa 1,2 Hektar erstreckt, geriet in die Schusslinie, als der Einwohner Sawan Masi beschuldigt wurde, "anstößige" Bemerkungen über den Propheten Mohammed gemacht zu haben. Nach Angaben von Christen, die in dem Stadtteil leben, wurden sie zunächst von der Polizei "zu ihrer eigenen Sicherheit" aufgefordert, das Viertel zu verlassen. Bei ihrer Rückkehr am folgenden Tag fanden sie ihre Häuser niedergebrannt vor.

Nach und nach stellte sich heraus, dass die Polizei mit dem Angriff auf das Viertel gerechnet, ihn aber nicht verhindert hatte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu ähnlichen Attacken. Nur wenige Stunden nachdem Polizeichef Badmi Bagh allen Pakistanern Schutz und Sicherheit versprochen hatte, griff eine gewalttätige Menge die christliche Siedlung Francis Abad in der im Nordosten gelegenen Stadt Gujranwala an.

Die Ausschreitungen begannen nach einem Streit zwischen muslimischen Geistlichen und einem jungen Christen. Der Mann hatte angeblich laute Musik vor einer Moschee abgespielt. Die Polizei verhinderte die darauffolgenden Handgreiflichkeiten zwischen den beiden Gemeinschaften nicht. Haroon Suleman, ein Anwalt aus Lahore, weiß von zahlreichen Klagen gegen Christen, die darauf abzielten, sich deren hochwertige Grundstücke anzueignen.


Immobilienpreise in christlichen Siedlungen gestiegen

Viele Christen, die vor Jahrzehnten als Hilfsarbeiter in die Städte kamen, ließen sich auf ungenutztem Land nieder. Als die pakistanischen Städte größer wurden und Firmen im Umkreis dieser Siedlungen entstanden, stiegen die Grundstückspreise stark an. Mafiagruppen wurden rasch auf dieses Geschäftsfeld aufmerksam. Rund 4.000 Quadratmeter in Joseph Colony kosten inzwischen 2,4 Millionen US-Dollar, da sich das Gebiet in der Nähe eines gutgehenden Großhandels für Stahlschrott befindet.

In der Regel läuft es so ab, dass zunächst Mittelsmänner mit den Einwohnern über Entschädigungen verhandeln. "Wenn sich die Menschen weigern, das Angebot anzunehmen und ihre Häuser zu verlassen, werden Gewalt und Einschüchterung als Taktik eingesetzt, um zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen", berichtet Suleman.

Die politische Führung des Landes ist sich des Problems sehr wohl bewusst, bleibt aber weitgehend untätig, um Racheakte seitens extremistischer Religionsgruppen zu verhindern. Nicht eine der großen Parteien Pakistans ist bisher auf dieses Problem im Vorfeld der Wahlen am 11. Mai eingegangen. Denn diejenigen, die ihre Stimme erheben, zahlen oft einen hohen Preis.

Der ehemalige Gouverneur von Punjab, Salman Taseer wurde im Januar 2011 von seinem Leibwächter erschossen, weil er einer wegen Blasphemie verurteilten Frau geholfen hatte. Shahbaz Bhatti, ein christlicher Führer und Minister für Minderheiten, wurden im selben Jahr getötet, weil er sich offen gegen den Missbrauch der Blasphemie-Gesetze ausgesprochen hatte.

Mit Blick auf die baldigen Wahlen kritisieren die Christen, dass sie im Parlament nicht vertreten sein werden. Führende Minderheitsparteien fordern inzwischen einen Boykott des Urnengangs. In der Nationalversammlung mit 272 gewählten Mitgliedern sind zwar zehn Sitze für Vertreter von Minderheiten reserviert. Unter dem derzeitigen System stimmten Christen und Angehörige anderer Minderheiten jedoch für muslimische Kandidaten. (Ende/IPS/ck/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2013