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INTERNATIONAL/167: Pakistan - Unter Terrorismusverdacht, tausende Menschen von Militär verschleppt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2013

Pakistan: Unter Terrorismusverdacht - Tausende Menschen von Militär verschleppt

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Lokaler Führer in Peschawar ruft zur Mäßigung auf
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 3. September (IPS) - Wegen seiner angeblichen Beteiligung an einem versuchten Mordanschlag auf den damaligen pakistanischen Staatspräsidenten General Pervez Musharraf 2003 wurde Adnan Khan vor zwei Jahren gemeinsam mit sieben Mitangeklagten unter zweifelhaften Umständen von einem Militärgericht verurteilt.

"Mein Bruder ist kein Terrorist. Er wurde 2004 von Sicherheitskräften festgenommen, die behaupteten, er stehe in Verbindung mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda und den Taliban", sagt Abdul Qadoos, der in Khyber, einem der sieben Verwaltungsbezirke der pakistanischen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) lebt.

Erst nach Jahren gelang es den Verwandten herauszufinden, wo Khan festgenommen wurde. "Im Februar 2005 reichten wir eine Habeas-Corpus-Petition beim Hohen Gericht in Peschawar ein. Die Sicherheitskräfte stritten jedoch ab, dass er in ihrem Gewahrsam war. Der Fall wurde dann zu den Akten gelegt."

Nachdem die Familie des 20-Jährigen aber im Juni jenes Jahres eine weitere Petition eingereicht habe, sei ihr bekannt geworden, dass Adnan vor ein Kriegsgericht gestellt worden sei, berichtet der Bruder. "In solchen Fällen gibt es keine Gerechtigkeit. Meinem Mandanten ist vor dem Militärgericht kein fairer Prozess gemacht worden", erklärt Khans Strafverteidiger Habibur Rehman Afridi.


Welle von Festnahmen nach 9/11

Andere Familien haben nie wieder etwas von ihren insgesamt 8.000 vermissten Angehörigen gehört. Nach Angaben des Juristen Arif Jan, der 60 Fälle von Verschleppungen untersucht, wurden in Pakistan kurz nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington zahlreiche Menschen von den Geheimdiensten festgenommen. Die meisten stammten aus den FATA, der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa sowie aus Belutschistan und Sindh. "In einem Großteil der Fälle stritten die Geheimdienste ab, dass sie Vermisste in ihrem Gewahrsam hatten. Später kam jedoch die Wahrheit heraus", sagt Jan.

Amina Janjuas Ehemann Masood wird seit dem 30. Juli 2005 vermisst. Sie gründete daraufhin die Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte in Pakistan (DHRP), die eine Kampagne gegen Verschleppungen vorantreibt. "Wir haben bisher 4.000 Fälle von Personen, die wir wiederfinden wollen, vor Gericht gebracht", erläutert die Mutter von drei Kindern. 1.700 Vermisste stammen demnach aus Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und den FATA. "Mein Mann hatte niemals etwas mit Al Qaeda und den Taliban zu tun", betont sie.

Die Aktivistin geht davon aus, dass viele Verschleppte in von den USA verwalteten Gefangenenlagern in Bagram oder Herat im Westen des Nachbarlandes Afghanistan festgehalten werden. "Schwestern, Mütter, Töchter, Väter, Söhne und Brüder sind in Sorge und leiden. Wir hoffen, dass der neue pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif entschlossene Schritte einleiten wird, um die von den Sicherheitskräften geschaffenen geheimen Folterkammern zu schließen", sagt sie. "Mögen alle Vermissten gerettet werden."

Laut der Pakistanischen Menschenrechtskommission sind die meisten illegal Festgenommenen nationalistischen Parteien in Sindh und in Belutschistan zuzuordnen. Es handele sich um überzeugte politische Gegner der ehemaligen Militärregierung von Musharraf.

Afia Siddiqui, der die USA Verbindungen zu Al Qaeda vorwerfen, wurde 2003 verschleppt. Später fand man heraus, dass auch sie von den US-Streitkräften festgehalten wurde. Das Oberste Gericht Pakistans, das Hohe Gericht von Lahore und das Hohe Gericht in Peshawar haben bis jetzt erreicht, dass etwa 2.000 Menschen aus dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte entlassen wurden.

Es gibt keine Hinweise, ob die weiterhin Vermissten noch am Leben sind. So berichtete der Jurist Farhatullah Khan, dass der Mann einer Mandantin, Shaukat Ali, und ihr Schwager Sardar Ali im August 2010 in Khyber Pakhtunkhwa verschwunden seien. Wenige Wochen später sei Sardar Alis Leiche gefunden worden, während Shaukat Ali weiterhin vermisst werde.


Verschleppte von Armee an USA 'verkauft'

Im September 2007 erklärte die Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International', dass pakistanische Geheimdienstbeamte Menschen entführten, obwohl es für deren Verbindungen zu Al Qaeda kaum oder gar keine Beweise gebe. Sie würden dann an die USA 'verkauft'. Im Januar dieses Jahres erklärte der Parlamentsausschuss für nationale Sicherheit, dass eine Festnahme immer im Einklang mit Artikel 10 der Verfassung stehen müsse, der die Befugnisse der Geheimdienste regelt. Festgenommene müssen demnach binnen 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden.

Amina Janjua ist sich aber sicher, dass sich das Vorgehen der Geheimdienste nicht geändert hat. Im September vergangenen Jahres begrüßte eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen, die sich mit Fällen von Verschwindenlassen befasst, den "erklärten Willen der pakistanischen Regierung, dieses Problem anzugehen". Dennoch liege weiterhin viel im Argen.

Die Regierung informierte Anfang des Jahres das Hohe Gericht in Peschawar darüber, dass mehr als 400 Terrorverdächtige, die während einer Offensive in Swat 2009 festgenommen wurden, in sieben Haftzentren interniert sind. Ihre Familien dürften sie dort besuchen.

Javid Iqbal, der Vorsitzende der von der Regierung eingesetzten Kommission, die sich mit Verschwundenen befasst, bezifferte die Gesamtzahl der in Pakistan vermissten Personen mit derzeit 460. Amina Janjua hält diese Angabe aber für entschieden zu niedrig. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.dhrpk.org/
http://hrcp-web.org/hrcpweb/
http://www.ipsnews.net/2013/08/thousands-missing-in-pakistan/

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IPS-Tagesdienst vom 3. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2013