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INTERNATIONAL/191: DR Kongo - Militärische Nutzung von Schulen nimmt Kindern Recht auf Bildung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2015

DR Kongo: Militärische Nutzung von Schulen nimmt Kindern Recht auf Bildung

Ein Gastbeitrag von Bede Sheppard *


Bild: © Ken Wiegand (USAID), via Wikimedia Commons

Grundschüler in der Demokratischen Republik Kongo
Bild: © Ken Wiegand (USAID), via Wikimedia Commons

NEW YORK (IPS) - Erst waren die Kinder in der Grundschule von Kiata in der Demokratischen Republik überrascht, als sie Soldaten am Fuß des Berges erblickten. Ihr Erstaunen wich bald Verwirrung und dann blankem Entsetzen, als sie merkten, dass die Truppen auf ihre Schule zuliefen. Aus Angst vor den Bewaffneten flohen die Schüler in alle Richtungen.

Die Kinder, die nicht rechtzeitig entkommen konnten, wurden von den Soldaten geschlagen und dazu gezwungen, in der Schule ein provisorisches Militärlager einzurichten. Sie mussten Wasser holen, von nahegelegenen Bauernhöfen Essen stehlen und die Tische in den Klassen zu Brennholz zerhacken. Als einer der gefangenen Jungen nicht gehorchen wollte, schlitzte ihm ein Soldat mit einem Messer den Arm auf. Sobald sich ältere Mädchen gegen die Zudringlichkeiten der Uniformierten zur Wehr setzten, zerrissen die Männer ihre Kleider, wie ein Schüler einem Kollegen von mir erzählte.

Die Besetzung der Grundschule von Kiata Ende 2012 wird in einem neu erschienenen Bericht von 'Human Rights Watch' beschrieben, der die Zweckentfremdung von Schulen durch die kongolesische Arme und mehrere bewaffnete Gruppen in den Konfliktgebieten des Landes dokumentiert. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass bewaffnete Männer in Schulen für viele Kinder im Kongo, die gern etwas lernen wollen, ein viel zu vertrauter Anblick sind.


Klassenzimmer zu Brennholz zerhackt

Wenn Kämpfer eine Schule einnehmen, nutzen sie manchmal nur einige Klassenzimmer oder den Schulhof. In anderen Fällen verwandeln sie die gesamte Schule in eine Militärbasis, Unterkünfte oder ein Übungsgelände. Wie die in Kiata festgehaltenen Kinder erzählten, geraten Schüler und Lehrer in solchen Fällen in Gefahr, zwangsrekrutiert zu werden. Sie müssen dann ohne Bezahlung arbeiten, werden verprügelt und sexuell missbraucht.

Die militärische Nutzung von Schulen beschädigt und zerstört zudem die Bildungsinfrastruktur, die ohnehin unzureichend und von schlechter Qualität ist. Kämpfer, die Schulen besetzen, verbrennen oft die Holzwände der Gebäude, Tische, Stühle und Bücher, um zu kochen und zu heizen. Blechdächer und andere Materialien werden gestohlen und zur persönlichen Bereicherung verkauft. Darüber hinaus werden Schulen, die Militär beherbergen, zu Zielscheiben für feindliche Angriffe.

Auch nach dem Abzug der Truppen sind die Gefahren nicht gebannt. Manchmal werden Waffen und nicht verwendete Munition zurückgelassen. Einmal besuchte ich eine Schule, die vorher zeitweise ein Militärlager war. Die Besatzer hatten unbenutzte Munition in die Latrinen geworfen, bevor sie weggingen. Erst nach sieben Monaten war die Munition von Minenentschärfern restlos beseitigt worden.

Nicht nur im Kongo, sondern auch in den meisten anderen Ländern, in denen bewaffnete Konflikte im Gang sind, werden Schulen zu militärischen Zwecken genutzt. In ganz Afrika, von Côte d'Ivoire über Libyen, Mali, Nigeria, Somalia, Sudan und Südsudan bis hin zum Tschad, und zur Zentralafrikanischen Republik, hat die Besetzung von Schulen durch bewaffnete Kräfte Kinder daran gehindert, in einer sicheren Umgebung lernen zu können.


Auch Friedenssoldaten besetzen Schulen

Selbst Soldaten, die von der Afrikanischen Union zu Friedenseinsätzen entsandt wurden, haben Bildungseinrichtungen in der Zentralafrikanischen Republik und in Somalia als Stützpunkte genutzt. Dies ist eine besonders besorgniserregende Entwicklung.

Doch es gibt auch Hoffnung. In diesem Jahr hat sich eine Gruppe von Staaten in aller Welt dazu verpflichtet, Schüler, Lehrer und Schulen während bewaffneter Konflikte besser zu schützen. Die 'Safe Schools Declaration' enthält eine Übereinkunft, die sicherstellen soll, dass schon bei der Ausbildung von Soldaten die Notwendigkeit betont wird, Schulen vor einer militärischen Nutzung zu bewahren.

49 Länder haben sich bereits dieser Initiative angeschlossen. Zu den ersten Unterstützern gehören 13 afrikanische Staaten, in denen in der jüngeren Vergangenheit Schulen von Truppen zweckentfremdet worden waren.


Aufruf an kongolesische Regierung

Um sicherzustellen, dass Kinder für das Leben lernen können, statt ihr Leben durch Flucht zu retten, sollte die kongolesische Regierung von der Nutzung von Schulen zu militärischen Zwecken absehen. Wenn sich alle Nationen Afrikas der 'Safe Schools Declaration' anschlössen, würde erstmals ein ganzer Kontinent gemeinsam dieses Ziel verfolgen.

Würde die Afrikanische Union die Richtlinien für die Friedenstruppen überprüfen und, wie es die UN-Abteilung für Friedenseinsätze bereits 2012 getan hat, allen Infanteriebataillonen die Nutzung von Schulen verbieten, könnten afrikanische Kinder in größerer Sicherheit leben und wären nicht für ihr Leben gezeichnet.

Ein zehnjähriger Junge, den wir in unserem Bericht Amani nennen, wurde in der Grundschule in Kiata sechs Tage lang festgehalten. Als wir ihn trafen, zeigte er uns eine Narbe an seiner Nase. Die Soldaten, die seine Schule besetzten, hatten ihn gezwungen, Schultische kleinzuhacken. Bei der Arbeit bohrte sich ein Holzsplitter in sein Gesicht. Als Amani endlich nach Hause zurückkehren durfte, fragten seine Eltern, ob ihn die Soldaten geschlagen hätten. Als er ihnen erzählte, was passiert war, sagten sie: "Du musst verstehen, Kind, dass dies das Leben ist."

Wenn aber der Kongo und andere Länder auf dem Kontinent ihre Armee von Schulen fernhalten würden, könnte das Leben der Kinder anders sein. (Ende/IPS/ck/30.10.2015)

* Bede Sheppard ist stellvertretende Direktorin für Kinderrechte bei Human Rights Watch.


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/10/opinion-when-schools-become-barracks-children-suffer/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2015

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