afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2016
Kenny Motsamai: Keine Haftentlassung ohne Freiheit
In Südafrika sitzen heute noch schwarze politische Gefangene in Haft
von Sabelo Sibanda
Etliche Kämpfer der APLA, des bewaffneten Arms des Pan Africanist Congress (PAC), sind in den 1980er Jahren vom Apartheidregime verhaftet und verurteilt worden. Die ANC-Regierung verweigert ihnen den politischen Status und sieht sie als gewöhnliche Kriminelle. Der frühere APLA-Kämpfer Kenny Motsamai besteht darauf, ein politischer Gefangener zu sein. Eine von der Regierung angebotene Freilassung unter harten Auflagen lehnt er ab, für ihn kommt nur die bedingungslose Entlassung aus dem Gefängnis in Frage. Über 80 Prozent seiner Haftzeit verbrachte er in den Händen derjenigen, denen er zur Macht verhalf, nachdem das Apartheidregime die politischen Ämter verlassen hat.
Motsamai betont, er sei ein politischer Gefangener, der während der
Apartheid verhaftet und verurteilt wurde - einem System, das die
Vereinten Nationen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstuften
und sanktionierten. Kenny Doshane Motsamai, Mitglied der Azania
People's Liberation Army, auch M-Afrika genannt, ist seit 27 Jahren
inhaftiert, weil er gegen das Apartheidregime gekämpft hatte. Die
Apartheidjustiz hatte ihn zu zweifacher lebenslanger Haft und weiteren
19 Jahren Gefängnis verurteilt.
Die absurde Entscheidung, ihn nur unter Auflagen aus dem Gefängnis zu entlassen, ist kaum nachvollziehbar. Er muss zwar nun nicht mehr die meiste Zeit des Tages in einer Gefängniszelle verbringen, doch ihm wird die Freiheit verweigert. Denn er darf das Gefängnisgelände nur temporär und unter Aufsicht verlassen. Zu den Bedingungen zählen: Elektronische Überwachung rund um die Uhr; tägliche Meldepflicht; Erlaubnis zum Verlassen des Gefängnisgeländes nur an Werktagen zum Besuch einer festgelegten Adresse. Mitarbeiter der Gefängnisbehörde können dort jederzeit unangemeldet zu Besuch kommen; Abstinenz von Drogen und Alkohol; keine Aufnahme von Krediten; keine Interviews mit Medienvertretern; Pflicht zur Berichterstattung gegenüber dem Gefängnisleiter. Wenn außergewöhnliche Gründe ihn davon abhalten, zum Gefängnis in der vorgegebenen Zeit zurückzukehren, besteht eine Meldepflicht beim nächsten Gefängnis. Der Amtsgerichtsbezirk Boksburg darf nicht ohne schriftliche Erlaubnis der Gefängnisleitung verlassen werden. Es dürfen keine unerlaubten Gegenstände in das Gefängnis gebracht werden. Verstöße werden geahndet. Die an Konditionen gebundene Freilassung kann auch ganz aufgehoben werden.
Weil M-Afrika Kenny von diesen Bedingungen total enttäuscht war, schrieb er einen Brief an Justiz- und Strafvollzugsminister Martin Masutha:
Sehr geehrter Herr Minister,
ich wende mich an Sie wegen meiner beabsichtigten, an Bedingungen
gebundenen Freilassung. Wie Sie wissen, verbüße ich derzeit zwei
lebenslange Haftstrafen und 19 Jahre Haft im Boksburg-Gefängnis,
Gauteng. Die grundlegenden Fakten sind: Ich wurde verhaftet, angeklagt
und verurteilt unter Bezug auf folgende Vorwürfe: 1. bewaffneter Raub,
2. Mord, 3. illegaler Waffenbesitz, 4. illegaler Munitionsbesitz.
Während meines Prozesses 1989 entschied ich mich gegen eine Verteidigung auf der Basis politischer Motive. Ich wollte meine Mitkämpfer und die Azanian People's Liberation Army (APLA) nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich fürchtete, sensible Informationen könnten aufgedeckt werden. Angesichts des damaligen militarisierten Staates war es also nicht möglich, mich angemessen zu verteidigen, ohne dass militärisch und politisch sensible Informationen öffentlich geworden wären. Solche Informationen hätten mir aber nicht genützt, im Gegenteil - sie hätten mich noch mehr belastet und andere Kämpfer sowie die Bewegung insgesamt in Probleme gebracht. Ich weigerte mich, das Gericht und dessen Vertreter als legitim anzuerkennen. Ich brachte deshalb keine Beweise zu meiner Verteidigung vor.
Ich war und bin der festen Überzeugung: Das Apartheidregime und seine Institutionen waren illegitim, sie repräsentierten nur die Kolonisierung Afrikas durch "illegitime Siedler". Es ist bekannt, dass die Apartheidjustiz und das ganze Apartheidsystem rassistisch und keineswegs fair waren. Da ich mich weigerte, diese Justiz anzuerkennen, wurde mir kein fairer Prozess gemacht. Ich wurde wie ein normaler Krimineller verurteilt, obwohl ich aus Überzeugung tatsächlich ein politischer Gefangener war, vor allem weil die Vereinten Nationen schon 1973 unter Bezug auf die Internationale Konvention zur Abschaffung und Bestrafung der Apartheid diese als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt hatten. Dennoch wurde ich für schuldig befunden und wegen der genannten Straftaten verurteilt. Diese Taten waren aber politisch motiviert.
Nun wende ich mich an Sie wegen meiner an Konditionen gebundenen zeitweiligen Entlassung.
Zunächst wertschätze ich die Bemühungen diesbezüglich, doch es gibt einige wichtige Punkte, die für Ihre Überlegungen und Entscheidung zu berücksichtigen sind: Da ich tatsächlich aus politischen Gründen verhaftet wurde und meine politische Organisation über die Jahre hinweg meine Mitgliedschaft und meine Operationen bestätigt hat, sollte ich wie ein politischer Gefangener behandelt werden und nicht wie ein Krimineller. Ich sollte bedingungslos entlassen werden. Die politische Natur meines Falls ist folgende:
Es ist bekannt, dass drastische Maßnahmen getroffen wurden, um auf das Apartheidregime zu reagieren und seine unterdrückerische, diskriminierende, unmenschliche, entwürdigende und genozidale Herrschaft zu beenden. Zu diesen drastischen Maßnahmen gehörte die Eliminierung von jedem, der als Feind identifiziert wurde. Bekanntlich verfügten die Befreiungsbewegungen über wenige Ressourcen, sie waren auf Unterstützer angewiesen. Wenn diese fehlten, war es wegen der Apartheidgesetze nahezu unmöglich, den Kampf zu finanzieren. Andere Mittel und Wege wurden gesucht, um die unterdrückten Menschen zu befreien. Dazu zählte die Finanzierung des Kampfes mit Methoden, die normalerweise als kriminell galten: Diebstahl, Überfälle auf Autos und bewaffneter Raub.
Alle Dokumente der Azanian People's Liberation Army (APLA) und des Pan Africanist Congress of Azania (PAC), die den zuständigen Gremien, dem Case Management Komitee und dem Parole Board, übergeben wurden, bestätigen zweifellos, dass ich tatsächlich offiziell für APLA operierte. Es ist unstrittig, dass APLA eine Guerillaorganisation unter dem PAC war, so wie der African National Congress seinen bewaffneten Arm Umkhonto we Sizwe hatte. Zudem ist unstrittig, der PAC war wie der ANC aktiv in den Kampf gegen das Apartheidregime involviert und bezog sich dabei auf das Menschenrecht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Bevölkerung.
Das widersprüchliche an meinem Fall ist: Ich war über 26 Jahre inhaftiert, davon fünf Jahre unter dem illegitimen und illegalen Apartheidregime und die anderen 21 Jahre unter der verfassungsrechtlich verankerten Demokratie, für die ich mein Leben gegeben habe, aber unter den gleichen Bedingungen und dem gleichen Urteil.
Das demokratische System hat das Urteil einfach übernommen, ohne es zu hinterfragen oder anzuzweifeln. Als die Apartheid 1994 abgeschafft wurde, trotzte es jeglicher Logik, dass ein Freiheitskämpfer wie ich, dem das Apartheidregime die Freiheit geraubt hatte, am 27.4.1994, also am Freiheitstag, ohne Freiheit in einer Gefängniszelle saß. Obwohl ich fast vier Jahre in einem Apartheidgefängnis eingesperrt war, hat das meinen Geist nicht gebrochen. Ich setzte meine Verweigerung fort, das Regime anzuerkennen. Inspiriert vom Verlangen, den Kampf gegen die Apartheid am Ende mitzuverfolgen, brach ich 1993 aus dem Gefängnis aus. Ich schloss mich erneut den APLA-Kräften an, die in Südafrika operierten, und wurde 1994 wieder verhaftet.
Obwohl ich ein politischer Gefangener bin, habe ich mich an Programmen beteiligt, die einen positiven Beitrag für die Sicherheit der Inhaftierten leisten. Ich half, Programme gegen Bandenkriminalität in der Haft zu entwickeln, die von Prinzipien und Werten des Ubuntu - des respektvollen Zusammenlebens - und der Einheit aller Afrikaner inspiriert waren. Die Tatsache, dass ich eine bedingungslose Entlassung beantrage, heißt nicht, dass ich gleichzeitig die volle Begnadigung durch den Präsidenten unter Bezug auf die südafrikanische Verfassung einfordere. Gemäß der politischen Natur meiner Angelegenheit behalte ich mir vor, solch einen Antrag in Zukunft zu stellen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Wenn ich hingegen aufgefordert wurde, eine Haftentlassung mit Auflagen zu akzeptieren, unterscheidet sich das nicht vom Apartheidregime, das Freiheit für politische Gefangene anbot, wenn man dem Freiheitskampf entsagte. Nun soll ich meinen Status als politischer Gefangener aufgeben und den Status als Krimineller akzeptieren. Minister Masutha, daher erflehe ich höflich Ihre Autorität und Klugheit. Bitte geben Sie mir Freiheit ohne Auflagen, so dass der Freiheitstag wie für andere Südafrikaner auch für mich eine andere Bedeutung erhält.
Hochachtungsvoll, Kenny Motsamai
Der Autor ist Jurist und war jahrelang in der Menschenrechtsarbeit
tätig. Die ausführliche engtische Textversion erschien in Pambazuka
News issue 760, 3.2.2016
www.pambazuka.org
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2016, S. 18-19
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2016
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