Die Rolle, die der russische Schachmeister Michael Tschigorin für die Entwicklung der modernen Schachstrategie spielte, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In einer Zeit, wo die beklemmenden Theoreme eines Siegbert Tarrasch der freien Entfaltung der Geisteskräfte das Wasser abzugraben drohten, war es dem Freisinn Tschigorins zu verdanken, daß eine Kontroverse überhaupt belebt und aufrechterhalten werden konnte. Tarrasch hatte wie alle starren Denker hinsichtlich des Positionsspiels eine geradezu erdrückende Dogmatik aufgestellt, nach der beispielsweise beengte Stellungen den Keim der Niederlage in sich trügen. Hergeleitet hatte Tarrasch diese Behauptung wohl aus seinem Verständnis von den offenen Spielen. Die Möglichkeit, daß Spannkräfte sich anders als im Beherrschen von viel Raum zeigen könnten, hatte der deutsche Lehrmeister nicht einmal in Erwägung gezogen. Anders Tschigorin, für den strategische Vorteile sich nicht reduzieren ließen auf eine Arithmetik der Felderkontrollen. Tschigorin dazu: "Nicht jede beengte Lage ist ein Anzeichen der Überlegenheit der gegnerischen Partei." Wer weiß, vielleicht wäre die Pirc-Ufimzew-Verteidigung 1.e2- e4 d7-d6 ohne den russischen Vordenker nie ersonnen worden. Im heutigen Rätsel der Sphinx bewies der holländische Großmeister Jan Timman jedenfalls, wieviel Gift und Tücke in derartigen Stellungen stecken kann. Nach 1.f2-f4 entlud sich die schwarze Position in einer siegreichen Kombination, Wanderer.
Sigurjonsson - Timman
Wijk aan Zee 1980
Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Die schwarze Dame zog 1...Dc4-a2! und band damit die weißen Kräfte. Nach 2.c2-c3 Le6-c4 3.Dd3-c2 Lc4-b3 4.Td2-d8+ Lc5-f8! ließ sich der Qualitätsverlust nicht mehr verhindern. In dieser Stellung ohne vernünftige Gegenchancen gab Weiß sogleich auf.
Erstveröffentlichung am 22. März 2001
09. Juli 2013