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SCHACH-SPHINX/05034: Fessel für tausend Nacken (SB)


1946 veranstalteten die UdSSR und Großbritannien einen Radiowettkampf. Die beiden alliierten Verbündeten des 2. Weltkrieges unterstrichen damals auf sportlichem Wege, wie Frieden denkbar wäre. Aber die Vision und Utopie hielt nicht lange an. Der Streit der Völker und ihrer Herrschenden kehrte rasch zum altgewohnten Gang zurück. Für mehr als 40 Jahre sollten wieder die Waffen aufeinander gerichtet sein. Und erst, als im Lager der Sowjets ein besonnener Kopf den Kreml befehligte, nämlich Michail Gorbatschow, bröckelte die Front der Ablehnung, öffnete sich eine Lücke im Eisernen Vorhang und in der starren Haltung der Amerikaner. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hatte in seinem "Zarathustra" den Konflikt der Menschen auf seine Wurzeln gebracht. Hören wir ihn selbst: "Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit ... Was da macht, das es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn zu Grauen und Neide: das gilt ihm als das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller Dinge ... Werte legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten. Er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschensinn! Darum nennt er sich 'Mensch', das ist: der Schätzende. Durch das Schätzen erst gibt es Wert; und ohne das Schätzen wäre die Nuß des Daseins hohl." Natürlich ist es nichtig, Schach zu spielen per Radiowelle. Natürlich ist es nichtig, sich einander zu nähern. Der Gegensatz beherrscht das Feld, machen wir uns da nichts vor. "Sagt, wer wirft diesem Tier die Fessel über die tausend Nacken?" so fragte Nietzsche, und er ging noch einen Schritt weiter auf dem Weg zur Überwindung dieser Schwierigkeit, indem er den menschlichen Wahn durchlöcherte: "Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Nur die Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel. Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt es da nicht auch - sie selber noch?" Beim Radiowettkampf errang der englische Meister Gerald Abrahams gegen den Russen Ragosin seinen größten Karriereerfolg, er gewann mit 1,5:0,5. Etwas anderes jedoch war noch größer als dieses kleine, private, wahnumschleierte Ziel. Kannst du es erraten, Wanderer? Spiele Schach und löse das heutige Rätsel der Sphinx: Es geht um die Fessel und Beseitigung des allesvernichtenden Gegensatzes. In seiner Partie gegen seinen Landsmann Fish gelang Abrahams jedenfalls mit den schwarzen Steinen ein Prachtsieg; aber wie gering wäre dieser Nutzen, stünde er nicht in einem anderen Licht!



SCHACH-SPHINX/05034: Fessel für tausend Nacken (SB)

Fish - Abrahams
England 1929

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der Zug 1.Dd4-c4! legte die Schwäche der schwarzen Grundreihe offen und sicherte den Sieg. Der Turm auf c8 war angegriffen, aber er durfte die Grundreihe nicht verlassen wegen 2.Tf7-f8+ Kg8-g7 3.Tf1-f7+ Kg7-h6 4.Tf8-h8# Gleichzeitig drohte auch noch das Abzugsschach 2.Tf7-f8+ Angesichts der vielen, nicht abzuwehrenden Drohungen gab sich Meister Nüssle daher sofort geschlagen.


Erstveröffentlichung am 06. Juni 2001

28. Februar 2014





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