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SCHACH-SPHINX/05523: Mystifikationen des Schönen (SB)


Umhütet wie ein dunkles Geheimnis liegt in der Seele des Menschen sein ästhetisches Ein- und Tuchfühlen mit allen Erscheinungen des Lebens. Alle Versuche, diesen Kern wesenhafter Charakteristik greifbar zu machen, sind kläglich gescheitert. Zwar hat sich die Philosophie dank ihres elementaren Wahrheitsprinzips darum bemüht, die Geschichte der Menschlichkeit über den Begriff Ästhetik adaptierbar zu machen. Sie blieb jedoch an vielen Ästen hängen und konnte zuletzt nur konstatieren, was auch in der Psychologie zur gang und gäben Prämisse erhoben wurde, nämlich daß das Empfinden für Schönheit in direkter Abhängigkeit steht zur individuellen Sicht jedes einzelnen. Tiefere Einsichten hat man darüber dankeswerterweise nicht gefunden. Schon Goethe hatte sich in Unfähigkeit einer näheren Begriffserläuterung zu der simplen Erkenntnis aufgeschwungen, daß alle Menschen das Menschliche leben. So ist die Frage, was Schönsinn im Schach bedeutet, weiterhin ein Mysterium. Es kann unmöglich gesagt werden, warum der eine bei einem Damenmanöver wie aus dem Häuschen gerät, während ein anderer dabei nur die Achseln zuckt, bei einem simplen Bauernzug sich jedoch vom Atem des Göttlichen umhaucht fühlt. Die Mystifikationen des Schönen sind, wie immer schon gewesen, des Lebens ureigenes Dunkelfeld. Menschen lieben, hassen, neiden, weinen, klagen, sind vor Freude außer mich, vor Trauer maßlos stumm. Ein jeder sucht sich seine Art des Empfindens auf ganz eigentümliche Weise, und des Verstands bedarf es nicht. So entscheidet jeder Geist für sich, was er im heutigen Rätsel der Sphinx für sich sieht. Auf der Seniorenweltmeisterschaft von Bad Liebenzell spielte der Kasache Boris Katalimow eine stürmische Siegespartie gegen seinen Kontrahenten Stoliar. Nach welchem Zug konnte Weiß sich ein Siegeslächeln nicht verkneifen, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05523: Mystifikationen des Schönen (SB)

Katalimow - Stoliar
Bad Liebenzell 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Statt des feigen Läuferrückzugs hätte Auer mit 1.Lg5-f6! Gewinnchancen reklamieren können. 1...Df5xf6 bliebe wegen 2.Dc5xc8+ völlig chancenlos für Anand, aber auch nach 1...Df5xc5 2.Lf6xg7+ Kh8xg7 3.h7- h8D+ hätte der indische Großmeister ans Aufgeben denken müssen. Ganz und gar verderblich wäre 1...b2-b1D gewesen wegen des simplen Matts 2.Dc5-f8#


Erstveröffentlichung am 23. Juli 2002

02. Juli 2015


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