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SCHACH-SPHINX/05530: Schuldige Etikette (SB)


Manche Schachspieler kommen aus dem Schwatzen nicht heraus. Wie ein Uhrwerk schnattern ihre Lippen dann, und da es unhöflich wäre, sich einfach, wie man's am liebsten machen würde, die Ohren zuzuhalten, meiden manche Gemüter das Nahschach und verlegen sich aufs Fernschach. Endlich hat man seine friedvolle Ruhe, glaubt man, aber da schreibt einem plötzlich ein Fernschachler einen ellenlangen Brief mit allen Details seines Lebens und Werdegangs. Und wieder befindet man sich in der Not des Anstands und darf es im Antwortbrief nicht an der schuldigen Etikette fehlen lassen. Hat man noch darauf spekuliert, daß mit dem eitlen Vorstellen alles zu einem gemütlichen Ende käme, so sieht man sich Tage später aller Hoffnungen brutal beraubt: Der Schlemihl hat seine literarische Ader entdeckt und schreibt und schwärmt, philosophiert gar frech über Wesen und Zweck des still beschaulichen Spiels. Zudringlich wird jedes Wort, penetrant die Feder, die sich zeilenfüllend über die ungeklärten Abgründe der Gedanken erhebt. Was tun? Einfach die Partie aufgeben? Das verhindert jedoch der eigene Stolz! Man will ja nicht nachstehen, schließlich ist Schach eine umfassende Kunst. Also noch einmal: zu jedem Zug einen Haufen Worte zusammenreimen. Die Lage wird verquer, aus dem Schach- wird ein Schnatterspiel. Am Ende der Verdrossenheit ein sechsfach angekündigtes Matt. Ob man noch eine Partie außerhalb der Reihe spielen möchte? fragt der andere nach. Die Antwort folgt prompt wie ein Keulenschlag: Leider gehe dies nicht, man hätte umdisponiert und statt des Königlichen Spiels seine Leidenschaft fürs Kreuzworträtsel entdeckt. Vergessen wir bei alledem nicht das heutige Rätsel der Sphinx. Weiß zog ohne Worte und Schwarz gab wenig später leichenblaß auf. Oder anders gesagt: Alexej Drejew attackierte den schwarzen Königsflügel mit einer hübschen Opferkombination und sein Kontrahent Nick De Firmian hatte bloß das resignierte Nachsehen. Alles klar, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05530: Schuldige Etikette (SB)

Drejew - De Firmian
Biel 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Mit dem Bauernopfer 1.d4-d5! hatte Waldimir Kramnik auf Linienöffnung gespielt. Das Ganze ging nun jedoch erst richtig los, und so folgte nach 1...e6xd5 sogleich das Figurenopfer 2.Df3-f5! Meister Ehlvest ließ sich auf den Hexentanz ein, doch der Besen fehlte ihm dafür, so ging sein König denn auch nach 2...d5xe4 3.0-0-0 Tc8-c7 4.Le2-g4 La6- b5 5.Df5xe4+ Ke8-d8 6.Lg4xd7 Lb5xd7 7.Th1-e1 Lf8-h6 8.De4-a8+ Tc7-c8 9.Td1xd7+! Kd8xd7 10.Da8-d5+ fluchbeladen unter.


Erstveröffentlichung am 29. Juli 2002

09. Juli 2015


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