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SCHACH-SPHINX/05531: Keine Skandale mehr (SB)


Man hörte es, doch wollte es nicht glauben, was Viktor Kortschnoj Ende der 80er Jahre über sich und sein Schachspiel sagte: "Ich habe nie gelernt, pragmatisch-nüchtern zu spielen, zum Beispiel in Zeitnot eine sichere, Zeit gewinnende Zugwiederholung einzuflechten; wenn ich's könnte und wollte, wäre Karpow hier mein Lehrmeister." Das wiederum nahm man ihm mit Sicherheit nicht ab, von Karpow irgend etwas anderes hören zu wollen, als die drei netten Worte: Ich gebe auf. Die Schachkiebitze hinwiederum hatten viel Spaß mit diesem ulkigen Gespann, das sich bei Wettkämpfen unter den Tischen Fußtritte verpaßte mit grimmigen Gesichtern voller Unerbittlichkeit. Solche Clownerien sind selten geworden. Das heutige Schachvolk ist im großen und ganzen zur Bravheit zurückgekehrt. Nun gut, wenn Gata Kamski im Duett mit Vater Rustam die eine oder andere Beschwerde-Arie anbringt, hört man gern nostalgisch zu. Garry Kasparow dagegen war schon immer ein Entertainer des guten Geschmacks gewesen, und so gut wie nie fiel er aus der Rolle. Selbst wenn er sich ärgerte, hatte dies noch etwas von weltmännischer Bonität. Ein richtiger Vorzeige-Weltmeister von der Sohle bis zum Scheitel. Die Skandalküche serviert seit langem nur noch Biedermannskost. Irgendwo muß doch eine Intrige im Kokon heranwachsen, ein böses Wort auf der Lauer liegen oder ein Blick sich mit Gift vollsaugen. Einen richtigen Fehltritt leistete sich dagegen im heutigen Rätsel der Sphinx der schreckliche Kortschnoj selbst. Einen kurzen Augenblick paßte er nicht auf, und schon stahl sich statt des Sturmes ein milder Frühlingsregen aufs Brett. Beim skandalträchtigen Weltmeisterschaftskampf 1978 gegen Karpow zog Kortschnoj in der Diagrammstellung ärgerlicherweise 1.Lg6-e4+ und verpatzte die gute Stellung. Was hätte er statt dessen spielen müssen, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05531: Keine Skandale mehr (SB)

Kortschnoj - Karpow
Philippinen 1978

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Eine Zahnbehandlung hätte Nick De Firmian kaum größere Schmerzen verursachen können als die Niederlage durch die Opferkombination seines Kontrahenten Alexej Drejew, der mit 1.Sg5xf7! auf den Nerv seiner Stellung stieß: 1...Kg8xf7 2.Dd2xh6 Se8-g7 3.Le4xg6+ Kf7-g8 4.Te1-e6 Lb7xd5 5.Te6xd6 Ld5xc4 6.Td6xd8+ Ta8xd8 7.Dh6-h4 und es war alles ausgestanden. Nicht besser wären die Abzweigungen 5...Dd8-e7 6.Td6xd5 Sf6xd5 7.Dh6-h7+ oder 4...Sg7xe6 5.d5xe6 nebst 6.Lg6-f7+ gewesen.


Erstveröffentlichung am 30. Juli 2002

10. Juli 2015


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