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SCHACH-SPHINX/05555: Endspiel-Lehrgeld (SB)


Alexander Kotow schrieb einmal zum Problem der 'einfachen Stellungen', also der Endspiele: "Einfache Stellungen richtig zu behandeln, setzt große Erfahrung voraus. Hier gibt es viele spezifische Feinheiten, Drohungen fallen nicht gleich ins Auge, die Folgen eines Angriffs sind nicht so nachhaltig wie sonst im Mittelspiel. Aber gerade das verlangt eine exakte Variantenberechnung, das Aufspüren überraschender Manöver, raffinierter taktischer Schläge. In einfachen Stellungen offenbaren sich gewissermaßen die Fertigkeiten eines Schachspielers in der Endspielführung, während er zugleich seine Angreiferqualitäten unter Beweis stellen muß." Für Garry Kasparow, der es zu Beginn seiner beinah beispiellosen Karriere gewohnt war, seine Partien mit Stürmen und Blitzen auszutragen, bedeutete das Bewältigen insbesondere der Endspiellehre eine echte Filigranarbeit, als er später auf höherer Ebene auf starke Gegner traf, die er eben nicht so einfach im Mittelspiel niederringen konnte. Lehrgeld mußte er vielfach zahlen für die versäumten Stunden über der Endspielliteratur. Ein kombinatorisch geschulter Verstand mag das Mittelspiel wie ein offenes Buch lesen, das Endspiel offenbart sich ihm deswegen mit seinen Geheimnissen nicht automatisch. So konnte es sich der russische Fernschachweltmeister Jakow Estrin auch erlauben, Kasparow in seinen wilden Drangjahren ein wenig auf die Schippe zu nehmen: "Kasparow versteht nichts vom Endspiel. Das braucht er allerdings auch nicht, er gewinnt immer schon vorher." Nun, damals in Tilburg 1981 bei seiner Partie gegen den Ex- Weltmeister Tigran Petrosjan schaffte Kasparow nicht einmal den Sprung ins Endspiel. In der hochkomplexen Stellung im heutigen Rätsel der Sphinx fand der alternde armenische Großmeister einen brillanten Zug, der die Vorzeichen von Sieg und Niederlage zu seinen Gunsten verkehrte. Kannst du ihn aus der Tiefe der Stellungsmystik emporheben, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05555: Endspiel-Lehrgeld (SB)

Kasparow - Petrosjan
Tilburg 1981

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Vom Endspiel versteht Viktor Kortschnoj einiges, und so schuf er sich in seiner Partie gegen Jury Awerbach mit 1...g5-g4! in aller Seelenruhe einen entfernten Freibauern: 2.h3xg4 h4-h3. Was Weiß nun auch gezogen hätte, er war verloren, zum Beispiel 3.Tb2-b1 Ta4xa2+ 4.Sd3-b2 h3-h2 5.Kd2-c2 a6-a5! 6.Kc2-b3 a5-a4+ 7.Kb3xa2 Sd5-c3+ nebst 8...Sc3xb1 und 9...h2-h1D. Hoffnungslos war in dieser Variante auch 6.Tb1-h1 a5-a4 7.Kc2-b1 Sd5-c3+ 8.Kb1-c2 a4-a3 9.Kc2xc3 a3xb2 10.Kc3- c2 Ta2-a1. Nicht minder indiskutabel war 3.Sd3-c5 Ta4-b4 4.Sc5-b3 a6- a5 und der Bauer marschiert. Also zog Awerbach, selbst ein hoher Kenner der Endspielkunst, gleich 3.Kd2-c2, mußte aber nach 3...Ta4-c4+ 4.Kc2-d2 Tc4-c1! sofort aufgeben, da der schwarze Turmzug die Grundreihe verstopfte: 5.Kd2xc1 h3-h2.


Erstveröffentlichung am 23. August 2002

03. August 2015


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