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SCHACH-SPHINX/05571: Die Mär vom Großvater (SB)


Dies ist eine kleine Sinngeschichte mit der Überschrift: Wer sägt an meinem schönen Stuhlbein? Der Hauptakteur, damals noch jung und temperamentvoll, sollte es später zu Weltmeisterehren bringen. Bis auf weiteres bleibt er anonym. Jeder denke sich da seinen Teil, und wer Lust hast, ergründe die Anfänge. Jedenfalls saß dieser Herr eines Tages in einem Café, wo für seinesgleichen mit dem Getränk unaufgefordert auch ein Schachbrett samt Figuren serviert wurde. Nach einer Weile setzte sich ein weißbärtiger Greis zu ihm an den Tisch und fragte: "Der Herr spielen Schach?" In Stimmung, dem Alten eine Lektion zu geben, war er nicht, doch da der Müßiggang der letzten halben Stunde auf sein Gemüt schlug, erwiderte er bereitwillig: "Nur zum Vergnügen." Der Alte nickte und machte seinen ersten Zug. Völlig unkonventionell. Unser Schachfreund hob die Augenbrauen, fragte frech: "Ihre Erfindung?" Das Gesicht des Alten war ein einziges Kraterfeld aus lachenden Grübchen: "Mein Großvater, Gott hab ihn selig, war ein großer Schachfreund und brachte mir diese Spielart bei." "Mhm", machte der Meister und zog wie beiläufig. Die Partie entwickelte sich jedoch gar nicht nach seinem Geschmack. Mehr und mehr geriet er ins Hintertreffen, bald gar in eine hoffnungslose Lage. "Ihr Großvater war ein namhafter Spieler?" fragte er nach, wollte er doch wissen, gegen wessen Enkel er zu verlieren drohte. "Nein! Nein!" entgegnete der Alte amüsiert. "Nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, aber ein begeisterter Schachspieler." "Soso", murrte unser Freund. Sein Gegenüber zitierte daraufhin die Worte des jüdischen Kabbalisten Abraham Ben Ezra: "Zuweilen ist der König eingeschlossen, unbarmherzig im Netz gefangen, es gibt kein Entrinnen, keinen Zufluchtsort ... Der Feind verfolgt ihn ohne Mitleid ... Er stirbt im Matt, sein Ruhm ist dahin." Dann schaute er auf die Taschenuhr, nickte bedächtig und verabschiedete sich förmlich: "Der Herr gestatten, die Pflicht ruft", und verschwand aus dem Café. Ein Keller kam vorbei, beugte sich zu unserem jungen Schachfreund herunter und flüsterte ihm zu: "Hat er auch Ihnen die Geschichte von seinem Großvater aufgetischt?" Nun, im heutigen Rätsel der Sphinx brauchte Michail Botwinnik die Mär von einem Großvater nicht zu erfinden, um seinen Kontrahenten Paul Keres hinters Licht zu führen. Also, Wanderer, mit welchen drei Zügen gewann Botwinnik die Partie mit Weiß?



SCHACH-SPHINX/05571: Die Mär vom Großvater (SB)

Botwinnik - Keres
Den Haag 1948

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
José Capablanca nutzte die Vorteilslage seiner Stellung elegant aus und zwang seinen Kontrahenten Blackburne nach 1.Sh4xg6! h7xg6 - 1...Db6-e6 2.f4-f5! Th5xf5 3.Dc2xf5 De6xf5 4.Sg6-e7+ - 2.Tg1xg6 Db6-b8 - 2...Db6-c7 3.Tb1-g1 Th5-h7 4.f4-f5! Dc7-d7 5.Ld2-g5! - 3.Tg6xg7+! Kg8xg7 4.Tb1-g1+ Kg7-f8 5.Dc2-g6 Th5xh3+ 6.Kh2xh3 zur betrüblichen Königskapitulation.


Erstveröffentlichung am 08. September 2002

19. August 2015


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