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SCHACH-SPHINX/05647: Wider die Argonauten der Aufklärung (SB)


Unter den Vorurteilen, die am klettenhaftesten am Bild von einem Schachmeistern hängenbleiben, besitzt seine angebliche "Gabe", tief in die Stellung hineinrechen zu können, einen unausrottbaren Status. Genährt wird und wurde dies meistenteils durch die Partiekommentatoren, seltener durch die Spieler selbst. Kein Argonautenzug der Aufklärung brachte das Gerücht zum Schweigen, Schachspieler seien Rechenakrobaten und Seiltänzer über den Abgründen schwindelerregender Undurchsichtigkeit. Rudolf Spielmann unternahm die klarste Attacke dagegen, blieb jedoch nicht minder erfolglos wie seine Vorgänger. Und warum auch? Schließlich gehört es zum Menschlichen dazu, sich über seine tatsächliche Reichweite Illusionen hinzugehen. Spielmann schrieb: "In den Kreisen der Laien ist die Ansicht verbreitet, daß sich die Meister von den übrigen Schachspielern dadurch unterscheiden, daß sie imstande sind, meilenweit vorauszurechen und daß das Schachspiel auf diese Art nichts weiter als eine mathematische Kunstfertigkeit ist. Dies ist ein arger Irrtum. Wohl kann der geübte Spieler besser und weiter kombinieren als der ungeübte, doch ist dies keineswegs die wichtigste Voraussetzung zur Meisterschaft. In jeder ernsten Partie läßt sich nämlich die Mehrzahl der Züge schon mit Rücksicht auf die übliche Zeitbeschränkung nicht exakt berechnen. Hier muß das Gefühl, die Urteilskraft oder - um einen Schachausdruck zu gebrauchen - das Positionsurteil entscheiden. Je feiner das Positionsurteil, desto größer der Spieler, desto klarer das Talent, desto näher das Genie!" Spielmann lebte seine Lehrsätze, er war kein Philosoph der Worte, und so konnte er in seiner Nürnberger Partie gegen Siegbert Tarrasch auch durch einen Sieg glänzen. Tarrasch hatte zuletzt fintenreich 1.c3-c4 gespielt. Dank seines Positionsurteils und ein wenig Rechenkunst entging Spielmann jedoch der Falle durch eine geistreiche Widerlegung. Das heutige Rätsel der Sphinx steht bereit, Wanderer, wende das Urteil richtig an!



SCHACH-SPHINX/05647: Wider die Argonauten der Aufklärung (SB)

Tarrasch - Spielmann
Nürnberg 1906

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Lasker setzte die Durchdringungskraft seiner beiden Türme ein, um den latenten Endspielvorteil in einen virulenten umzuwandeln. Nach 1.Tg3- h3! Te7-d7 2.Kf3-g3 Kf7-e8 3.Td1-h1 La8-b7 4.e4-e5! d6xe5 - 4...f6xe5 5.Sc3-e4 Sb6-d5 6.Th3-h7 - 5.Sc3-e4 Sb6-d5 6.Se6-c5 Lb7-c8 7.Sc5xd7 Lc8xd7 8.Th3-h7 Tg8-f8 9.Th1-a1 Ke8-d8 10.Ta1-a8+ Ld7-c8 11.Se4-c5 wurde Capablanca zwischen Scylla und Charybdis regelrecht aufgerieben.


Erstveröffentlichung am 22. November 2002

03. November 2015


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