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SCHACH-SPHINX/05965: Lug und Höllenschwindel (SB)


So mancher muß seinen Damaskusweg gehen, ehe er zur Besinnung kommt und alles, was er vorher mit Überzeugung und Leidenschaft tat, in ebenselber Manier in den Boden stampft und verwirft. Woher dieser Wandel auch immer kommen mag, ob dank einer unerklärlichen Eingebung oder nach reiflicher Überlegung, ein zweifelnder Schatten bleibt dennoch zurück. War vorher wirklich alles falsch, nur Lug und Höllenschwindel, oder hat man aus sich bloß einen willenlosen Esel gemacht? Wilhelm Steinitz mag sich diese Frage gestellt haben, vielleicht sogar unzählige Male, nachdem er sich einer Idee des Strategischen zuwendete, die seine Zeitgenossen zu denken nicht einmal gewagt hatten. Jedenfalls verehrte ihn die Nachwelt als Gründer des modernen Schachs, wiewohl seine Zeit ihn halb als Narren und halb als Genie abgetan hatte. Indes, auch spätere Generationen mißbilligten an Steinitz den verbohrt missionarischen Eifer, mit dem er seine Thesen an die Pforten der Schachwelt nagelte, so, als wären alle anderen bloße Ablaßhändler eines falschen Weges. Der schmeichelnde Mund vieler Biographen ist nicht müde geworden, Steinitz in einen viel zu hohen Himmel zu heben und seine Zunftgenossen im selben Atemzug als Neandertaler bloßzustellen. Man muß schon wie eine Panzerechse stumpf sein, um glauben zu wollen, daß Steinitz' Zeitgenossen lediglich romantisches Blindekuh-Schach gespielt hätten ohne strategisches Fundament. Sie hatten es lediglich nicht nötig, der Welt eine neue Bibel zu schenken. Das heutige Rätsel der Sphinx stammt aus seiner berühmten Hastinger Partie gegen von Bardeleben. Das Diagramm zeigt die Abschlußstellung, in der Steinitz zuletzt 1.Tg7xh7+ gespielt hatte. Von Bardeleben fand es nicht einmal nötig, persönlich aufzugeben, sondern flüchtete aus dem Saal vor bodenloser Scham und ließ durch einen Boten seine Kapitulation überbringen. 1...Dd7xh7 scheiterte natürlich an 2.Tc1xc8+, doch was wäre gefolgt, wenn von Bardeleben mit 1...Kh8-g8 2.Th7-g7+ Kg8-h8 fortgesetzt hätte, Wanderer. Schließlich mußte Steinitz auf das Grundreihenmatt achtgeben.



SCHACH-SPHINX/05965: Lug und Höllenschwindel (SB)

Steinitz - von Bardeleben
Hastings 1895

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Bronstein hatte feinsinnig erkannt, daß er nach 1.Te1xe5! d6xe5+ 2.Kd4xe5 Tc8-e8+ 3.Ke5-f6 mit dem Rauben der schwarzen Königsflügelbauern rascher vorankommen würde, als Olafsson mit dem Diebstahl der weißen Damenflügelbauern: 3...Te8-e3 4.Kf6xf7 Te3-b3 5.Sf4xg6 Tb3xb4 6.Sg6-e5+ Kd7-c8 - 6...Kd7-d8 7.d5-d6 Tb4-b2 8.Kf7-e6 Tb2-e2 9.g2-g3 nebst 10.Ke6xf5 - 7.d5-d6 Tb4-b2 8.Kf7-e8 Tb2-d2 9.Se5- g6 Kc8-b8 10.g2-g3 Td2-d1 11.Sg6-e7 und Schwarz gab auf, weil nach 12.Se7xf5 der Vormarsch des f-Bauern entschieden hätte.


Erstveröffentlichung am 02. Oktober 2003

21. September 2016


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