Was für ein Spiel, wo wehrlose Bauern geschlagen, unschuldige Damen geopfert, Bischöfe gedemütigt, Pferde geschlachtet, Türme zum Einsturz gebracht und Majestäten zum Schafott geführt werden - und wo dies Ganze unter dem Deckmäntelchen gesittenen Benehmens von aller Welt noch gutgeheißen wird! Treibjagd, Plünderungen, halsbrecherische Fallen - es ist, als hätte der Mensch mit diesem Spiel ein Bild seiner eigenen Seele entworfen. Sagte nicht Bobby Fischer, einer dieser Bluttrinker des Schachspiels, einst: "Ich genieße den Augenblick, wenn ich das Ego eines Mannes breche." Ist dies der Ausfluß eines kranken Hirns oder bloß ein intellektuelles Martern des Mitspielers, der im verstecktesten Winkel seiner Absichten nichts anderes plant? Die psychologischen Welt- und Vernunftverklärer halten dem Schach indessen die Fahne hoch: Zum Austoben unbewältigter Aggressionen sei es vorzüglich geeignet. Fallen nicht auch im Krieg Nationen übereinander her und pflegen hinterher einen friedensbewußten Umgang miteinander? Man ist erschrocken, aber schon im nächsten Augenblick ist das Unbehagen wieder vergessen. Freilich, wer glaubt, daß das Schachspiel den Menschen gescheiter und versöhnlicher macht, hat wohl ein Interesse am Maskenspiel der feinen Sitten. Nach diesen dunklen Worten der Mahnung auf zum heutigen Rätsel der Sphinx aus der Olympiade der Frauen, in der die damalige Weltmeisterin Gaprindaschwilli, mit Schwarz spielend, ebenfalls unter Opfern den Sieg errang, Wanderer.
Gresser - Gaprindaschwilli
Split 1963
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
In der Tat war 37.b5-b6? ein eklatanter Verstoß gegen die
Notwendigkeiten der Stellung; wofür Karpow auch einen hohen Schuldzins
zahlen mußte: 37...Ta8-a1 38.Tb3-b1 Sf5-g3+!! und der Weltmeister gab
auf, denn nach 39.h2xg3 Ta1-a8 war gegen 40...Ta8-h8# nichts zu
erfinden.
Erstveröffentlichung am 12. November 2003
03. November 2016
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