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SCHACH-SPHINX/06021: An die Herren Skribifaxen (SB)


Vorwürfe an die Schachmeister seitens der Presse halten sich in Maßen. Die grauen Eminenzen des Großhirns sind auf schachlicher Ebene vor journalistischer Häme weitgehend sicher. Gelegentlich greift die ironische Feder die Physiognomie an, aber weil dies beim denkenden Volk nicht viel Sinn macht - schließlich zeugen verhärmte Gesichter von angestrengter Gedankentätigkeit -, bleibt im wesentlichen nur noch das Erscheinungsbild als zu bearbeitende Rohmasse für Spott und Krittelei übrig. Mokiert wird sich besonders gern über die das schickliche Maß überschreitende Schwerfälligkeit der Kopfakrobaten. Schlacksige Gestalten mit ungekämmtem Haar werden dann in den Gazetten karikiert oder Typen mit langem Hals und wie zur Schaufel vorgeschobener Unterlippe, die, Zigaretten rauchend, an ästhetischer Feinheit soviel hergeben wie ein Hund beim Wasserlassen. Wenn dann aber einer unter ihnen auftritt, der es an modischer Eleganz nun gar nicht fehlen läßt, wird kurzum sein Verhalten an den Pranger gestellt. Die Art, wie er beispielsweise unablässig die Hände in den Hosentaschen hält, als fürchte er, seine abgekauten Fingernägel könnten infantile Regungen verraten. Ein anderes Mal wird das Zucken seines linken Augenlids zum nervösen Krankheitsbild verklärt. Schlechte Kinderstube entlarvt wohl auch das Knabbern an den Bleistiften, mit denen das Partieformular vollgekritzelt wird, und überhaupt, wie viele Male mußte die Schrift der Großmeister ersatzweise herhalten, um dem verirrten Geschmack eines bestimmten Lesepublikums nach Absonderlichkeiten neue Nahrung zu geben. Was hilft es da, daß renommierte Blätter mit sachlich kühlem Unterton die Durchschnittlichkeit ihrer Galionsfiguren hervorheben. In jeder Beteuerung verbirgt sich schließlich ein wunder Punkt, und da stechen angespitzte Federkiele halt am liebsten hinein. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob solche Skribifaxen womöglich selbst unter einer neurotischen Unverträglichkeit leiden. Nun aber zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zu der Frage, wie es Meister Becker als Anziehender auch ohne grazile Handbewegung oder kokettes Lächeln fertigbrachte, seinem Kontrahenten Jung die Dame abzuluchsen? Also, Wanderer des guten Geschmacks, mit Gabeln soll man Damen nur auf dem Brett behelligen!



SCHACH-SPHINX/06021: An die Herren Skribifaxen (SB)

Becker - Jung
Eberstadt 1948

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Leicht hätte Polugajewski mit 1.Tf4-h4! Tf6-g6+ 2.Kg3-h3 Tb4xh4+ 3.Kh3xh4 das Remis behaupten können. Bedauerlich, daß ein Meister seines Formats dies bei einem so wichtigen Wettkampf übersah.


Erstveröffentlichung am 25. November 2003

16. November 2016


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