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SCHACH-SPHINX/06423: Laskers Kampfphilosophie (SB)


Allzu oft versperren egozentrische Hindernisse den klaren Blick auf das Eigentümliche des Schachspiels. Wer im Schach ein göttliches Spiel vermutet oder künstlerische Ambitionen darin wiederfinden möchte, wer die strenge Zucht der Mathematik lobt oder das Genie des Einfallsreichtums beschwört, der macht aus dem Schachspiel einen Spiegel für sich selbst und verliert so den nüchternen Boden, auf dem das Königliche Spiel steht, unter seinen Füßen. Mag der Anspruch auch bis zu den Sternen emporgetrieben sein, er büßt doch nur seine Konturen in diesem eisigen Äther ein. Für Emanuel Lasker war Schach nie etwas Abgehobenes, stets verband er damit die Geschichte menschlichen Ringens. Er sah im Schach einen Zweikampf, von Menschen ersonnen, nicht eine Gabe der Musen. Nicht Kunst, die sich selbst feiern möchte und der Selbstverwirklichung soviele Fußangeln in den Weg streut, sondern die praktikabelste aller Formen der Geistestätigkeit, das war für Lasker Schach im philosophischen Sinne. Kein anderer als sein Begleiter auf diesem Weg nüchternen Denkens, der polnisch-russische Meister und Schriftsteller Savielly Tartakower, hat dies mit Prägnanz erkannt, als er schrieb: "Wenn der erste historisch verbürgte Weltmeister Greco die Phantasie, Philidor die Kraft, Staunton die Solidarität, Anderssen die Wucht, Morphy den Glanz, Steinitz die Tiefe, Tarrasch die Methode, Capablanca die Klarheit im Schach vertritt, so hat andererseits Lasker zweifellos am meisten von allen das philosophische Element im Schach zum Ausdruck gebracht. Ob Sport oder Kunst, ob Spiel oder Wissenschaft - weist das Schach in jedem Falle das intergrale Moment des Kampfes auf, und zwar eines Zweikampfes, welcher Umstand ihm oft die Schönheit des Strebens nach absoluter Wahrheit wegnimmt, dafür aber eine andere Schönheit, nämlich die vitale Schönheit des Sieges verleiht." Im heutigen Rätsel der Sphinx konnte sich Tartakower selbst ein Bild von Laskers untrüglicher Kampfphilosophie machen. Also, Wanderer, Lasker, mit den weißen Steinen spielend, vollendete seine eigenen Lehrsätze!



SCHACH-SPHINX/06423: Laskers Kampfphilosophie (SB)

Em. Lasker - Tartakower
Mährisch-Ostrau 1923

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das schablonenhafte 1.Dc6-c5 hätte nach 1...Td2-f2+ 2.Kf1-g1 Tf2xf3+ 3.Dc5xe3 Tf3xe3 die Qualität gekostet und damit die Partie verloren. Doch Fischers raubtierhaft scharfer Blick fand 1.La3-c5!! und wendete so das Blatt. Aus der drohenden Niederlage wurde ein Sieg. So gingen nun weder 1...Te6xc6 2.Lc5xe3 noch 1...Td2-f2+ 2.Kf1-g1 Tf2xf3+ 3.Lc5xe3 Te6xc6 4.g2xf3. Bent Larsen fand zwischen Scylla und Charybdis noch einen schmalen Hoffnungsweg mit 1...Td2-f2+ 2.Kf1-g1 Tf2xg2+ 3.Kg1xg2 De3-d2+ 4.Kg2-h1 Te6xc6 5.Lf3xc6, doch statt nun mit 5...a7-a5! 6.Ta1-g1+ Kg6-f7 7.Lc5-d4 g7-g5 8.Le6-d5+ Kf7-g6 9.Ld5xc4 Dd2xc2 auf ein Remis zu spielen, verdarb Larsen seine Chance mit 5...Dd2xc3? 6.Ta1-g1+ Kg6-f6 7.Lc5xa7 g7-g5 8.La7-b6 Dd2xc2 9.a4-a5 Dc2-b2 10.Lb6-d8+ Kf6-e6 11.a5-a6 Db2-a3 12.Lc6-b7 Da3-c5 - 12...c5-c4 13.Ld8-b6 c3-c2 14.a6-a7 c2-c1D 15.Tg1xc1 Da3xc1+ 16.Lb6-g1 - 13.Tg1- b1 c4-c3 14.Ld8-b6 und gab sich geschlagen. Es war dies die erste von fünf Verlustpartien des Dänen gegen Fischer in diesem Wettkampf.


Erstveröffentlichung am 28. Dezember 2004

23. Dezember 2017


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