Auch im Korrespondenzschach sind sowjetische Meister bei den Weltmeisterschachkämpfen an der Spitze zu finden. Eine enge Zusammenarbeit, ausführliches Analysematerial und ein ungleich lebhafteres allgemeines Interesse als anderswo förderten diesen Trend. Selten konnte sich ein Nichtrusse bis zum ersten Platz hoch- und durchkämpfen. 1984 gelang es völlig überraschend dem Amerikaner Vytas Palciauskaus, und das Wunderliche daran war, daß er auf seinem Weg zur Fernschachkrone keinen geringeren als Rußlands Stern Jakow Estrin regelrecht über den Löffel barbierte, denn Estrin führte gegen den Amerikaner die weißen Steine und spielte das Evans-Gambit, eine Eröffnung, über die Estrin ellendicke Abhandlungen geschrieben und in die er bis in die verborgensten Seelentiefen hineingeleuchtet hatte. Entwickelt wurde der Gambitzug übrigens vom englischen Flottenkapitän Evans, der ihn 1824 erstmals anwandte. Im 19. Jahrhundert feierte das Evans-Gambit wahre Hochstände, Adolf Anderssen errang in Berlin 1852 seine "Immergrüne Partie" mit ihr gegen Dufresne. Erst, als Emanuel Lasker Wege aufzeigte, wie dem Gambit der stolze Zahn gezogen werden konnte, verschwand es mehr und mehr aus der Turnierpraxis. Trotzdem griffen immer wieder selbst gekrönte Häupter darauf zurück und siegten, wie beispielsweise Garry Kasparow gegen Viswanathan Anand. Estrin nutzte dieses Renommee allerdings nichts. Ein Blick auf das heutige Rätsel der Sphinx zeigt die Aufgabestellung. Palciauskaus hatte zuletzt 1...Dg6-g3 gespielt. Warum streckte Estrin nun die Waffen, Wanderer?
Estrin - Palciauskaus
Fernpartie 1983
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Zum Schluß zauberte der amerikanische Großmeister Rafael Waganjan noch
eine bildhübsche Siegeskombination aus dem Hut: 1.Sf4-d5+! e6xd5
2.Se2xd4 - droht mit Familienschach auf f5 - 2...Dh6-f4 3.Sd4-f5+ Ke7-
f6 4.Da8-h8+ Kf6-e6 5.Sf5-g7+ und Schwarz gab auf, da er nach 5...Ke6-
e7 6.Dh8-e8+ Ke7-f6 7.Sg7-h5+ die Dame verloren hätte. Bei 4...Kf6-g6
wäre er sogar mattgegangen: 5.Dh8-g7+ Kg6-h5 6.g2-g4+ Df4xg4 7.Dg7-h6#
Erstveröffentlichung am 1. Februar 2005
27. Januar 2018
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