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SCHACH-SPHINX/06518: Epoche kühner Geister (SB)


Golden strahlt bis in unsere Tage hinein die Zeit solcher Schachhäupter wie Adolf Anderssen, Johannes Zukertort und Michail Tschigorin, um nur einige zu nennen, und man ist geneigt, dieser schillernden Ära ein wenig reuevoll nachzutrauen. Vergleicht man dann die heutigen Partien mit dem wilden Temperament ihrer Geistes Produkte, so fühlt man sich um eine weitere Nuance betrogen von der Gegenwart einer alles unter sich erstickenden Schachwissenschaft. Mit der Pionierzeit des Schachspiels scheint auch ihr Zauber verlorengegangen zu sein. Spätere Denker wie Steinitz und Lasker und auch Tarrasch schufen zwar Wege, die es Laien ermöglichten, in das Geheimnis einer Schachpartie verständnisinnige Blicke hineinzuwerfen, aber die große Leichtigkeit konnten sie nicht herüberretten in das so allzu nüchterne, allzu entzauberte 20. Jahrhundert. Wir lassen uns gern trösten mit dem Argument, daß die alten Meister der Romantik ihr Schaffenswerk auf den Fehlern ihrer Zeitgenossen aufbauten. Heutzutage würde kaum ein Großmeister lange überlegen, wenn er zu wählen hätte, ob er den gefahrlos-prosaischen oder den risikohaft-glanzvollen Weg betritt, um die Partie siegreich zu beenden. Und auch die Computer, die einst entwickelt worden waren, um das menschliche Denken zu ergründen, vermeiden das allzu kunstvolle, favorisieren hingegen das praktische Schach ohne Schnörkel und Einfallsreichtum. Sie sind die Boten einer neuen Zeit, die Kalkül zieht aus allem, was zu Größerem berufen sein könnte. Hätte Anderssen seinerzeit einen Computer in seiner Stube stehen gehabt und sich dessen Vorgaben gefügt, vielleicht hätte er dann nie eine immergrüne Partien spielen können. Im heutigen Rätsel der Sphinx wollen wir uns noch einmal an diese Epoche kühner Geister zurückerinnern. Im Stellungsdiagramm hatte der Berliner Jurastudent Jean Dufresne mit 1...Sc6xe7 2.Da4xd7+!! Ke8xd7 3.Ld3-f5+ Kd7-e8 4.Lf5-d7+ Ke8-f8 5.La3xe7# eine der schönsten Kombinationen der Schachgeschichte zugelassen. Nun, Wanderer, was wäre geschehen, wenn er damals 1...Ke8-d8 gezogen hätte?



SCHACH-SPHINX/06518: Epoche kühner Geister (SB)

Anderssen - Dufresne
Berlin 1852

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Mit glänzenden Kombinationen bestach der Ungar die Schachwelt, und so auch gegen Tschigorin, der nach 1...Ta8-c8 2.Lf4-c7! wegen der Mattdrohung auf f7 die Dame hergeben mußte. Der Rest ist Schweigen: 2...f7xe6 3.Lc7xd8+ Tc8xd8 4.Dc6-b7+ Td8-d7 5.Tf1-f7+ Ke7xf7 6.Db7xd7+ Lf8-e7 7.Ta1-e1 Th8-e8 8.b2-b3 Kf7-f8 9.b3xc4 und Schwarz gab auf.


Erstveröffentlichung am 1. April 2005

28. März 2018


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