Jörg Palitzsch
20 Antworten auf d2-d4
Buchcover: © by Joachim Beyer Verlag
Ein Buch mit dem Titel "20 Antworten auf d2-d4" lässt an eine Partiensammlung denken oder ein kurzgehaltenes Werk mit Eröffnungserwiderungen auf den weißen Damenbauernzug, aber was Jörg Palitzsch hier präsentiert, ist eine seltene Perle auf dem Büchermarkt. Aus eigener Feder erzählt der Autor zwanzig Kurzgeschichten rund um die Kultur und den Alltag des Schachspiels, Erzählungen, die eine breite Palette abdecken, seien es dramatische Ereignisse oder Heiteres aus dem Leben, mal schicksalhaft verdunkelt, tiefgründig, unheimlich. Auf jeden Fall werden Charaktere vorgestellt, deren Ambitionen beispielsweise von Geldgier angetastet oder von kriminellen Machenschaften durchdrungen sind.
Palitzsch versteht es, den Leser in einen abspenstigen Bann zu ziehen, die Pointen sind nicht voraussehbar und doch streifen sie am Rand Alltäglichkeiten unseres Lebens. Schach wird eben nicht nur auf dem Brett gespielt. Was den Menschen auch immer antreibt an Motiven, im Schach einen Sinn, ein Geheimnis oder die Quelle unerschöpflicher Freuden zu vermuten, hier wird es ausgebreitet.
Kurzgeschichten zum Schach sind rar und dann oftmals allzu spezifisch. Natürlich hat das Königliche Spiel auch eine mystische Seite, die sich den Augen der Alltagswelt zu verbergen weiß. "Ein Spieler muss das Ungreifbare und das Unerkenntliche erfassen" (S. 12), heißt es in der Erzählung "Vor dem Kampf", und in "Die Toten von Schacham" bietet ein Reisender durch die Zeit den Siegern einer Partie gegen ihn Einblicke in ihre Zukunft. Ob dieser Aufdeckungen gerät der ganze Ort in Hass und Hader. Misstrauen wird geweckt und Rache nimmt ihren Lauf.
Düster geht es auch in "Die Kontrolle verloren" zu. Ein geheimnisumwittertes Schachbrett, wie aus der dunkelsten Hölle entsandt, bringt Unheil über seinen Besitzer. Mit jeder gegnerischen Figur, die er schlägt, stirbt ein naher Verwandter, ein Freund, ein Bekannter. Und das Verhängnis macht auch vor ihm nicht halt. Ferner ist von einem magischen Schachladen die Rede und von Metamorphosen, die ein Leben zu verändern wissen.
"Drei Siege und sechs Remis" nimmt einen auf eine Zeitreise mit in das Jahr 1970 nach Dresden. Dinge von unerklärlichem Reiz und einer unbändigen Angst begleiten den Leser in "Der Unbekannte", und so manche Sammlerleidenschaft verkehrt sich in etwas Fluchartiges. "Ein kluger Rabe" entpuppt sich als Ratgeber von unermesslicher Weisheit. Und natürlich, als letzte Zugabe und Wink an die Wahrheit, enthüllt das "Spiel mit dem Tod" die tiefe Erkenntnis eines alten Menschen, der um des Schachspiels willen alles verloren hatte an Liebe, Familie und Glück und in der alles besiegelnden Partie mit dem Tod Frieden mit sich schließt.
Der Autor hat mit dieser Kurzgeschichtensammlung Bemerkenswertes geleistet. Schach ist mehr als das Ausführen von Zügen auf dem Brett, es greift ins Leben jedes Schachfreundes ein. Wir ahnen die Grenzen kaum, auf die wir in diesem Spiel stoßen, noch weniger die Konsequenzen, die mit dieser Leidenschaft einhergehen, nur dass wir als Reisende durch die Geheimnisse der 64feldrigen Welt der Bauern und Offiziere immer auch auf etwas Fremdartiges treffen und mit Schreck und Schaudern erkennen, dass wir ein Teil davon sind.
11. April 2025
Jörg Palitzsch
20 Antworten auf d2-d4
Das Schachspiel in Kultur und Alltag
Joachim Beyer Verlag 2025
100 Seiten, 14 EUR
ISBN 978-3-95920-221-3
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