Jerzy Konikowski, Uwe Bekemann
Schach-WM 2024
Dommaraju Gukesh vs Ding Liren
Buchcover: © by Joachim Beyer Verlag
Der neue Weltmeister kommt aus Indien und heißt seit dem 12. Dezember 2024 Dommaraju Gukesh. In einem Wettkampf über 14 Partien auf der zu Singapur gehörenden Insel Sentosa setzte sich der Herausforderer gegen den Titelverteidiger Ding Liren aus China in einem kräftezehrenden und keineswegs leicht voraussagbaren Match auf knappe und ungemein dramatische Weise durch. Damit avancierte Gukesh mit 18 Jahren zum jüngsten klassischen Weltmeister in der Schachgeschichte.
Was alles auf dem Weg zum WM-Kampf geschah, die Etappen, Einzelheiten und Vorbereitungen, samt einem kurzen Portrait der beiden Kontrahenten, die konträren Einschätzungen der Experten im Vorlauf, kurzum der Rahmen der Handlung und der Herzschlag der ausgetragenen Partien, über all das berichten Jerzy Konikowski und Uwe Bekemann in ihrem unprätentiös titulierten Buch "Schach-WM 2024" mit kundiger Feder und analytischem Verstand.
Weltmeisterschaften stellen in der Regel das Treffen der beiden besten Schachmeister der Welt dar. Was auf den Brettern gespielt wird, hat auch immer eine eröffnungstheoretische Note. Auch davon findet sich in dem Werk eine alle Neugier zufriedenstellende Expertise.
Schon im Vorfeld hatte der Kampf um die Krone die Gemüter erregt, weil der weltbeste Schachspieler Magnus Carlsen 2023 mehr oder weniger überraschend von seiner Titelverteidigung zurücktrat und dafür zweifelhafte Gründe angab. Dass er sich jedem Herausforderer überlegen fühlte und keinen Reiz noch Nutzen darin gesehen hatte, Zeit und Mühe in ein Geschäft zu investieren, das ihn persönlich nicht weiterbringen würde, klingt im Argumentationsaufbau verdächtig nach Ohrenschmeichlerei, Dinge mit einem Ethos zu erklären, die wohlweislich profaner sind.
Der Vergleich mit Bobby Fischer hinkt indes. Der US-Amerikaner verweigerte sein Erscheinen am Wettkampfort nicht allein aus psychologischen Motiven, sondern weil er das Gewicht seiner Verhandlungsposition gegen den Weltschachbund FIDE falsch eingeschätzt hatte. Unterhalb seiner gestellten Bedingungen wollte er schlichtweg nicht spielen.
Dagegen dürfte Carlsen monetäre Gründe für seine Absage im Kopf gehabt haben. Wie auch immer: Auf Sentosa wurde nichtsdestotrotz hervorragendes Schach gespielt. Obgleich Ding Liren ab Januar 2024 keinen Sieg mehr in einer Turnierpartie vorweisen konnte und dafür ein Formtief, auch gesundheitliche Probleme verantwortlich machte, zeigte er sich gegen den Inder von seiner kämpferischen Seite.
Tatsächlich wurden fünf der vierzehn Partien entschieden, kein schlechtes Ergebnis für einen WM-Kampf, nur dass die Mehrzahl der Siegespartien auf eine Zeitmisere beider zurückzuführen war. Überhaupt fiel das Zeitmanagement der Akteure erstaunlich mangelhaft aus.
Der Auftakt lief jedoch nach den Erwartungen des Titelträgers. In der Eröffnung überspielt, leistete sich Gukesh einen schweren Fehler, wodurch die Niederlage nicht mehr aufzuhalten war. Nach einem anschließenden Remis in Runde 2 traf es Ding Liren bitter. In der dritten Wettkampfpartie blieben ihm schon beim 18. Zug nur mehr 27 Minuten Restbedenkzeit. In dieser Bedrängnis kostete ihn ein eklatanter Fehlzug die Partie und erlaubte Gukesh den Ausgleich, der damit seine erste klassische Turnierpartie gegen den Chinesen gewann.
Danach folgten sieben Remissen in Folge, eher farblos heruntergespielt, risikoarm und fade. Nur einmal kam es zum Funkenschlag. Auf dem Brett lag ein Sieg für den Inder in greifbarer Nähe, aber in Zeitnot verpasste er ihn und leistete sich wenig später einen zweiten Fauxpas. Statt Kapital daraus zu schlagen, war es nun an Ding Liren, aufgrund der tickenden Uhr am Siegeszug vorbeizugehen. Die Partien 11 und 12 gewannen je Gukesh und Ding Liren. Mit gleichem Konto ging es in die Schlussrunde.
In der letzten Wettkampfpartie hätte der Chinese den Zweikampf ins Tie-Break befördern können, wenn ihm nicht im 55. Zug in nahezu ausgeglichener Stellung ein schrecklicher Fehler unterlaufen wäre, der ihn seiner Krone beraubte und Gukesh den Lorbeerkranz aufsetzte.
Alles in allem war es ein spannender Wettkampf, auch wenn die Uhr allzu oft den Takt angab und so den Eindruck eher eines Stolperns als eines glatten Erfolgs erweckte. Die Autoren haben sich die größte Mühe gegeben, den Verlauf der Kämpfe analytisch aufzuarbeiten und die Stimmung während der einzelnen Partien einzufangen. Die Höhepunkte, obzwar rar gesät, kamen dennoch gut zu Wort.
Was die Analyse der Partien attraktiv macht, ist das Dokumentieren der Alternativzüge der Kontrahenten aus vorangegangenen Turnieren zumeist der beiden letzten Jahre, so dass der Leser nachvollziehen kann, mit welchen Neuerungen im Gepäck die Spieler auf die Insel gekommen waren. Für eine grundlegende Einordnung der neuen Züge in die Theorie war die Zeit bis zum Erscheinen des Buches zu kurz, aber schon jetzt lässt sich sagen, dass schillernde Einfälle diesen Wettkampf nicht prägten. Es waren mehr oder weniger Abweichungen um Nuancen aus früheren Begegnungen zwischen Titelaspirant und Champion, nichts, das Analytiker zwingen müsste, neue Eröffnungsbücher zu schreiben.
Im Fazit blieb die Arbeit jedoch unvollständig. Im Wesentlichen fehlte, wenngleich dieser Punkt in der Fachpresse zuvor hinlänglich erörtert wurde, die in einem derart wichtigen Buch über den WM-Kampf eigentlich zu erwartende Bedeutung des Rückzugs von Carlsen. Es wäre wert gewesen, den Gerüchten dazu Raum zu geben und einige namhafte Stimmen exemplarisch zu nennen.
11. April 2025
Jerzy Konikowski, Uwe Bekemann
Schach-WM 2024
Dommaraju Gukesh vs Ding Liren
Joachim Beyer Verlag 2025
100 Seiten, 15 EUR
ISBN 978-3-95920-223-7
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