Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → FAKTEN

BERICHT/036: Politik und Kunst im Leben der Nankana-Frauen (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 98, 4/06

Unmittelbar gelebte Spiritualität
Politik und Kunst im Leben der Nankana-Frauen

Von Agnes Neumayr


Im Norden Ghanas verbindet die Nankana-Frauen das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Ahninnen, die Schutz gewähren und durch Rituale und Kunstfertigkeit verehrt werden. Als unmittelbar gelebte Spiritualität bezeichnet die Autorin jene lebensnahen Rituale, die heute mit dem Übertritt zur christlichen Religion und dem Schulbesuch außerhalb der Gemeinschaft ihr Ende finden könnten.


*


"In which church are you in?" Diese Frage wird in Ghana häufig gestellt, weniger aus Neugierde, sondern vielmehr aus der Überzeugung, dass sie für das Überleben von Bedeutung ist. In Ghana existieren unzählige "Kirchen" nebeneinander. Wichtig ist dabei weniger, welcher Kirche man angehört, sondern vielmehr, dass man einer angehört. Nicht religiös zu sein, stößt bei den meisten Einheimischen auf Verwunderung. Beantwortet man die Frage für die Nankana im Konkreten, fügt sich dem pluralen Nebeneinander von unterschiedlichen Religionen noch ein "spiritueller" Aspekt hinzu.


Gesellschaftsform und Spiritualität bei den Nankana

Die Nankana sind Subsistenzbäuerinnen und -bauern. Sie leben von dem, was in der Regenzeit angebaut und geerntet wird. Auf ihren Märkten wird getauscht, gehandelt und seit der Integration in die globale Marktwirtschaft mit Geld bezahlt. Es gibt keinen Privatbesitz an Grund und Boden. Das politische Gemeinwesen wird durch den Dorf- und Clanältestenrat geregelt, dem ausschließlich Männer angehören. Die Spiritualität der Nankana ist polytheistisch. Eine tiefe Wertschätzung erfährt in ihr "Mutter Erde". Sie wird nicht personifiziert, sondern als energetische, "heil-, leben- und todbringende" Macht verehrt. Ihre spirituelle Energie konzentriert sich in Flüssen, Felsformationen und Seen. Die der männlichen Gottheiten in Bäumen und lokalen Savannengebieten. Die "spirituelle Transzendenz" wird hier als der Materie immanent erfahren, wodurch es keine Spaltung, Hierarchisierung und normative Wertung zwischen dem Göttlichen und Irdischen gibt. Im Zentrum der Nankana-Spiritualität steht die Metamorphose von Leben, Tod und Neugeburt.

Die der Erde als immanent erfahrene weibliche "Lebenskraft" bewirkt, dass alle Dinge, die aus ihr entstehen oder von ihr gewonnen werden wie die Lehmgehöfte der Menschen oder die aus Lehm gefertigten Ahnenaltäre, weiblich konnotiert sind und man ihnen mit "spirituellem" Respekt begegnet. Selbst die Architektur der Lehmgehöfte folgt diesen Vorgaben: Frauenhäuser sind rund gebaut (Symbol des spirituell Weiblichen), Männerhäuser rechteckig (Symbol des Männlichen). Die Seelen der männlichen Verstorbenen einer Familie sind in den Ahnenaltären vor dem Lehmgehöft präsent, die Seelen der weiblichen Verstorbenen im Inneren des Compounds. Ist das Innere der Lehmgehöfte traditioneller Frauenraum, so ist das Äußere Männerraum. Die täglichen Trankopfer[1] an die AhnInnen werden demgemäß vom männlichen Familienvorstand für die äußeren Altäre, von der Gehöftvorsteherin für die inneren durchgeführt. Diese "getrennte" rituelle Praxis folgt den soziokulturellen Zuständigkeitsbereichen von Mann und Frau, die wiederum den männlichen und weiblichen Rollenbildern entsprechen.


Das Haus der Frauen

Ein einziges Haus im innersten Bezirk des Gehöfts hat eine besondere architektonische Form. Dieses ist das Ritualhaus der Gehöftvorsteherin[2]. In ihm werden Kinder geboren und Tote aufgebahrt. Nur dieses Haus hat eine uterusförmige Architektur. Entsprechend dem Leben, das im Bauch der Schwangeren beginnt und in den Schoß von Mutter Erde zurückkehrt, symbolisiert auch das Frauenhaus die "Leben-Tod-Leben"-Metamorphose. Alle Begräbnis- und Geburtsrituale, die in ihm stattfinden, sind ausschließlich Ritualbereich der Frauen. Dies in Frage zu stellen, kommt einem Tabubruch gleich. Wird das Frauenhaus neu gebaut, wird dessen Eingang nach genauen rituellen Vorgaben für eine bestimmte Zeit der Bauphase verschlossen. Dies dient dem rituellen Schutz des sakralen Innenraums, der das "Geheimnis des Lebens" birgt. Auf der Außenwand des Frauenhauses wird das spiralförmig modellierte Schlangenrelief angebracht. Es ist ein Schutzsymbol und wird als "Mutter und Ahnfrau" und als Zeichen der weiblichen Schöpfungskraft gedeutet. Zugleich repräsentiert es die spirituelle "Leben-Tod-Leben"-Symbolik. Schlangen gelten in der Nankana-Kultur als "heilig". Zeigt sich eine den Menschen, so ist dies ein Zeichen für Glück und für den von Ahnfrauen gewährten Schutz.


Die Wandmalkunst der Nankana-Frauen

Da der Gehöft-Innenbereich traditionell Frauensphäre ist, wird dieser Bereich von den Frauen besonders schön gestaltet. In jeder Trockenzeit treffen sich die Frauen und bemalen ihre Lehmgehöfte mit traditionellen Motiven der Wandmalkunst. Sie verwenden dazu die Erdfarben rot, weiß und schwarz, die alle symbolische Bedeutung haben. Die Wandmalkunst ist ausschließlich ein Frauenritual. Viele der aufgemalten Symbole haben spirituelle Bedeutung oder repräsentieren den ökonomischen und sozialen Zuständigkeitsbereich der Frauen. So wird z.B. eine Serie von Rautenmotiven "Zaalenga" genannt. Zaalenga kann mit "hält eine Kalebasse" übersetzt werden und ist ein Symbol für das Schnurfadennetz, in dem die Frauen jene Kalebassenschalen aufbewahren, die sie für Geburts- und Begräbnisrituale benötigen.

Die Tage, in denen das Bemalen der Wände eines Gehöfts geschieht, sind für gewöhnlich besondere Tage. Bereits früh morgens sind mehrere Frauen damit beschäftigt, die Vorbereitungen für die traditionellen Gerichte zu treffen. Das rhythmische Zerstampfen der Hirse ist nur eines der Geräusche, die im lärmenden Durcheinander den Ton angeben. Auf der Feuerstelle wird Wasser in großen irdenen Tontöpfen erhitzt. In der Hitze des Tages brennt der Rauch in den Augen, und der Boden unter den Füßen atmet die Wärme des Augenblicks. Eine Henne gackert ihren Beitrag zur allgemeinen fröhlichen Stimmung. Die Sicherheit des Zusammengehörens liegt in der Luft und das Echo des Lachens verräumlicht die integrative Kraft der zur Sprache gewordenen Gefühle. Frauen tanzen, singen, malen, streiten, stillen ihre Kinder und erledigen daneben die Hausarbeit. Das gemeinsame Essen und Trinken ist Lebensfreude, Genuss und Erholung in einem. Es leitet den Tanz der Dämmerung ein, in dem Vertrauen spürbar anwesend ist. Frauensolidarität ist hier auch unmittelbar gelebte Frauenspiritualität.


Die realpolitische Seite

Margaret, eine entwicklungspolitisch aktive Nankana-Frau, antwortet auf meine Frage nach der Relevanz der Nankana-Spiritualität heute: "Ich bin in ihr aufgewachsen und habe alle Frauenrituale gelernt. Später bin ich dann zum katholischen Glauben konvertiert." Auf meine Frage, was der Grund gewesen sei, antwortet sie: "Es gibt viele Gründe, auch einen praktischen: Ich wollte, dass meine Kinder eine gute Schulausbildung bekommen, und diese erhalten sie in der katholischen Missionsschule. Die staatlichen Schulen hier im wirtschaftlich armen Norden Ghanas sind schlecht bezahlt und viele der LehrerInnen sind deshalb nicht ausreichend motiviert. Die katholischen Priester sagen, die Naturreligion sei `heidnisch' und wenn man zu ihrem Glauben konvertieren will, soll man die Ahnenaltäre entfernen und die alten Rituale abschaffen. Meine Kinder sind mit der neuen Religion aufgewachsen. Sie gehen in die katholische Schule, sind fortschrittlich erzogen und kennen die alten Bräuche nicht mehr. Viele Kinder der Savanne sind dagegen noch Analphabetinnen. Ich selbst lebe jetzt zwei Religionen", fügt sie lachend hinzu. "Am Sonntag gehe ich in die Kirche und unter der Woche nehme ich manchmal an den Riten meiner Eltern teil." Auf meine Frage, in welcher "Religion" die Frauen ihrer Meinung nach mehr Anerkennung finden, meint sie: "Das Leben hat sich verändert. Wir Frauen müssen zu einem großen Teil für den Unterhalt der Kinder sorgen. Deshalb brauchen wir auch ein politisches Mitspracherecht. Meine heutige Lebensweise hat einen wichtigen Vorteil für uns Frauen, denn mit Bildung können wir uns selbst politisch vertreten. Das ist in der Nankana-Tradition der Aufgabenbereich der Männer. Unsere Frauenrituale - wie die Wandmalkunst - sterben ohnehin bald aus, da wir Frauen immer weniger Zeit dazu haben. Allein, um unsere Kinder zu ernähren und ihnen die Schuluniform zu bezahlen, arbeiten wir schon Tag und Nacht."

Anmerkungen:
[1] Trankopfer sind kleine Opfer an die AhnInnen, bei denen ihnen gedankt wird, sie um Schutz gebeten werden und man ihnen Sorgen anvertraut. Auch Mutter Erde bekommt z.B. vor dem Trinken von Hirsebier ein Trankopfer als Dank für die Gaben.

[2] Gehöftvorsteherin ist immer die erste Frau des Gehöftvorstehers und damit meist die älteste Frau am Hof. Die Nankana leben polygam.


*


FILMTIPP:
Borinboresi: Die Wandmalkunst der Nankana-Frauen, Ghana/Österreich 2003
(nähere Infos unter www.schwarzarbeit.or.at).

ZUR AUTORIN:
Agnes Neumayr ist Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Ihre Schwerpunkte sind Geschlechterforschung, politische Ästhetik und politische Theorie sowie Ideengeschichte. Sie lebt in Innsbruck.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 98, 4/2006, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis ab 2007: 5,-- Euro.
Abonnement ab 2007: Inland 20,-- Euro,
Ausland 25,-- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick am 29. Dezember 2006

übernommen für den SB im Internet zum 11. April 2007