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BERICHT/041: Die Ethnologin Bettina Beer (Junge Akademie Magazin)


Junge Akademie Magazin - Nr. 6/Juni 2007

Porträt
Von "Katalogbräuten" und "Johnson's Baby Powder"
Die Ethnologin Bettina Beer

Von Uschi Heidel


"Für Ethnologen ist es nicht ungewöhnlich, dass sie mit einem bestimmten Forschungsthema ins Feld gehen und mit einem neuen wieder herauskommen", sagt Bettina Beer. Bei der Heidelberger Professorin war das nicht anders. Als sie die Verwandtschaftsnetze von Philippininnen, die in Deutschland verheiratet sind, auf der Inselgruppe der Visayas beleuchtete, stieß sie nebenbei auf die Negritos. Über diese fast verschwundene ethnische Minderheit gab es bis dahin kaum Material, was Bettina Beer, seit 2003 Mitglied der Jungen Akademie, änderte. Auch der aktuelle Forschungsschwerpunkt der 40-Jährigen, die Ethnologie der Sinne, erwuchs aus Begegnungen und Erfahrungen mit den Menschen auf den Philippinen und in Papua-Neuguinea. In beiden Regionen betreibt die kommissarische Direktorin des Instituts für Ethnologie der Universität Heidelberg seit Jahren immer wieder mehrmonatige Feldforschungen.

Feldforschung heißt Leben in einer einheimischen Familie. "Ich gewinne Einblick in Dinge des Alltags, die mir sonst verschlossen bleiben. Das bedeutet auch, zu lernen mit acht Leuten auf wenigen Quadratmetern zu wohnen", sagt die Ethnologin. So begleitete sie die Negritos auf den Markt, wo sie Heilkräuter anboten, beobachtete den Verkauf und die Kunden. Außerdem führte sie Interviews und ließ die Menschen Kärtchen mit Begriffe sortieren, um verschiedene Denkkategorien zu ermitteln - ein Mix aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden.

"Bei der Feldforschung habe ich als Frau einen doppelten Vorteil", berichtet Bettina Beer: Arbeit und gesellschaftliches Leben verlaufen sowohl auf den Philippinen als auch in Papua-Neuguinea nach Geschlechtern getrennt. Frauen verbringen viel Zeit miteinander, Männer ebenso. "Deshalb habe ich keine Mühe, mit den Frauen in engeren Kontakt zu kommen. Und wenn ich in die professionelle Rolle der Forscherin schlüpfe, werde ich auch von den Männern als Gesprächspartnerin akzeptiert." Durch diesen zweifachen Zugang erfuhr die Wissenschaftlerin ganz andere Dinge als ihr Ehemann, der ebenfalls als Ethnologe in Papua-Neuguinea forschte und dort in derselben Familie wohnte wie sie.

Auf den Philippinen und später in Papua-Neuguinea erlebte Bettina Beer, dass Gerüche eine große Bedeutung im Leben der, Bevölkerung haben. Diese Beobachtungen faszinierten sie so nachhaltig, dass die Ethnologie der Sinne mittlerweile zu ihren zentralen Arbeitsfeldern gehört. Dieses in den Sozial- und Kulturwissenschaften neue Forschungsgebiet konzentriert sich auf die bislang vernachlässigten Sinne Geruch, Geschmack, Gleichgewichts- und Tastsinn. Während in der westlichen Welt Gerüche durch Vergleiche charakterisiert werden - "das riecht wie ..." - kennen die Menschen in den Forschungsregionen der Ethnologin viele spezifische Begriffe für bestimmte Gerüche.


Körpergeruch gehört zur Identität

Gerüche prägen soziale Beziehungen und Rituale. Die Menschen glauben daran, durch Verbrennen besonderer Kräuter Geister beeinflussen zu können, um Krankheiten abzuwehren. Gerüche sollen auch den Kontakt zu den Geistern der Verstorbenen ermöglichen. Außerdem kann der Geruch identitätsstiftend sein. Jeder Gruppe werden spezifische Gerüche zugeschrieben, die auch ausgrenzende Folgen haben können.

In Papua-Neuguinea will Bettina Beer erforschen, wie sich Vorstellungen von Gerüchen wandeln, insbesondere durch den wachsenden Konsum westlicher Produkte. "Wenn ich Kinder nach Gerüchen frage, nennen viele bereits Johnson's Baby Powder." Die Ethnologin stellte fest, dass Babypuder auch in traditionellen Zusammenhängen verwendet wird, weil dieser Geruch plötzlich eine Rolle spielt. Sie will untersuchen, inwieweit dadurch Vorstellungen von Körperlichkeit umgewertet werden. Körpergeruch ist nicht negativ besetzt, sondern gehört in Papua-Neuguinea zum Ausdruck der Identität. Deshalb vermuten manche Menschen, dass Weiße, die sich ständig waschen, etwas zu verbergen haben. Was passiert mit dieser Auffassung, wenn Johnson's Baby Powder in den Alltag integriert wird? Solchen Fragen wird Bettina Beer vor Ort in ihrem Forschungsfreisemester 2008/09 nachgehen.

Darüber hinaus will die Ethnologin den Zusammenhang zwischen Geruch und Geschmack gründlicher erforschen - ein Gebiet, in dem naturwissenschaftliche Fragestellungen hilfreich sein können. Grenzbereiche zwischen Natur- und Geisteswissenschaften reizen Bettina Beer ohnehin. Nach dem Abitur in Hamburg schwankte sie bei der Studienwahl zwischen Biologie/Medizin und Ethnologie. "Heute verstehe ich mich als Sozialwissenschaftlerin mit Nähe zur politischen Wissenschaft. Aber ich schätze es, dass auch naturwissenschaftliche Methoden in der Ethnologie verwendet werden können", sagt sie.

Das zweite große Arbeitsgebiet der Forscherin, die 2004 die AG "Grenzen und Grenzüberschreitungen" gründete, umfasst interethnische Beziehungen und Migration. Es sind Themen, die ihre eigenen Studierenden in Heidelberg unmittelbar betreffen, denn viele stammen nicht aus Deutschland.

In die Thematik stieg Bettina Beer schon während des Studiums in Hamburg ein, wo sie promovierte und sich habilitierte. Anfang der neunziger Jahre wurden deutsch-philippinische Ehen nach Ansicht der Ethnologin von den Medien verzerrt dargestellt. Daraufhin schaute sie hinter den "Frauenhandel" und die Ehen "mit Katalogbräuten" und stellte fest, dass die binationalen Ehe-Arrangements in dichte Verwandtschaftsnetze eingebunden sind - zum wirtschaftlichen Vorteil für die gesamte Familie. Bettina Beer sprach nicht nur mit den Ehefrauen, sondern auch mit deren Familien auf den Philippinen. Dabei wurde deutlich, dass die Ehefrauen keine passiven Opfer waren. Vielmehr waren die deutschen Ehemänner oft sozial naiv und hilflos.

Solange die Vorstellungen über Ehe nicht zu weit auseinanderklaffen, sind die kulturellen Unterschiede in interethnischen Ehen unproblematisch. Allerdings ist das Konzept der Liebesheirat für viele Filipinas nicht zentral. Wenn der deutsche Partner etwas anderes erwartet, kann es schwierig werden.

Interethnische Beziehungen und Migration bestimmen ebenfalls die Forschungen über den sozialen und kulturellen Wandel bei den Wampar in Papua-Neuguinea. Seit 2003 leitet Bettina Beer ein entsprechendes Forschungsprojekt, das in internationaler Kooperation seit 40 Jahren besteht. Die Wampar wohnen in der Nähe der Küste und erleben den Zuzug von Volksgruppen aus dem ärmeren Hochland. Diese Migration verändert das soziale Gefüge, weil durch Heirat verstärkt Land an die Zuwanderer übergeht. Kinder aus diesen interethnischen Beziehungen will Bettina Beer im kommenden Jahr untersuchen.

In diesem Jahr hat die Wissenschaftlerin ein Handbuch veröffentlicht, das aus einer anderen Perspektive Licht auf ihr Fach wirft: "Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie" zeigt die kaum wahrgenommenen Leistungen vieler Forscherinnen, die meist unter ungewöhnlichen Umständen gearbeitet haben.


Bettina Beer:
Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie.
Ein Handbuch.
Köln, Weimar, Wien, Böhlau Verlag 2007


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Quelle:
Die Junge Akademie Nr. 6/Juni 2007, Seite 22-23
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2007