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BUCHTIP/087: Uni Graz - Palästinensische Frauen zwischen Besatzung und Patriarchat (idw)


Karl-Franzens-Universität Graz - 18.01.2012

Neues Buch aus Grazer Universitätsverlag beleuchtet schwierige Situation palästinensischer Frauen


Der Nahostkonflikt beschäftigt seit Jahrzehnten die Weltöffentlichkeit. Im Vordergrund stehen dabei politische Analysen. Die tatsächlichen Auswirkungen für die Menschen in den betroffenen Gebieten finden vergleichsweise jedoch wenig Beachtung, meint Dr. Martha Tonsern. Die Absolventin der Karl-Franzens-Universität Graz hat daher in ihrer Dissertation am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie erstmals ausführlich die besonders schwierige Situation palästinensischer Frauen in Ostjerusalem und im Westjordanland beleuchtet. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sind kürzlich im Grazer Universitätsverlag unter dem Titel "Palästinensische Frauen zwischen Besatzung und Patriarchat" erschienen.

"In den palästinensischen Gebieten sind es die arabisch-palästinensischen Frauen, die die größte Bürde zu tragen haben", ist Martha Tonsern überzeugt. "Sie werden aufgerieben zwischen dem Patriarchat einerseits und der Besatzung andererseits." Nicht nur, dass ihr Alltag geprägt ist von Angst, Terror und der Sorge um ihre Familie, durch ihre Stellung in der patriarchalen Gesellschaft erleben sie auch manche Situationen als besonders belastend. Dazu zählen beispielsweise Kontrollen an den Checkpoints, wo sie von ihren Männern getrennt werden, oder gar die Inhaftierung in israelischen Gefängnissen.

"Gleichzeitig verstärkt die israelische Besatzung jene Repressionen, die Frauen in der patriarchalen Gesellschaft generell erfahren", betont Martha Tonsern. Zum einen durch den wachsenden religiösen Fundamentalismus, in dem die Menschen Sinn, Halt und Hoffnung suchen. Zum anderen weil die Männer aufgrund von Arbeitslosigkeit und Armut ihre traditionelle Rolle als Erhalter der Familie nicht mehr wahrnehmen können und ihre Frustrationen vor allem an den Frauen auslassen. "Die häusliche Gewalt nimmt zu. Therapie- und Zufluchtsmöglichkeiten, wie etwa Frauenhäuser, existieren nicht in ausreichender Form."

Zu ihren Informationen kam die Forscherin großteils über persönliche Gespräche. Sie interviewte zwanzig arabisch-palästinensische Frauen aus Ostjerusalem und dem Westjordanland im Alter zwischen 15 und über 70 Jahren im Zeitraum Februar bis Dezember 2008. Ihre Gesprächspartnerinnen stammten aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten, wobei sich die meisten in einer ökonomisch prekären Lage befanden. Hinzu kamen Gruppendiskussionen sowie Interviews mit Psychologinnen, Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen und Politikerinnen.

Das ist auch das Besondere an Martha Tonserns Arbeit: Die Autorin präsentiert keine Analyse "von außen", sondern lässt die Betroffenen selbst zu Wort kommen, sie über ihre Erfahrungen erzählen und ihre Sichtweisen darlegen. "Ich wollte den Frauen eine Stimme geben, damit sie auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen können", erklärt die Kulturanthropologin.

Darüber hinaus vermittelt das Buch einen Einblick in die arabisch-muslimische Kultur und Denkweise, was nicht zuletzt auch in der interkulturellen Begegnung und Konfliktbewältigung in Ländern wie Österreich hilfreich sein kann.

Buch:
Martha Tonsern
Palästinensische Frauen zwischen Besatzung und Patriarchat.
Eine kulturwissenschaftliche Analyse
Grazer Universitätsverlag 2011

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/de/institution35


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Karl-Franzens-Universität Graz, Mag. Gudrun Pichler, 18.01.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2012