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FORSCHUNG/018: Musikpädagogen an Hochschulen? (Unikult - Uni Dortmund)


UNIKULT Nr. 3, 11-07, Universität Dortmund

Anmerkungen zu Musik als Schulfach und zur Musikpädagogik als Wissenschaft
Musikpädagogen an Hochschulen?

Von Mechthild v. Schoenebeck


Seit Hans Günther Bastians Studie über die positiven Wirkungen intensiver Musikerziehung auf die geistige, psychische und soziale Entwicklung von Kindern aus dem Jahr 2000 hat die Musikpädagogik erheblich an Kreditwürdigkeit gewonnen. Möglicherweise haben Bastians Ergebnisse einer wachsenden Zahl von Politikern erst ins Bewusstsein gerufen, dass die Beschäftigung mit Musik wichtig und wertvoll ist und daher mit öffentlichen Mitteln gefördert werden muss.

Denn trotz mehr als sechs Millionen aktiver Laienmusiker und einer Million Musikschüler (vgl. Deutscher Musikrat, www.miz.org) gilt hierzulande die Verantwortung für die fundierte musikalische Bildung als eine private Angelegenheit. Zudem wird das Fach Musik so stark mit sachfremden gesellschaftspolitischen Zielbestimmungen betrachtet wie kein anderes Schulfach.

Was findet sich nicht alles an übergeordneten Lernzielen in den Richtlinien! Spätestens wenn man von der Erziehung zu Toleranz und von Gewaltprävention liest, fragt man sich, ob denn Musikerziehung allein für die Lösung gesellschaftlicher Probleme zuständig sei. Und diese Frage wird umso drängender, je mehr Musikunterricht an Schulen ausfällt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sei es aus Mangel an Fachlehrern, aus fehlendem Interesse oder wegen anderer Prioritätensetzung durch die Schulleitung oder aufgrund bildungspolitischer Weichenstellungen wie Oberstufenreformen und Abiturregelungen - oftmals bleibt das Unterrichtsfach Musik auf der Strecke.

Kein Schulfach steht so unter Legitimationsdruck wie Musik, in keinem Fach unterrichten so viele fachfremde Lehrkräfte ("Neigungsfach"), vor allem in Grundschulen, und kein Fachlehrer sieht sich so unerbittlich mit den Präferenzen der Schüler konfrontiert wie der Musiklehrer.

Da grenzt es fast an ein Wunder, dass sich immer noch und immer wieder junge Menschen für ein Studium der Schulmusik oder der Allgemeinen Musikerziehung entscheiden, die Hürde der Aufnahmeprüfung überwinden und ein anstrengendes, komplexes Studium absolvieren.

Nur Eingeweihten ist bewusst, dass sich die Musikpädagogik aus sehr unterschiedlichen Teildisziplinen zusammensetzt: Es gibt nach Sigrid Abel-Struth (Musik und Bildung 2/1980) die wissenschaftliche Musikpädagogik an Universitäten und Hochschulen, die für das theoretische Fundament sorgt (historische und systematische Musikpädagogik, Grundlagenforschung), die Musikdidaktik (im Übergang zwischen theoretischer und praktischer Musikpädagogik) und die praktische Musikpädagogik (u. a. Unterrichtsmethodik, musikalische Früherziehung, Instrumental- und Vokaldidaktik, Chorarbeit etc.).

Im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist nur die praktische Musikpädagogik präsent: Musikschulen, Jugend musiziert etc. werden wahrgenommen und gelten als Legitimation für ein kostspieliges System der musikalischen, Begabtenförderung. Die Bemühungen um musikalische Breitenarbeit (z.B. der "normale" Musikunterricht) treffen hingegen auf geringes öffentliches Interesse, allenfalls werden besonders erfolgreiche Arbeitsergebnisse auf dem Musikschultag oder der Bundesschulmusikwoche präsentiert. Auch das öffentliche Interesse an musikpädagogischer Forschung ist gering oder wird von falschen Erwartungen geleitet.

Gegenstand musikpädagogischer Forschung ist nicht die Musik als Kunstform - dafür ist die Musikwissenschaft zuständig -, sondern die Prozesse der Aneignung und Vermittlung von Musik. Zentrale Fragen sind, wie musikalisches Lernen "funktioniert" und mit welchen Maßnahmen es gefördert werden kann. Für Forschung in diesem Bereich orientiert sich die Musikpädagogik an einschlägigen Erkenntnissen aus Psychologie, Soziologie und Neurobiologie. Ihre (quantitativen und qualitativen) empirischen Forschungsmethoden stammen überwiegend aus den Sozialwissenschaften. Themen der empirischen musikpädagogischen Forschung der letzten Jahre waren etwa 'Musikalisches Lernen in der Ensemblearbeit mit erwachsenen Laien' (Eibach), 'Musikinstrumentenpräferenzen in Schulen' (Müller/Burr) oder 'Instrumentale Lernabbrüche in der populären Musik' (Herold). Die hier und im folgenden zitierten Arbeiten sind musikpädagogische Dissertationen bzw. Habilitationsschriften an verschiedenen Universitäten.

Die historische Musikpädagogik befasst sich mit Aspekten der Musikerziehung vergangener Epochen. Sie arbeitet mittels philologischer und hermeneutischer Verfahren an Quellen, untersucht Formen der musikalischen Sozialisation in früheren Epochen sowie Biographien einzelner Musikpädagogen aus der Geschichte. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Fachgeschichte. Historische Arbeiten der letzten Zeit thematisieren 'Unterhaltung und Belehrung im Jesuitenmusiktheater um 1700' (Erlach), 'Volksbildung oder Deutschtümelei? Uhland-Vertonungen im Umfeld der Revolution von 1848/49' (Sauerwald) sowie 'Die deutsche Belcanto-Schule der Spätromantik' (d'Andrea).

Die vergleichende Musikpädagogik hat musikalisches Lernen und Sozialisation in anderen Ländern im Visier; sie untersucht auch die dortigen Institutionen und öffnet damit die Perspektive über den eigenen Tellerrand hinaus. Eine derzeit viel zitierte vergleichende Arbeit ist 'Every Child For Music. Musikpädagogik und Musikunterricht in den USA' (Kertz-Weizel).

Die Grundlagentheorie - also die wissenschaftstheoretischen Fundamente der Musikpädagogik - ist seit den 1980er Jahren zu einem zentralen Bestandteil der musikpädagogischen Forschung geworden. Sie klärt auch terminologische Fragen, betreibt Sprachkritik und hilft bei methodischen Problemen. Neuere Arbeiten thematisieren z.B. 'Bedeutung und Bedeutsamkeit - Interpretation von Musik in musikpädagogischer Dimensionierung' (Krause), 'Der schwankende Boden der Lebenswelt. Phänomenologische Musikpädagogik zwischen Handlungstheorie und Ästhetik' (Vogt) oder 'Verstehen - Hören - Handeln. Destruktion und Rekonstruktion der Begriffe' (Flämig).

Arbeiten zur musikpädagogischen Unterrichtsforschung haben in den letzten Jahren erheblich an Zahl und Bedeutung zugelegt. Zur Zeit laufen beispielsweise Untersuchungen zu den Themen 'Beeinflussung von Musikpräferenzen bei Grundschulkindern' (Lehmann-Wermser u. a.), 'Dialogische Prozesse in der Instrumentalpädagogik' (Moritz) und 'Gruppenkompositionsprozesse im Musikunterricht der gymnasialen Oberstufe' (Kranefeld).

In Dortmund liegt ein Schwerpunkt auf historischer musikpädagogischer Forschung. Allerdings entstanden hier auch unterrichtsbezogene Arbeiten zu Themen wie 'Instrumentalunterricht in Kooperation von Musikschule und Schulmusik' (Schewik-Descher) und 'Musikverstehen durch Mathematik' (Brüning).

Musikpädagogische Forschung ist heute im geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskurs gut vertreten und wird zunehmend auch von der Bildungspolitik wahrgenommen. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Schulfachs Musik in der bildungspolitischen Diskussion (vgl. das Projekt "JeKi - jedem Kind ein Instrument" in NRW) ist die wissenschaftliche Musikpädagogik unbedingt ein Fach mit Zukunft - auch an einer technischen Universität.


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Quelle:
Unikult Nr. 3, Beilage zur UNIZET Nr. 394, 11-07, Seite 1
Herausgeber: Fachbereich 16, Universität Dortmund,
Prof. Dr. Günter Rötter
Tel.: (0231) 7 55-41 10
E-Mail: guenther.roetter@udo.edu
UNIZET Nr. 394
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UNIZET erscheint neun Mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2007