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SCHULE/251: Mehr Raum für Kreativität für Kinder und Jugendliche (mundo - Uni Dortmund)


mundo - Das Magazin der Universität Dortmund Nr. 9/06

Kunst und Kunstdidaktik im Wandel

Mehr Raum für Kreativität fordert Klaus Busse für Kinder und Jugendliche.


Professor Dr. Klaus Busse ist Professor für Kunstdidaktik am Institut für Kunst und materielle Kultur an der Technischen Universität Dortmund. Bevor der heute 55-Jährige seine akademische Laufbahn einschlug, war er bis 1999 Kunst- und Deutsch-Lehrer. Lange Zeit hat er als Fachleiter für Kunst während seiner Lehrertätgkeit die Verbindung zur Wissenschaft am Studienseminar in Hagen gehalten. Den Mix aus jahrelanger beruflicher Praxis und der Vorliebe für wissenschaftliches Denken und Arbeiten kommt ihm auch heute in seiner Forschung zu Gute. Es gibt einen regen Austausch zwischen ihm und seinen ehemaligen Lehrerkollegen. Das Ziel ist es wechselseitig voneinander zu profitieren. Daraus entstanden sind eine Reihe von Methoden-Atlanten mit Leitkonzepten und pädagogischen Modellen für die Vermittlung von Kunst an Schulen. Viel Zeit um selber Kunst zu produzieren bleibt Professor Klaus-Peter Busse heute kaum noch. Wenn er doch mal zum Pinsel greift, ist seine eigene Frau die schärfste Kritikerin. Während er von seinen Werken überzeugt ist, befindet sie das meiste für "nicht gelungen".


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FRAGE: Herr Prof. Busse, eine frühere Prorektorin der Technischen Universität Dortmund hat über sie gesagt, sie wären der, der wüsste wie man Kindern am besten das Malen beibringt. Würden sie dieser Definition ihres Faches Kunstdidaktik zustimmen?

KLAUS BUSSE: Die Aussage hat meine Kollegin sicherlich nicht sehr ernst gemeint. Sie beschreibt aber ganz gut, welche Erwartungen viele Menschen von dem Fach Kunstpädagogik früher hatten oder immer noch haben. Viele haben wirklich geglaubt wir wären Spezialisten dafür, wie man Kindern eine Begabung für gutes Malen anerzieht und ihnen vermittelt, wie man den Pinsel halten muss, damit man ein »gutes« Bild auf das Papier bringt. Ich merke aber, dass sich die Kunst und damit auch das Bild der Kunstdidaktik in den vergangenen Jahren stark verändert haben. In der zeitgenössischen Kunst dreht sich nicht mehr alles um Landschaftsmalerei oder das Malen von schönen Bildern. Es gibt ja momentan eine wahre Bilderwelle oder Bilderflut in allen möglichen Medienformen und auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man Kunst produzieren kann. Neben althergebrachtem wie Malen, Zeichnen oder dem Formen von Skulpturen kann man heute filmen, fotografieren, Kollagen erstellen oder intermediär arbeiten. Die Kunstpädagogik verstehe ich als eine Form des Erkenntnisgewinns und des Zuwachses von Wissen über den Umgang mit Bildern und Kunst in Vermittlungssituationen. Wie zum Beispiel in der Schule mit Kindern und Jugendlichen im Kunstunterricht aber auch in gesellschaftlichen Kontexten. Etwa der Vermittlung von Kunst an Erwachsene in Museen.

FRAGE: Sie sprechen von Bilderfluten, die aus den Medien auf die Kinder und Jugendlichen einprasseln. Was hat das denn mit Kunst im eigentlichen Sinne zu tun?

KLAUS BUSSE: Jedenfalls viel mehr als man im ersten Moment glauben mag. Man schaue sich nur mal eine Tageszeitung an. Da findet man so viele unterschiedliche Arten von Bildern, dass eine einzelne Ausgabe fast alle Bereiche der Kunst abdeckt. Wir finden abgedruckte Gemälde und andere Bilder über Katastrophen, Migrationen, technische Innovationen und vieles mehr. Dazu kommen aus dem Internet Kurzfilme, die heute jeder selber gestalten kann und allen anderen zur Verfügung stellt. Wir haben in einer Studie auch schon mal Musikvideos von Interpreten wie zum Beispiel Madonna ausgewertet und finden auch dort viele künstlerische Anspielungen. Man darf den Kunstbegriff nicht so stark eingrenzen, wie es im Kunstunterricht früher oft getan wurde und teilweise auch heute noch dargestellt wird.

FRAGE: Haben sie die Befürchtung, dass die Kinder und Jugendlichen aufgrund des Überangebots an Bildern und künstlerischen Ergüssen, Kunst als Einzelwerk nicht mehr würdigen?

KLAUS BUSSE: Nein diese Befürchtung teile ich nicht. Dazu gibt es auch zu viele Gegenbeispiele. Wenn man sieht, wie junge Menschen mit einzelnen Bildern umgehen. Man rahmt sich auch heute noch sein Lieblingsbild und hängt es sich an die Wand oder benutzt es als Hintergrundbild auf seinem Computer. Dazu gehören auch Bilder der Lieblingsmusiker oder Sportidole. Ich denke, dass auch in diesem Olympia-Jahr wieder einige Goldmedaillen-Gewinner mehr, die Wände von jugendlichen Fans zieren.

Dieses »Cut and Paste« in der Kunst hat nicht nachgelassen, sondern eher zugenommen und darum glaube ich auch, dass die junge Generation die Bedeutung einzelner Bilder durchaus zu schätzen weiß. Vielleicht wird die Auswahl schwieriger, aber dafür haben die einzelnen Bilder, die für wichtig empfunden werden einen höheren Stellenwert.

FRAGE: Das heißt aber auch, dass Kinder, denen man früher die Kunst im Unterricht näher bringen wollte, heute durch ihre Mediennutzung mit einer Art Vorbildung in den Kunstraum kommen.

KLAUS BUSSE: Dadurch, dass Kunst heute jederzeit verfügbar ist, kommt es in vielen Fällen zu einer »Self-Education«. Kinder und Jugendliche schauen sich Dinge bei anderen im Internet ab und finden ihre eigene Form von Kunst. Durch Studien haben wir zum Beispiel gelernt, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem was die Schüler im Kunstunterricht malen und den Zeichnungen, die sie in ihrem privaten Lebensraum selber produzieren. In der Schule werden sie gelenkt, bekommen ein bestimmtes Thema und müssen zum Beispiel eine bestimmte einheitliche Form malen. Mit dieser Thematik wird dann auch die gesamte Klassengemeinschaft konfrontiert, und es kommt zu einer künstlerischen Gleichschaltung. In der Privatsphäre dagegen zeichnen Kinder und Jugendliche Bilder aus ihrem Alltagserleben. Der Gegenstand eines Objekts ist dann meist etwas sehr Persönliches. Die jungen Künstler versuchen, ihre Seelenlage oder den Gemütszustand auf das Papier zu bringen. Dazu gibt es in der Schule nicht die Gelegenheit und den nötigen Raum für kreatives, eigenständiges Arbeiten.

FRAGE: Wie müsste sich der Kunstunterricht in den Schulen denn verändern, damit er den Kindern Kunst auf eine Art und Weise näher bringen könnte, die mehr mit ihrer Lebensrealität zu tun hat?

KLAUS BUSSE: An vielen Stellen müsste man mehr Raum für Kreativität lassen und die Kinder und Jugendlichen nicht so stark in eine bestimmte Richtung drängen. Wenn ein Kind zum Beispiel kein Talent für das Malen hat, dann sollte man ihm nicht durch eine schlechte Note den Enthusiasmus für eine künstlerische Entfaltung nehmen. Vielmehr müsste man auch andere Methoden oder künstlerische Strategien anbieten. Vielleicht kann dieses Kind dafür seine kreative Ader beim Erstellen von Kollagen entdecken. Ein Beispiel kann das vielleicht verdeutlichen. Wir beobachten bei Kindern, die eingeschult werden, eine erstaunliche Kreativität und Vielfältigkeit beim Benutzen von Formen und Farben in ihrer künstlerischen Produktion. Sobald sie im Unterricht allerdings anfangen, reale Motive zu malen, also versuchen, einen Baum, ein Tier oder ein Haus zu zeichnen, fangen die meisten Probleme an. Das können dann zwei Drittel der Klasse nicht und die verlieren dann unter Umständen die Lust, sich künstlerisch zu betätigen. Aber es dauert lange, bis sich solche Prozesse in Schulen durchsetzen.

FRAGE: Aber die Vorteile eines kreativeren Unterrichts liegen doch auf der Hand. Stellen die Lehrer einfach auf Stur und lassen generell von Neuerungen die Finger?

KLAUS BUSSE: Ich würde die Schuld nicht bei den Lehrern suchen. Ich war selbst Lehrer und weiß, dass man in der Schule keinen unbegrenzten Handlungsfreiraum hat. Es gibt genügend junge Kollegen, Referendare, aber auch gestandene Lehrer, die versuchen, ihren Unterricht immer wieder durch neue Methoden zu beleben. Das System Schule ist einfach ein sehr starres System, bei dem es zehn, 15 oder bis zu 20 Jahren dauert, bis neue Ansätze und Forschungsergebnisse aus der Wissenschaft durchsickern und schließlich in den Lehrplan aufgenommen werden. Im Fach Kunst ist das besonders schlimm. Hier sind die Lehrpläne schlicht überaltert. Es gibt zum Beispiel aber auch viel zu wenige Gelegenheiten für die Lehrer, an einer Fortbildung teilzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass wir die Chance bekämen, an die Schulen zu gehen und die Lehrer über unsere Erkenntnissen zu informieren, aber das ist nicht vorgesehen.

FRAGE: Wenn es Ihrer Meinung nach bis zu 20 Jahre dauert, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse in den Lehrplänen für den Kunstunterricht an Schulen Einzug halten, was wird dann 2028 in den Lehrplan aufgenommen. Was ist der Inhalt ihrer momentanen Forschung?

KLAUS BUSSE: Wir haben jetzt gerade einen Methodenatlas für den Kunstunterricht zusammengestellt, der im nächsten Jahr erscheinen soll. Er stellt eine Handlungstheorie für Kunstlehrerinnen und -lehrer da. Ich war der Meinung, dass es bisher auf dem Markt nichts Zufriedenstellendes gab und habe in den letzten Jahren daran gearbeitet. Beim nächsten Projekt, das darauf folgen wird, wollen wir uns mit dem Bildverhalten von Jugendlichen beschäftigen. Wir werden über einen längeren Zeitraum die außerschulische Bildproduktion von Jugendlichen untersuchen. Meine Ausgangshypothese ist, dass junge Menschen sehr kompetent und selbstständig im Umgang mit Kunst und Bildern sind. Man bräuchte sich dafür eigentlich nur mal ein paar Skizzenbücher von Jugendlichen anzuschauen und wäre fasziniert davon, wie ausgeprägt deren künstlerischer Sinn ist. Ich bin davon sehr angetan und freue mich auf dieses Projekt im Jahr 2009. In zwanzig Jahren werden sich die Lehrpläne verändert haben, aber die Spuren des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts tragen. Was Bilder und Kunst betrifft werden wir in zwanzig Jahren aber die Bilderwelt nicht mehr wieder erkennen. Wir brauchen deshalb dringend offene Curricula und Forschung für ihre Grundlagen. Daran arbeiten wir.

Interview: Tim Gabel


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Quelle:
mundo - das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 9/06, Seite 53-54
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Dortmund, 44221 Dortmund
Redaktion: Angelika Willers (Chefredakteurin)
E-Mail: redaktion.mundo@tu-dortmund.de

mundo erscheint zwei Mal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2008