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SCHULE/254: Professioneller Nachhilfeunterricht durchaus effektiv! (Uni Bielefeld)


BI.research 33.2008
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Professioneller Nachhilfeunterricht durchaus effektiv!
Aber die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke

Von Sabine Schulze


Eltern, die ihren Kindern Nachhilfeunterricht angedeihen lassen, investieren ihr Geld gut: 75 Prozent dieser Schüler verbessern ihre Zensuren deutlich um ein bis zwei Noten. Und beweisen damit zugleich, dass das Schulsystem Mängel hat. "Denn diese Schüler haben ja offenkundig das Potenzial; nur ist es an ihren Schulen nicht geweckt worden", sagt Prof. Dr. Eiko Jürgens. Der Erziehungswissenschaftler an der Universität Bielefeld hat sich des Nachhilfeunterrichts wissenschaftlich angenommen. Dabei hat er den "grauen Markt", also die Nachhilfe, die Schüler oder Studenten erteilen, ignoriert, da er ohnehin schwer zu erfassen ist, und sich auf die Profis am Markt konzentriert. Der private Bildungsmarkt boomt, stellt Jürgens fest. "Nachhilfe zu bekommen ist auch längst keine Schande mehr." Die großen Anbieter in Deutschland sind der Studienkreis und die Schülerhilfe: Beide sind an mehr als 1000 Standorten vertreten. Der Studienkreis hat Jürgens, der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Nachhilfeunterrichts untersucht hat, Einblick gewährt. Längst sind es nicht nur die "Fünfer-Kandidaten", die schlicht das rettende Ufer und die Versetzung erreichen wollen und Notfallhilfe brauchen: So mancher Pennäler möchte von "befriedigend" auf "gut" kommen, andere wollen sich stabilisieren. "Gymnasiasten nehmen den Zusatzunterricht am häufigsten in Anspruch", ergänzt Jürgens. Und das Fach, in dem es besonders hapert, ist Mathematik. Zu den Motiven, bei den Profis Hilfe zu suchen, gehört auch, dass Eltern und Kinder nicht gemeinsam arbeiten können: Mutter oder Vater reagieren auf die Schwäche des Nachwuchses nicht angemessen, und die Lehrsituation belastet das Familienklima und die emotionale Beziehung zum Kind.

In der Schule mangelnde Bereitschaft zur Differenzierung Und tatsächlich leisten die Nachhilfe-Schulen gute Arbeit: Nach sechs bis neun Monaten haben sich drei Viertel der Jugendlichen deutlich verbessert, durch die Bank haben die Schüler zudem das Gefühl, dass ihnen der Zusatzunterricht geholfen hat. Für Jürgens ist das Ergebnis nicht ohne Ironie: "Die Schule attestiert erst, dass diese Kinder leistungsschwach sind und gibt ihnen Monate später bessere Noten." Nun ist dem Pädagogen klar, dass in einer Schulklasse bis zu 30 Kinder sind, in einer Nachhilfeeinrichtung aber in kleinen Gruppen gelernt wird. "Homogen sind die aber auch nicht: Da sitzen durchaus Schüler nebeneinander, zwischen denen mehrere Noten liegen." Den Misserfolg der Schule führt er auf die mangelnde Bereitschaft zur Differenzierung zurück: "Wir haben die Schüler gefragt, wie sie sich in ihren Schulen mit ihren schlechten Leistungen gefühlt haben. Sie sagten, sie seien für die Lehrer Luft gewesen, hatten nie das Gefühl, dass ein Lehrer sie fördern wollte oder auch nur einen Differenzierungsversuch unternommen habe."


Kleingruppenstruktur nicht ausschlaggebend

Die Erfolge der privaten Nachhilfeschulen sieht Jürgens in einer anderen Lehrer-Schüler-Beziehung: "Beide haben ein gemeinsames Interesse: Der Schüler soll den Stoff beherrschen." Dabei sei der Lehrer nicht der, der Fehler suche. Und er habe vor allem nicht die Zensuren-Keule zur Verfügung. "Dass er mit einer kleinen Gruppe arbeitet, ist nämlich nicht das Ausschlaggebende - auch, wenn die Lehrergewerkschaft das sofort vermutete." Die einst als revolutionär anmutende Idee von externer Leistungskontrolle schon in der Grundschule findet Jürgens reizvoll. "Dann müssten sich die Lehrer auf ihre Pädagogik verlassen", schmunzelt er. Die Effizienz der Nachhilfeschulen ist für ihn letztlich eine Ohrfeige für das Schulsystem. "Denn die Schüler hätten es ja packen können." Selbst wer nur in Englisch Unterstützung bekam, verbesserte sich oft noch in anderen Fächern: "Den Schülern wurden Lernstrategien und -techniken vermittelt, und sie wurden in ihrer Persönlichkeit gestärkt. In der Folge beteiligten sie sich auch mehr am Unterricht." Dennoch sieht Jürgens das Ergebnis seiner Untersuchung nicht unkritisch: "Nachhilfe ist ein Beitrag zur Chancenungleichheit. Nicht alle Eltern, deren Kinder die Fähigkeiten hätten, haben das Geld dafür."


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Quelle:
BI.research 33.2008, Seite 16-17
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2009