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SCHULE/261: Förderprojekt für Kinder aus Zuwandererfamilien (highlights - Uni Bremen)


highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen

Besseres Deutsch - bessere Zeugnisnoten


Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien haben in Deutschland schlechtere Bildungschancen als ihre Klassenkameraden ohne Migrationshintergrund. Ein wichtiger Grund dafür liegt in der Sprachkompetenz. Ein Förderprojekt der Universität Bremen hilft, diese Kompetenz gezielt zu verbessern - mit großem Erfolg. Profiteure sind nicht nur Schüler, sondern auch angehende Lehrerinnen und Lehrer.


Nicht selten klopft es bei den Professorinnen Yasemin Karakasoglu und Stefanie Haberzettl oder bei Projektkoordinatorin Katja Baginski unangemeldet an der Tür. Dann steht wieder einmal eine Schülerin oder ein Schüler mit Migrationshintergrund vor der Tür. Ihr Wunsch: Ein Platz im "Bremer Förderprojekt von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund". Im Frühjahr 2006 musste dafür noch Werbung in Bremer Schulen gemacht werden. Heute ist das Projekt dank der Mund-zu-Mund-Propaganda von zufriedenen Jugendlichen ein Selbstläufer.

Der Hintergrund des Projektes: Junge Menschen aus Zuwandererfamilien haben schlechtere Bildungschancen, und das hat viel mit ihrer Sprachkompetenz zu tun (siehe unten: "Die Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund"). "Unsere Sprachvermittlung hier ist aber keine Erfindung aus Bremen. Schon seit Jahren unterstützt die Mercator-Stiftung bundesweit Förderunterrichts-Projekte für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund", sagt Yasemin Karakasoglu. An der Universität Duisburg-Essen beispielsweise kommen mehr als 700 junge Menschen regelmäßig zum Förderunterricht.

Seit zwei Jahren tun sie das auch in Bremen. Anfangs waren es 60 Jugendliche der Sekundarstufe I (ab 5. Klasse) die sich ein- bis zweimal wöchentlich auf den Weg an die Uni machten. Heute sind es rund 160 Jugendliche der Sek. I und der Sek. II (ab Klasse II). Sie opfern ihre Freizeit, um in der Schule besser zu werden. Dass es in den 90-minütigen Kursen an der Uni - aber auch in den Schulen selbst - vor allem um ihre Sprachkenntnisse geht, ist den meisten nicht bewusst: "Viele Schüler wissen gar nicht, wie viel Nachholbedarf sie tatsächlich haben. Denn die sprachliche Bewältigung des Alltags bereitet ihnen normalerweise keine Probleme. Geschriebene Texte oder anspruchsvollere Sprechanlässe offenbaren aber den Förderbedarf", so Stefanie Haberzettl, die bis vor kurzem an der Universität Bremen gelehrt hat und nun an der Uni Oldenburg tätig ist. Zudem hören viele Lehrer über Sprachdefizite hinweg. Gerade deshalb bietet das Projekt eine umfassende Sprachförderung an. Es vermittelt eine bessere deutsche Sprache - eingebettet in "Nachhilfe" in Englisch, Mathematik, Deutsch oder Physik.

Welche Biografie die Migrantenkinder und -jugendlichen aufweisen, welche Bildungskarriere sie haben, wie der häusliche Hintergrund und der Bildungsstand der Eltern ist, in welchen Fächern es hapert - das erfährt Projektkoordinatorin Katja Baginski im Erstgespräch. Hier werden auch gleich die Regeln für die Förderkurse geklärt. Die Eltern werden mit einbezogen, Verbindlichkeit groß geschrieben. "Unsere Erfahrungen sind positiv - der überwiegende Teil kommt gern und regelmäßig", sagt Katja Baginski. Sie ist unter anderem Lehrerin für "Deutsch als Fremdsprache" und teilt die Jugendlichen gezielt in Kleingruppen auf.


Mehr Sprechanlässe als in der Schule

In diesen gibt es dann - auch wenn das Thema vielleicht Mathematik ist "wesentlich mehr Sprechanlässe, als es jemals in einer großen Schulklasse der Fall ist", so Yasemin Karakasoglu. In Workshops werden die Lehramts-Studierenden, die den Unterricht leiten, gezielt auf diese Situation vorbereitet. Sie achten genau auf gutes und richtiges Deutsch. Etwas, das im Schulalltag nach Ansicht der Linguistin Stefanie Haberzettl zu kurz kommt: "Es gibt viele Lehrer, die in ihrem Unterricht 'flapsig' sprechen. Oftmals reden Sie wie die Kinder und Jugendlichen, weil sie ihnen näher sein möchten. Doch sie nehmen ihnen damit die Chance, korrektes Deutsch zu hören."

Den derzeit 35 "Lehrern" im Förderprojekt passiert dieser laxe Umgang mit Sprache nicht. Als Lehramts-Studierende profitieren sie ebenso von dem Projekt wie die Schüler. Denn in Workshops, die für die reguläre Lehrer-Ausbildung an der Bremer Uni anerkannt sind, lernen Sie alles, was sie für diese Art von Unterricht brauchen - und können das Gelernte dann sofort in der Praxis anwenden. "In diesen Seminaren werden viele Aspekte vertieft, die im 'normalen' Lehramts-Studium nur angerissen werden", sagt Yasemin Karakasoglu. "Was bedeutet es, mehrsprachig aufzuwachsen und dabei Deutsch als Zweitsprache zu erlernen? Was ist denn richtiges und gutes Deutsch? Wie verhält sich ein gutes sprachliches Vorbild? Welchen Vourteilen kann man als Lehrer gegenüber Zuwanderern aufsitzen, wie geht man damit um? Wie 'misst' man Sprache und schätzt einen Sprachstand ein? Welches Selbstbild habe ich als Lehrer?" Letztlich, so die Hochschullehrerin, gehe es um "Sensibilisierung und Bewusstseinsschärfung". Und weil dies bei Lehrern einfacher ist, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sucht das Projekt vorrangig auch Studierende mit Migrationshintergrund.


"MiCoach" - der persönliche Trainer

Mittlerweile besteht das Bremer Förderprojekt aus drei Bausteinen. Neben dem beschriebenen Kleingruppen-Unterricht gibt es die "performativen Spiele": Mit einem theaterpädagogischen Ansatz werden die sprachlichen Ausdruckfähigkeiten der Schüler gezielt verbessert. Baustein Nr. 3 ist "MiCoach": Jugendliche mit Migrationshintergrund aus der Sek. II, die später einmal an die Uni wollen oder eine andere weiterführende Ausbildung anpeilen, bekommen einen Studierenden als persönlichen Trainer. "Diese Studierenden kommen ebenfalls aus Zuwandererfamilien. Sie machen ihre Schützlinge mit allem vertraut, was zum Beispiel mit Studium zu tun hat: Mensa, Seminar, Bibliothek. Und 'nebenbei' arbeiten sie auch noch an der Sprache", erläutert Yasemin Karakasoglu.

Die Ergebnisse nach zwei Jahren zeigen, dass der Förderprojekt-Ansatz richtig ist: Die Zeugnisnoten der Schülerinnen und Schüler haben sich durchweg verbessert. "Ein besonderer Erfolg ist, dass wir mittlerweile drei Kurse mit Sonderschülern haben, die den Sprung in die Hauptschule geschafft haben", freuen sich die Verantwortlichen.

In dem Projekt wird jedoch nicht nur gelehrt, sondern auch geforscht. Zusammen mit den beiden Hochschullehrerinnen verfolgt Dr. Katja Cantone sehr genau die Fördereffekte. Dafür müssen die richtigen Instrumente zum Teil erst entwickelt werden beispielsweise das Bremer Sprachdiagnoseverfahren für Deutsch in der Sekundarstufe I, mit dem die Textproduktion der Schüler untersucht werden kann. Keine einfache Arbeit, denn dieses Diagnoseverfahren soll eines Tages in ganz Deutschland anwendbar sein und muss deshalb höchsten Ansprüchen genügen. Zudem entstehen im Rahmen des Projektes viele Examens- und Diplomarbeiten über Bildungszugänge und Bildungsbiographien von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Beobachtet wird auch, ob und wie sich das Sozialverhalten und der Umgang mit der deutschen Sprache durch den Besuch des Projekts verbessern.


Bremer Förderprojekt für Kinder und Jugendliche mit Mitgrationshintergrund
Universität Bremen
Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften

Katja Baginski (Projektkoordinatorin)
E-Mail baginski@uni-bremen.de
www.interkulturelle-bildung.uni-bremen.de


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"Gute Übung für den späteren Schulalltag"

Nadja Belova ist Lehramts-Studentin der Germanistik und Chemie im 4. Semester und eine der "Lehrerinnen" für Schüler mit Migrationshintergrund. "Im Moment lehre ich viel Mathematik. Auch da geht es oft mehr um sprachliche als um mathematische Probleme: Wie ist die Aufgabe gemeint? Viele Schüler haben Probleme, sich dabei richtig auszudrücken. Hier versuche ich, zu helfen." Sprache soll bei ihr eine Rolle spielen - zum Beispiel, in dem sie die Schülerinnen und Schüler dazu animiert, eine zur Aufgabe passende Geschichte zu erzählen. Fast jeden Monat besucht Nadja Belova eine Fortbildung, die die Projektverantwortlichen anbieten - und im Projektbüro steht für sie aktuelle Literatur zum Thema "Bildung von Migranten" bereit. "Ich habe schnell gemerkt, dass ich viele falsche Vorstellungen von dieser Art Unterricht hatte. Allein durch die praktische Tätigkeit habe ich schon viel gelernt. Nur wenige Lehramts-Studierende haben die Möglichkeit, eine solch heterogene Gruppe zu unterrichten." Schwierig sei für sie manchmal, schnell zwischen unterschiedlichen Themen und Schülern "umzuschalten" - "von daher ist meine Tätigkeit schon mal eine gute Übung für den späteren Schulalltag."


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Die Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund

ist seit den PISA-Studien ein Thema. Bei diesen internationalen Untersuchungen von Schulleistungen werden die alltags- und berufsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger Schüler gemessen. Eines der überraschenden Ergebnisse für Deutschland: Obwohl Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund eine überdurchschnittlich hohe Lernmotivation aufweisen, sind ihre Schulleistungen schlechter als die von Altersgenossen ohne Migrationshintergrund. Kein kleines Problem - denn rund 25 % der jungen Menschen haben diesen Migrationshintergrund.

Die Gründe für das schlechtere schulische Abschneiden sind vielschichtig. In der Analyse der PISA-Ergebnisse stellten Experten nachhaltig den Aspekt heraus, dass vor allem die Beherrschung der deutschen Sprache wichtig ist. Denn auffällig ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund seltener ein Gymnasium oder eine Realschule besuchen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Offenbar ist für Kinder aus Zuwandererfamilien die Sprachkompetenz also die entscheidende Hürde in ihrer Bildungslaufbahn.

Genau hier - bei der gezielten Sprachvermittlung - setzt das seit Februar 2006 laufende "Bremer Förderprojekt für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund" an der Universität Bremen an. Es wird vor allem von der Essener Stiftung Mercator, aber auch von der Bremer Senatorin für Bildung und Wissenschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Uni Bremen gefördert.


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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 20 - Dezember 2008, S. 8-13
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen,
Redaktion: Universitäts-Pressestelle
Postfach 33 04 40, 28334 Bremen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2009