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MELDUNG/277: Musik als Instrument des Stressmanagements - Egal was, das Warum zählt (idw)


Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) - 04.08.2015

Musik als Instrument des Stressmanagements: Egal was, das Warum zählt


Das Hören von Musik im Alltag kann stressreduzierend wirken. Das zeigen Psychologen der Universität Marburg in einer aktuellen Studie. In einer Untersuchung ließen die Forscher 55 Probanden regelmäßig Fragen zum subjektiven Befinden und zu ihrem Musikhörverhalten beantworten. Parallel dazu wurde das Stresshormon Cortisol erhoben. Die Daten zeigen, dass es bei der stressreduzierenden Wirkung der Musik nicht auf die gehörte Musik an sich ankommt, sondern auf die Gründe des Musikhörens.

In vielen Laboruntersuchungen wurde die Wirkung von Musik auf die Stimmung von Probanden untersucht. "Wir wollten die Wirkung des Musikhörens in einem natürlicheren Umfeld untersuchen", sagt Alexandra Linnemann. "Um den Zusammenhang zwischen Musik und Stressabbau noch alltagsnäher untersuchen zu können, haben wir unsere Probanden daher mit Fragebögen, Speichelröhrchen und dem Auftrag, sich selbst zu untersuchen, wieder nach Hause entsandt."


Probanden als Selbst-Befrager

Die Forscher des Music & Health Lab um den Psychologen Urs Nater, Professor für Klinische Biopsychologie, untersuchten 55 Studierende in zwei unterschiedlich stressigen Phasen während eines Semesters. Die erste Befragung fand an fünf aufeinanderfolgenden Tagen zu Beginn des Semesters statt, eine in der Regel eher wenig stressige Studienphase. Die zweite Befragung war an fünf aufeinanderfolgenden Tagen am Ende des Semesters, in der stressigen Klausurenphase. Allen Probanden wurde zu Beginn der Datenerhebung ein iPod¸ touch (mit der App iDialogPad) ausgehändigt, auf dem sie zuhause jeweils sechs Mal am Tag Fragebögen zu ihrem subjektiven Befinden und zum Musikhörverhalten beantworteten. Sie gaben jeweils an, ob sie seit der letzten Messung Musik gehört hätten, und wenn ja, wie traurig oder fröhlich und wie aktivierend sie diese Musik empfunden haben. Zusätzlich wurden die Gründe des Musikhörens erfragt. Die Probanden konnten ankreuzen, ob die Musik zur "Entspannung", zur "Aktivierung", zur "Ablenkung" oder "um Langeweile zu reduzieren" angehört hatten. Mehrfachnennungen waren möglich. Außerdem sollten sie ihren subjektiv empfundenen Stresslevel zum Zeitpunkt einschätzen.

Eine Teilgruppe von 25 Probanden sammelte in beiden Erhebungsphasen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen außerdem zu jeder Messung Speichelproben von sich selbst und bewahrte diese in vorher beschrifteten Röhrchen im Kühlschrank auf. Diese Proben wurden nach Ablauf der Woche von den Forschern auf zwei biologische Indikatoren, also Hinweise für Stress, getestet - Cortisol und Alpha-Amylase.


Egal was, das Warum zählt!

Die Daten zeigen, dass immer dann, wenn Musik zur Entspannung gehört wurde, die Probanden nicht nur geringeren Stress berichteten, sondern auch geringere Cortisolwerte in ihrem Speichel nachzuweisen waren. Dies war insbesondere für den späten Nachmittag und Abend der Fall.

Die Art der Musik (zum Beispiel traurige oder fröhliche, beruhigende oder aktivierende) hatte hingegen keinen Einfluss auf den subjektiv wahrgenommenen Stress im Anschluss an das Musikhören. Hier zeigte sich jedoch ein anderer Zusammenhang: Musik, die als beruhigend beschrieben wurde, sagte eine geringere Alpha-Amylase-Konzentration im Speichel voraus, unabhängig vom Grund fürs Musikhören. Die Alpha-Amylase ist neben dem Cortisol ein weiterer Biomarker für Stress, der aber offensichtlich unter anderen Bedingungen vom Körper produziert wird.

Die gefundenen Zusammenhänge beziehen sich vor allem auf die tendenziell weniger stressige Woche zu Beginn des Semesters. Diesbezüglich erklärt der Studienleiter Prof. Dr. Nater: "Es scheint so zu sein, dass in Phasen von mehr Stress das bloße Hören von Musik keine entspannende Wirkung entfalten kann. Es wurde aber auch deutlich weniger Musik in der stressreichen Woche gehört. Daraus könnte man folgern, dass in Phasen von erhöhtem Stress weniger Zeit zur Stressreduktion bleibt."

Insgesamt zeigt die Studie, dass Musikhören im Alltag eine vielversprechende Möglichkeit zur Stressreduktion darstellt, und zwar für diejenigen Personen, die sich gezielt entspannen möchten und dafür Musikhören als Mittel auswählen.


Originalstudie:
Linnemann, A., Ditzen, B., Strahler, J., Doerr, J. M., & Nater, U. M. (2015).
Music listening as a means of stress reduction in daily life.
Psychoneuroendocrinology, 60, 82-90.
doi: 10.1016/j.psyneuen.2015.06.008.


Music & Health Lab:
Prof. Nater und seine MitarbeiterInnen beschäftigen sich in verschiedenen Studien mit den bio-psycho-sozialen Grundlagen der positiven Effekte von Musik für unsere Gesundheit. Hierbei werden verschiedene Forschungsansätze miteinander verwoben. So finden auf der einen Seite Experimente im Labor statt. Andererseits werden StudienteilnehmerInnen aber auch in ihrem normalen Alltag getestet. Das Music & Health Lab kann dabei auf modernste Untersuchungsverfahren zurückgreifen und erhebt sowohl psychophysiologische, hormonelle, immunologische als auch genetische Parameter.

Für weitere Informationen:
https://www.uni-marburg.de/fb04/team-nater/forschung/music_and_health

Über die DGPs:
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) ist eine Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Psychologinnen und Psychologen. Die über 3500 Mitglieder erforschen das Erleben und Verhalten des Menschen. Sie publizieren, lehren und beziehen Stellung in der Welt der Universitäten, in der Forschung, der Politik und im Alltag. Die Pressestelle der DGPs informiert die Öffentlichkeit über Beiträge der Psychologie zu gesellschaftlich relevanten Themen. Darüber hinaus stellt die DGPs Journalisten eine Datenbank von Experten für unterschiedliche Fachgebiete zur Verfügung, die Auskunft zu spezifischen Fragestellungen geben können.

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http://idw-online.de/de/institution599

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs),
Dr. Anne Klostermann, 04.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2015

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