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RATGEBER/042: Wenn die Pubertät anfängt ... (welt der frau)


welt der frau 5/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

"Halt mich nicht fest!"
Wenn die Pubertät anfängt, ist die Erziehung zu Ende. Für Kinder und Eltern ist diese krisenhafte Zeit eine enorme Herausforderung

Von Margarethe Schindler


Wendezeiten sind Krisenzeiten, und wenn Kinder anfangen, die Kindheit hinter sich zu lassen, und langsam heranwachsen zu Erwachsenen, dann ist das eine solche Wende- und Krisenzeit. Da geht es um Ablösung und Loslassen, und das ist verbunden mit Auseinandersetzungen, mit Protest, Ängsten und Sorgen. Jugendliche suchen den eigenen Weg, und der ist mit Sicherheit ganz anders, als ihn die Eltern vorzeichnen. Es gibt also Kämpfe, Verunsicherungen und Zweifel. Manchmal sinkt das Vertrauen gegen null, auf beiden Seiten. Immer wieder fühlen sich die Jugendlichen unverstanden, und auf der anderen Seite fragen sich die Eltern, ob denn alles umsonst war, was sie ihnen in all den Jahren beizubringen versucht haben.


Stefan: Null Bock auf Schule

Am Anfang stehen häufig die Schulprobleme. Leistung ist wichtig in unserer Gesellschaft, denn mit ihr sind Ansehen und Lebensstandard verbunden. Wer wünscht sich das nicht für seine Kinder? Also ist man alarmiert, wenn die Noten schlechter werden. Doch manchmal ist der Abwärtstrend trotz Nachhilfe, Ermahnungen und Gesprächen mit den Lehrern einfach nicht aufzuhalten. So wie bei Stefan, der bis zur 8. Klasse ein richtig guter Schüler auf dem Gymnasium war. Dann sackten seine Leistungen ab, er tat nichts mehr für die Schule, blieb sitzen, wechselte ein Jahr später auf die Realschule, dann aufs Internat ... und immer noch keine Besserung in Sicht. Zu Hause herrschten Spannungen und es gab viel Streit, besonders die Mutter war sehr mitgenommen.

Sie und auch ihr Mann hatten in ihrer Schulzeit gar keine Unterstützung von ihren Eltern erfahren. Mit viel Einsatz und Fleiß hat der Vater auf dem zweiten Bildungsweg erreicht, was er heute ist, und die Mutter wusste schon mit zehn, was sie werden wollte. Auch sie hat ehrgeizig ihr Ziel verfolgt und erreicht. Und ausgerechnet ihr Sohn hat sich zum Schulversager entwickelt, zum Null-Bock-Typen.

Oder vielleicht gerade deshalb? Es wäre nicht außergewöhnlich, wenn das Stefans Form der Abgrenzung wäre: Ich mache gerade nicht das, was ihr mir vorgelebt habt und was ihr von mir wollt. Ich gehe meinen eigenen Weg.

Wie schwer das für die Eltern auszuhalten ist! Und doch können sie letztlich nichts anderes tun, als einfach da zu sein, ohne sich aufzudrängen, als ihre Meinung und ihre Sorgen auszudrücken, ohne sich in endlose Diskussionen zu verstricken. Diese Balance zwischen Halt geben durch Klarheit und sinnvolle Regeln (Ausgehzeiten, Aufgaben im Haushalt, gemeinsame Mahlzeiten) und Loslassen (sie ihre Erfahrungen machen lassen, auch wenn diese schmerzhaft sind) ist für Eltern etwas vom Schwersten in der Erziehung.

Stefan wird seinen Weg finden, auch wenn er mit Sackgassen und mühsamen Umwegen verbunden ist. Das können ihm die Eltern nicht ersparen. Loslassen ist angesagt. Denn Druck erzeugt Gegendruck.


David: Erste Liebe, grosses Verstummen

Das gilt auch für die anderen typischen Pubertätsprobleme. Der erste Freund oder die erste Freundin kann eine ganze Familie durcheinanderbringen. So wie bei Familie Keller. Keiner konnte die Freundin von David leiden, weder die Eltern noch der Bruder. Sie war ihnen zu eitel, zu oberflächlich. Dazu kam, dass stundenlang das Telefon blockiert war, dass sie Davids schlechte Laune aushalten mussten, wenn er Streit mit ihr hatte, dass David seine ganze Freizeit nur noch mit ihr verbrachte und am Familienleben praktisch nicht mehr teilnahm. Alle Kommentare und Vorhaltungen nützten gar nichts. David kapselte sich höchstens noch mehr ab.

Auch hier hieß es wieder: Loslassen, vertrauen, präsent sein. Irgendeinen Grund gibt es, warum gerade dieser Mensch so anziehend ist. Zurzeit jedenfalls. Auf ein paar Regeln mussten die Eltern dennoch bestehen: zum Beispiel das gemeinsame Essen am Abend. Am Anfang saß David mürrisch dabei, aber es wurde besser. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind ja deshalb so wichtig, weil sie für die Zusammengehörigkeit stehen, weil bei ihnen die Familienmitglieder in Kontakt kommen und etwas voneinander erfahren. Da erzählt man sich, was man erlebt hat, was man vorhat, wie es einem geht. Manchmal geht es nur ums Zuhören. Manchmal auch um einen Rat oder Mitgefühl.

Die Pubertät ist Erprobungsphase. Es gibt Höhenflüge und Abstürze. All die vielen neuen Erfahrungen - beglückende und schmerzhafte müssen irgendwie verarbeitet werden. Auf die erste Verliebtheit folgt der erste Liebeskummer. Wie gern würden wir Eltern unseren Kindern alles Leidvolle ersparen. Manchmal leiden wir selbst mindestens so sehr wie unsere Kinder. Doch es zeigt sich in jeder Generation aufs Neue: Erfahrungen wirken nicht aus zweiter Hand. Sie müssen selbst erlebt werden. Und die Eltern werden oft nur zum Trösten, Ermutigen oder Beraten gebraucht. Mehr nicht. Gut, wenn man sich da an die eigene Pubertät erinnert. Das kann helfen, zu verstehen und zu vertrauen. Junge Menschen zwischen Kindheit und Erwachsensein wollen ernst genommen werden. Dazu haben sie ein Recht. So wie jeder Mensch, ganz egal, wie alt er ist.


Eva: Nur Verachtung für die Mutter

Die 13-jährige Eva hat ihre alleinerziehende Mutter mittlerweile schon oft zur Verzweiflung gebracht. Bis vor Kurzem noch außerordentlich vernünftig, rücksichtsvoll und hilfsbereit, scheint sie es nun regelrecht darauf anzulegen, ihre Mutter zu verletzen. Als ob sie sich um 180 Grad gedreht hätte. "Mein Gott, so blöd kann man doch nicht sein, dass man das nicht weiß!", war zum Beispiel der verächtliche Kommentar, als sie von der Mutter um eine Erklärung für ihr Handy gebeten wurde. Es sind solche Äußerungen, die die Zweiundvierzigjährige zum Heulen bringen. Sie fühlt sich entwertet und regelrecht klein gemacht. Warum tut Eva das?

Die Mutter hat seit Kurzem einen neuen Freund. Eva ist eifersüchtig. Mama gehört nicht mehr ihr allein. Die Situation entspannte sich, als die beiden ein paar neue Rituale einführten, mit denen sie ihre Gemeinsamkeit pflegten. So gab es nun einen festen Nachmittag in der Woche, den regelmäßig Mutter und Tochter zu zweit miteinander verbrachten, und Eva durfte sagen, was sie sich wünschte. Das waren gar keine großartigen Dinge: Eis essen, einen Einkaufsbummel machen, in den Zoo gehen ... Und bald war das alles gar nicht mehr so wichtig, weil Eva lieber etwas mit ihren Freundinnen unternehmen wollte. So ist es nämlich: Die Gruppe der Gleichaltrigen, die Peergroup, wird immer wichtiger.

Umso besser, wenn Mütter wie die von Eva genügend Quellen für ihre Bestätigung und Anerkennung von außen haben, also beispielsweise über einen Freundeskreis und den Beruf. Dann fallen die pubertären Angriffe nicht so ins Gewicht. Auch die der Eltern, wohlgemerkt. Sie müssen einiges an Respektlosigkeit einstecken in dieser Umbruchszeit. Die Heranwachsenden sind noch lange nicht erwachsen, aber sie tun so. Legen sich an, reiben sich, kämpfen. Da mag man sich schon nach den Zeiten zurücksehnen, als das alte Machtwort noch galt: "Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst, wird gemacht, was ich sage." Aber ernsthaft wird es heute wohl von niemandem mehr in dieser Form ausgesprochen. Und doch sind wieder die klaren Grenzen wichtig. Kein Vater, keine Mutter darf sich vom Kind oder Heranwachsenden beschimpfen lassen. Wobei das durchaus vorkommen kann, im Eifer eines Gefechts. Dann ist aber eine Aussprache wichtig, am besten erst nach einer Weile, wenn sich die Wogen geglättet haben. Die Jugendlichen brauchen eine klare Rückmeldung, wenn sie jemanden beleidigt und verletzt haben. Sie brauchen die Botschaft: "Stopp, so lasse ich nicht mit mir umgehen. (Schließlich gehe auch ich nicht so mit dir um.)"

In der Pubertät ist die Erziehung längst gelaufen. Da geht es nur noch um die Begleitung beim Hineinwachsen in ein eigenverantwortliches Leben, und dabei muss sorgfältig auf den richtigen Abstand geachtet werden. Dass der Weg der Jugendlichen zunächst meistens abweicht von den Wünschen der Eltern, das müssen wir aushalten. Und uns vielleicht von Zeit zu Zeit Khalil Gibrans Text "Von den Kindern" vornehmen, der so viel Entlastendes und Befreiendes enthält.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 5/2008, Seite 12-14
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2008