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SOZIALES/127: Mobbing in der Schule (welt der frau)


welt der frau 9/2011 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Mobbing in der Schule
"Du gehörst hier nicht dazu!"

von Andrea Mann


Mobbing ist keine einmalige Rauferei auf dem Pausenhof, ist keine Meinungsverschiedenheit unter Freundinnen, sondern gezielte soziale Ausgrenzung. Das tiefe Leid, das dadurch zugefügt wird, hinterlässt an der Seele tiefe Narben und bleibt meist lebenslang als belastende Erinnerung.


"Ich werde zornig, wenn mich meine Freundin sekkiert" - stand in wackeliger Schrift im Hausübungsheft von Anna. Claudia S. war über diese klare Gefühlsaussage ihrer Tochter überrascht. Zorn kannte sie bei ihr nicht. Ihre Welt war bisher unbeschwert. Sie war von Mädchenträumen bestimmt, der Spaß mit den FreundInnen stand immer an oberster Stelle. Bis vor einem halben Jahr. Bis in der Schule das begann, was man so salopp Mobbing nennt. Die beste Freundin wird zum Feind. Und Anna versteht es anfangs nicht - will es nicht verstehen. Abends in den Schlaf weinen, morgens nicht in die Schule gehen wollen. Gespräche mit den Lehrerinnen, die in der Schule ihr Bestes versuchen, um des Konfliktes Herr zu werden. Doch es nimmt kein Ende. "Dein Leben interessiert keinen!" "Du bist eine kleine Dumme!" Solchen Aussagen folgen Ausgrenzung, ständige verbale Sticheleien, schließlich setzt es von der Mobberin auch noch Ohrfeigen. Die kleine Kinderseele leidet. Und die Mutter fühlt sich machtlos. "Den eigenen Kindern gibt man ein Verhalten mit auf den Weg, das den eigenen Moralvorstellungen entspricht. Doch wenn andere anders agieren, andere Moralvorstellungen haben, stößt man an seine Grenzen", sagt Claudia S. Noch vor einem halben Jahr schrieb Anna über das betreffende Kind in ihr Heft: "Ich fühle Wärme, wenn ich meine Freundin Marlene sehe."


Das Opfer

Eine Erklärung dafür, warum ihre Anna plötzlich zur Gemobbten wurde, findet Claudia S. nicht. Bisher hatte sie kein Problem mit ihren FreundInnen oder in der Klassengemeinschaft. Sie ist ein Kind, das leicht Kontakt aufnimmt, ist sportlich, fällt in der Schule weder durch übermäßig gute noch schlechte Leistungen auf. Was ist da passiert, dass Anna zur Außenseiterin wurde? "Dass ein Kind zum Gemobbten wird, hat nichts - wie oft geglaubt - mit individuellen Besonderheiten, wie Übergewicht, Zahnspange oder Brille, zu tun. Sehr gefährdet sind Kinder, die sich nicht wehren können oder wollen", sagt Dr. Rupert Herzog, Leiter der Mobbing- und Gewaltpräventionsstelle der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KiJA) Oberösterreich. Opfer werden auch solche Kinder, die anders sind als die MitschülerInnen - zum Beispiel besonders gute beziehungsweise besonders schlechte SchülerInnen. Was noch dazukommt, ist, dass unser Schulsystem ein hierarchisches ist. Die Lehrerin/Der Lehrer ist die Führungskraft, die die Macht in der Hand haben sollte. Ist das nun nicht der Fall, wird diese Machtposition von anderen ausgefüllt. Und diese Machtausübung durch einzelne SchülerInnen oder eine Gruppe kann zum Mobbing führen.


Der Täter

Für die Eltern von Marlene war es ein Schock, als sie vom Verhalten ihrer Tochter in der Schule erfuhren. Es stellte sich für sie die Frage: Warum wurde mein Kind zum Täter? "Mobber sind meist hoch angesehen, denn Mobbing macht Spaß. Es geht aber auf Kosten anderer", schildert Rupert Herzog. Doch in der Seele des Mobbers schaut es nicht so lustig aus. Denn die TäterInnen sind meist selbst Opfer. Zwar nicht im schulischen Umfeld, aber privat. "Es sind oft Kinder, die in einem anderen sozialen Umfeld negative Beziehungserfahrungen machen, sozusagen eine Ohnmachtserfahrung erleben. Über die Erniedrigung, die der Mobber einem anderen Kind zufügt, erhöht er sich nun selbst und bekommt somit das Gefühl der Macht", sagt Herzog, der selbst viel in Schulen unterwegs ist, um LehrerInnen und SchülerInnen Hilfestellung beim Lösen von Mobbing-Situationen zu geben. Mobber sind auch Kinder, die keine Grenzen kennen, denen die Orientierung im Leben fehlt. Ihnen wird suggeriert, dass man mit Rücksichtslosigkeit sein Ziel erreicht. "Es ist eigentlich auch im Sinne des Mobbers, dessen Verhalten zu stoppen. Denn Täter haben meist Täterkarrieren. Schüler, die mobben, machen das auch später im Beruf", so Herzog.


Streit oder Mobbing?

Mobbing beginnt nicht mit einem großen Streit, sondern harmlos und zieht sich über einen längeren Zeitraum mit demütigenden, abwertenden Handlungen. Dann folgen gezielte Aktionen - und das immer und immer wieder. Für Eltern ist es sehr schwierig zu erkennen, ob es nur eine vorübergehende Streitigkeit ist oder wirkliches Mobbing. Das Ziel ist, dem gemobbten Kind Anerkennung und Zugehörigkeit zu verwehren. Eltern können ihrem Kind in dieser Situation vor allem damit helfen, dass sie ihm die Botschaft geben: "Ich liebe dich. Ich bin für dich da. Ich habe Zeit für dich. Du bist nicht schuld daran. Es gibt keine Rechtfertigung, dass du ausgegrenzt wirst. Ich glaube dir, was du mir erzählst."


Die Wegschauer

Aber die Unterstützung der Eltern des Opfers alleine ist im Fall des Mobbings nicht ausreichend. Auch die LehrerInnen, die Eltern des Mobbers und die MitschülerInnen sind gefordert. Es darf nicht statt, sondern mit den Kindern gehandelt werden. Der Täter muss auf eine wertschätzende Weise mit seinem Fehlverhalten konfrontiert werden. Ihm müssen klare Grenzen gesetzt, bei Vorfällen muss sofort eingegriffen werden. Hier kommen auch die "Ermöglicher" des Mobbings ins Spiel - die Hinschauer, Wegschauer, Mitmacher und Verharmloser. Sie müssen zu Eingreifern werden, dem Opfer Rückhalt geben, denn dann fällt das "Erhöhen durch Erniedrigen" weg. Das Opfer braucht ein Netz, in dem es sich aufgehoben, sicher fühlt. Es muss lernen, sich zu wehren - verbal und auch körperlich. "Das Kind muss lernen, klare körperliche Grenzen zu setzen. Es soll natürlich kein Raufer werden, sondern auf andere Kinder und Lehrer zurückgreifen können, wenn es Übergriffe gibt. Hier gibt es auch die Möglichkeit einer Unterstützungsgruppe, der sogenannten Bodyguards. Mitschüler melden sich dafür freiwillig und haben die offizielle Aufgabe, dazwischenzugehen und dem Mobber zu signalisieren, dass sein Verhalten nicht cool ist", schlägt Rupert Herzog vor.

Da bei Anna und Marlene beide Eltern, die Lehrerin und die MitschülerInnen in Teamarbeit gegen das Mobbing vorgingen, ist es gelungen, dieses zu stoppen. Doch es gibt auch Fälle, in denen es nicht so ein gutes Ende nimmt. Wenn nur eine der Parteien keine Bereitschaft dazu hat, funktioniert es nicht, die Situation zu entschärfen. Dann empfiehlt Herzog als letztes Mittel einen Schulwechsel. "Der Wechsel sollte behutsam sein. In der neuen Schule muss das Problem offen angesprochen und ein Bewusstsein dafür geschaffen werden. Mit diesem Vorgehen machen wir gute Erfahrungen."


Kostenlose, vertrauliche und anonyme Hilfe für Mobbingopfer:
Tel. 0664 152 18 24, E-Mail: mobbingstelle.kija@A1.net.
Infos unter www.kija-ooe.at


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
September 2011, Seite 12-13
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2011