Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PSYCHOLOGIE

VERBAND/100: Zur Situation von Unternehmerinnen und Unternehmern in Deutschland (BDP)


Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
Pressemitteilungen vom 12. und 6. Mai 2010

Erfolgsplus für Unternehmen durch psychologische Expertise

BDP zur Situation von Unternehmerinnen und Unternehmern in Deutschland


Die Zahlen sprechen für sich: Nur 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschlands sind selbstständig. 2009 gab es nur 410.000 Unternehmensgründungen, im Bereich der Spitzentechnologien sogar einen deutlichen Rückgang. Deutschland ist noch ein großes Stück davon entfernt, ein Gründerland zu sein. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen sieht darin eine Gefahr für die wirtschaftliche Zukunft der Bundesrepublik und widmet sich in der Reihe "Psychologie - Gesellschaft - Politik" in diesem Jahr dem Unternehmertum. Der Öffentlichkeit wird der Bericht am Freitag, den 14. Mai, in Potsdam im Rahmen des 8. Kongresses für Wirtschaftspsychologie vorgestellt.

In einer Zeit, in der Brüche und Lücken in der Erwerbsbiografie sowie sich abwechselnde Phasen von angestellter und selbstständiger Tätigkeit zur Normalität geworden und die (Für-)Sorgemöglichkeiten des Staates weitgehend ausgeschöpft sind, haben Wirtschaftspsychologen untersucht, wann Menschen sich für Selbstständigkeit entscheiden, was diese Menschen auszeichnet und sie motiviert, was sie fördert oder auch hindert und wie Psychologie unternehmerischen Erfolg unterstützen kann. Das Thema ist umso wichtiger, als öffentliche Förderung allein offenbar nicht ausreicht, denn diesbezüglich geben Experten Deutschland bereits Bestnoten.

Ein Blick auf erfolgreiche und gescheiterte Unternehmen in Deutschland zeigt übereinstimmend mit wissenschaftlichen Untersuchungen, dass nicht nur das Vorhandensein von Kapital und qualifizierten Arbeitskräften über Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen entscheidet, sondern Unternehmerinnen und Unternehmer selbst wichtige Erfolgsfaktoren sind.

Der BDP lenkt aufgrund seiner Spezifik, anders als das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit seiner Anfang des Jahres verkündeten Initiative "Gründerland Deutschland", den Fokus nicht vordergründig auf die Förderinfrastruktur, sondern auf Gründerkultur, auf Merkmale und Verhaltensweisen, die Menschen haben oder trainieren sollten, um Unternehmen erfolgreich auch über eine längere Zeit führen zu können. Dabei - so wird im Bericht des Verbandes deutlich - geht es neben den wichtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen um die individuelle Förderung und spezifische Beratung von Unternehmerinnen und Unternehmern.

Der diesjährige Bandherausgeber, der Vorstand der Sektion Wirtschaftspsychologie des Verbandes, hat eine Fülle interessanter Beiträge zur psychologischen Expertise für erfolgreiches Unternehmertum zusammengetragen. Der Band vereint Texte zu Themen wie Sicherheitsdenken und Risikobereitschaft, Erfolg und Scheitern, Entrepreneur Education, Gründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus sowie zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Bewertung von unternehmerischem Erfolg.

Ein wichtiges Kapitel stellen die Texte zur Identifikation unternehmerischer Eignung sowie ihren stabilen und veränderbaren Merkmalen dar. Kritisch schauen die Psychologen auf das noch immer große Optimierungspotenzial hinsichtlich einer professionellen Personalauswahl in Deutschland.

Nicht nur aus aktuellem Anlass geht der BDP in seinem Bericht auch auf komplexe und risikoreiche Situationen ein, in denen der Einsatz von psychologischen Verfahren einen strukturierten Prozess zur Problemlösung und Entscheidungsfindung wirksam unterstützen kann.

Der Band endet mit Empfehlungen an Politik und Wirtschaft, Aus- und Weiterbildungsinstitute, die die inhaltliche Nähe zur Initiative "Gründerland Deutschland" erkennen lassen, jedoch mit dem besonderem Fokus auf die psychologische Expertise.

An dem Band haben Wirtschaftspsychologen aus Wissenschaft und Praxis, u.a. von der FU Berlin, TU Dresden, den Universitäten Jena, Koblenz-Landau, Marburg , Regensburg und Trier sowie Experten aus dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Fraunhofer Institut, dem Max-Planck-Institut und dem Institut für Mittelstandsforschung mitgearbeitet.

Download des Berichts unter www.bdp-verband.de/aktuell/2010/bericht/


*


Psychologen machen Mut zur Selbstständigkeit

Erfolgreiches Unternehmertum im Mittelpunkt des BDP-Berichts 2010

Interview mit der Vizepräsidentin des BDP, Thordis Bethlehem.


Bei den bisher erschienenen Bänden der Reihe "Psychologie - Gesellschaft - Politik" ging es dem Verband um die Beschreibung unserer Gesellschaft auf einem bestimmten Gebiet aus psychologischer Sicht und Schlussfolgerungen, die Politik und Gesellschaft daraus ziehen sollten. Es ging um Gesundheit, Prävention und Heilung. Wer sind in diesem Band die Kranken, Gefährdeten bzw. Unterstützungsbedürftigen?

THORDIS BETHLEHEM: Von Krankheit kann nicht die Rede sein. Mit unserem diesjährigen Bericht will der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen zum einen Mut machen zur Selbständigkeit als berufliche Perspektive. Zum anderen denken wir, dass sich gesamtgesellschaftlich etwas verändern muss, damit Unternehmertum sich erfolgreich entwickeln kann. Dazu wollen wir mit unserer psychologischen Expertise beitragen. Zwar stehen Unternehmer und deren Förderung im Fokus des Berichts, diese Personen und ihr Handeln können jedoch nicht losgelöst von politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Entwicklungen gesehen werden. Wenn Sie bei dem Gesundheitsbild bleiben wollen: Wir treten mit unserer Expertise für eine "fittere", beweglichere Gesellschaft ein, die sich durch einen im Vergleich zu heute deutlich vergrößerten Handlungsspielraum aller Akteure auszeichnet.

FRAGE: Im Bericht werden die USA als Beispiel für eine viel größere Bereitschaft angeführt, die eigene berufliche Perspektive in der Selbstständigkeit zu sehen. Ist das für Sie ein Wert an sich, oder welche Merkmale der US-amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft veranlassen Sie, dem nachzueifern?

THORDIS BETHLEHEM: Es sind ja nicht nur die USA, die hinsichtlich der Gründungsaktivitäten weit vor Deutschland rangieren. Der Global Enrepreneurship Monitor 2008 ergab, dass in Deutschland die Zukunftschancen von Gründern deutlich schlechter eingeschätzt werden als in Vergleichsländern. Zusätzlich ist in unserem Land die Angst vor dem Scheitern besonders groß. Hinsichtlich dieser beiden Faktoren - Zukunftsaussichten und Angst vor dem Scheitern - belegt Deutschland Platz 14 von insgesamt 18 Vergleichsländern. Das vorab. Nun zu Ihrer Frage: Selbstständig zu sein, stellt nicht nur für den Unternehmer einen Wert an sich dar. Vielmehr hat Selbstständigkeit weitreichende Bedeutung für die Entwicklung der Gesellschaft, und das mit Konsequenzen, die weit über Wachstums- und Beschäftigungseffekte hinausgehen.

Betonung auf Handlungsspielräume legen statt auf Risiken Jeder Unternehmensgründer nimmt sein Schicksal selbst in die Hand. Er macht sich unabhängig von der staatlichen Versorgung, er übernimmt Verantwortung für sich und seine Mitarbeiter. Unternehmer gestalten die Gesellschaft aktiv mit und sind weniger abhängig vom Arbeitsmarkt als andere. Diese "Kultur der Selbstständigkeit", ein von der Politik viel zitiertes und gefördertes Ziel, steckt angesichts langer Jahre wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Der BDP hat in diesem Jahr das Thema "Unternehmertum" auch deshalb aufgegriffen, weil Unternehmer die Möglichkeit haben, eigene Ziele zu setzten, Ideale zu verfolgen, eigenständig Entscheidungen zu treffen und Handlungsspielräume zu genießen, wie sie abhängig Beschäftigten verwehrt bleiben.

FRAGE: In Zeiten der Globalisierung gibt es gewiss viele wünschenswerten und notwendige Fortbildungen und Beratungsgegenstände für junge oder auch ältere Unternehmer, gegen die Psychologen im Wettstreit um das kostbare Gut "Zeit" antreten müssen. Worin könnte der spezielle Effekt bei einer Fortbildung bzw. Beratung durch Psychologen liegen?

THORDIS BETHLEHEM: Mehr als drei Viertel der Gründer sind nach drei Jahren nicht mehr aktiv, schreibt der KfW-Gründungsmonitor 2009. Das ist persönlich und gesellschaftlich völlig unbefriedigend. Die Psychologie kann auf ganz unterschiedliche Weise zu langfristig erfolgreichem Unternehmertum beitragen. Betrachten wir einmal beispielhaft die konkrete Gründungsphase: Die Motive, aus denen Menschen heraus mit einer Selbstständigkeit liebäugeln, sind vielfältig. Die Kernfrage, ob sie überhaupt die Kompetenzen mitbringen, die für eine erfolgreiche Selbstständigkeit notwendig sind, wird vor der Gründung nicht oder nicht ausreichend bzw. nicht richtig gestellt. Psychologen können mit entsprechenden Methoden Motive und Kompetenzen überprüfen und Empfehlungen ableiten - und damit den potenziellen Gründer in seinem Vorhaben bestärken oder auch das Augenmerk auf Alternativen lenken.


Psychologische Aspekte so wichtig wie Marktkenntnisse

Auch in der Nachgründungsphase gibt es Coachingbedarf. Wenn Mitarbeiter eingestellt werden, wenn sich das Team vergrößert, wenn die Führungsaufgaben des Unternehmers wachsen, dann ergeben sich zahlreiche neue Fragestellungen. Auch für Nachfolger in einem Unternehmen kann es schwierige bis heikle Fragestellungen geben, z. B., wenn sich die Kooperation mit dem Vorgänger als schwieriger erweist denn erwartet. In solchen Situationen zählt weniger die Kompetenz als Ingenieur und Manager, es geht vielmehr um die Gefühle, die im Spiel sind. In diesen Situationen ist psychologische Beratung geboten und hilfreich.

Kurz: Die Berücksichtigung der psychologischen Aspekte ist für potenzielle und junge Gründer mindestens so entscheidend wie Branchenwissen, Beratung zur Finanzierung oder Marktkenntnisse.

FRAGE: Im Bericht wird u.a. die schwierige Lage von Unternehmern in Risikosituationen angesprochen. Kann Risikomanagement mit psychologischer Unterstützung Ihres Erachtens besser gelingen? Und wenn ja, wodurch? Denken Sie, es könnte die Ausmaße einer Krise wie der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise, bei der es ja in hohem Maße um falsch bewertete Risiken ging, beeinflussen?

THORDIS BETHLEHEM: Jede unternehmerische Entscheidung ist mit Risiken verknüpft. Diese Risiken unterscheiden sich in ihrer Bedeutung für das Unternehmen, im Wirkungszeitraum und auch in ihrem Entstehungsort (innerhalb oder außerhalb des Unternehmens). Psychologische Unterstützung kann dabei helfen, nicht nur Risiken zu identifizieren, sondern die dazugehörigen psychologischen Faktoren in das Risikomanagement mit einzubeziehen. So hilft ein ausgeklügeltes Krisenmanagement in der Öffentlichkeit wenig, wenn innerhalb des Unternehmens aufgrund mangelnder Kommunikation und Information die Unsicherheit unter den Mitarbeitern wächst und die Leistung nachlässt.

Zum Risiko sind im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise mindestens zwei Aspekte zu nennen: Ungeachtet des (gerade in Krisenzeiten viel zitierten) großen Einflusses der Psychologie auf die Wirtschaft und die Börse werden psychologische Erkenntnisse im wirtschaftlichen Alltagshandeln eher vernachlässigt. Bei der Bewältigung von Krisen selbst könnte psychologisches Know-how Hinweise für effektives Führungs- bzw. Kommunikationsverhalten bieten.

FRAGE: In großen Unternehmen arbeiten bereits eine ganze Reihe von Psychologen, vorzugsweise im Personalmanagement und in der Personalauswahl. Stellen sich in solchen Positionen auch ethische Fragen, gibt es ethische Konflikte z. B. im Zusammenhang mit Entlassungen, mit Gestaltung von Arbeitsprozessen, die zwar die Produktivität erhöhen, Menschen aber überfordern? Wird psychologische Expertise nicht auch zum Nachteil von Menschen missbraucht?

THORDIS BETHLEHEM: Uns geht es mit diesem Bericht um einen Einsatz psychologischer Erkenntnisse zum Wohle aller Beteiligten. Das kann auch bedeuten, dass Ergebnisse psychologischer Diagnostik den Klienten, der z. B. auf eine Führungsposition hofft, nicht unbedingt erfreuen - aber die nachfolgende Beratung zeigt ihm hoffentlich neue Perspektiven und Möglichkeiten.

Psychologen, die in und für Organisationen tätig sind, werden immer wieder mit Anliegen konfrontiert, die auf einen unethischen Einsatz psychologischer Erkenntnisse abzielen. Und selbstverständlich kann das Wissen der Psychologie auch zum Nachteil von Menschen angewandt werden. Vor dem Hintergrund des Berufes, unser besonderen Verpflichtung der Gesellschaft und dem Einzelnen gegenüber und auf Basis unserer Berufsordnung ist die Zielsetzung jedoch eine andere.


Echte Chance auch für Arbeitslose?

FRAGE: Im Bericht wird darüber geschrieben, wie man unter Arbeitslosen diejenigen ausfindig machen kann, die unternehmerisches Potenzial haben und in daher in diese Richtung gefördert werden sollten. Dazu zwei Fragen: Wie schätzen Sie das unternehmerische Potenzial ausgerechnet in einer Gruppe von Personen ein, die gerade beruflich - aus welchen Gründen auch immer - gescheitert sind? Was müsste wo geschehen, um dieses Potenzial sicher ermitteln und fördern zu können?

THORDIS BETHLEHEM: Die Gruppe der Arbeitsuchenden ist zu heterogen, um generelle Schlussfolgerungen über das vorhandene Unternehmerpotenzial ziehen zu können - auch hier kann unternehmerische Eignung vorhanden sein. Umso wichtiger ist in dieser Gruppe die sorgfältige Diagnostik z. B. der vorhandenen Fertigkeiten und der Motivation - nicht nur die unternehmerische Eignung betreffend, aber diese sollte besonders im Blick sein. Nach der Diagnostik (durchgeführt von Psychologinnen und Psychologen) folgt die konsequente Berücksichtigung der Ergebnisse bei der weiteren Planung und Beratung.

FRAGE: Und wie wollen Sie sicherstellen, dass nicht im Interesse der Anbieter solcher Tests und weiterer Fördermaßnahmen das Potenzial von Arbeitslosen geschönt wird?

THORDIS BETHLEHEM: Die Versuchung ist groß, mit Hilfe einer Existenzgründungsförderung Arbeitsuchende aus der Statistik zu entfernen. Die Agentur für Arbeit könnte in der Existenzgründungsberatung mit anderen Stellen (z. B. Fachverbänden) zusammenarbeiten, um die Eignungsüberprüfung und -beratung auf eine breitere Basis zu stellen.


*


Quelle:
Pressemitteilungen vom 6. und 12. Mai 2010
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
Christa Schaffmann, Pressesprecherin
Am Köllnischen Park 2, 10179 Berlin
Tel. 030 - 209 166 620
Fax: 030 - 209 166 680
E-Mail: presse@bdp-verband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2010