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BERICHT/005: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Hegemoniale Praktiken am Beispiel der genmanipulierten Aubergine (SB)


Tagung "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung"

Katharina Glaab über hegemoniale Praktiken am Beispiel der genmanipulierten Aubergine in Indien


Katharina Glaab - Foto: © 2012 by Schattenblick

Katharina Glaab
Foto: © 2012 by Schattenblick

Frankenfood mobilisiert zum Widerstand

Die Einführung gentechnisch veränderter Agrarpflanzen, vor allem aber solcher, die für die Nahrungsmittelproduktion verwendet werden, ist weltweit umstritten. Dabei gibt es jenseits des Atlantiks, d.h. vor allem in den USA, mehr Befürworter dieser Technik als in den europäischen Ländern. Das stark an Amerika orientierte Indien nimmt hier eine Zwischenposition ein, die unter anderem auf das immer noch akute sogenannte "Bevölkerungsproblem" zurückgeführt werden kann. Trotz seiner steilen wirtschaftlichen Entwicklung leben in Indien mit mehr als 200 Millionen Menschen weltweit die meisten Hungerleidenden. In der globalen Rangliste des Welthungerindex (WHI) 2008 nimmt es mit 23,7 Punkten ("sehr ernst") die Position 66 von 88 klassifizierten Ländern ein. Nicht nur in den Elendsvierteln der Städte, auch auf dem Land leben etwa 25% der Einwohner unterhalb der Armutsgrenze. Wenn also der Einsatz von gentechnisch manipuliertem Saatgut die Reduktion von kostspieligen Agrarchemikalien um 80 Prozent bei gleichzeitiger Verdopplung des Ertrags verspricht, dazu höhere Gewinne für die Bauern bei sinkenden Preisen für den Verbraucher, scheinen die Vorteile und auch die Vernunft zunächst eindeutig für gentechnisch veränderte Lebensmittel als Mittel der Wahl gegen den Hunger zu sprechen. Das erste Lebensmittel, das unter diesem Versprechen eingeführt werden soll, ist die sogenannte Bt-Aubergine, auch wenn sich diese mit einem an Salatgurken angenäherten Sättigungswert vielleicht nicht besonders gut zu diesem Zweck eignet. [1]

Daher war es auch höchst bemerkenswert, daß öffentliche Proteste von Gegnern der Gentechnologie in Indien bereits 2009 einen unerwarteten Erfolg brachten, als der indische Umweltminister Jairam Ramesh das Bt-Brinjal Projekt kurzerhand für unbestimmte Zeit auf Eis legte und zwar nur einen Tag, nachdem das Zulassungsgremium GEAC (Genetic Engineering Approval Committee) am 14. Oktober 2009 mehrheitlich entschieden hatte, daß die Aubergine mit dem genetisch eingeschleusten Bt-Toxin [Brinjal ist der Hindibegriff für Aubergine [2]] als unbedenklich zu bewerten sei und für den Anbau zugelassen werden könne. Er begründete diesen Schritt damit, daß drei der zwanzig Wissenschaftler der GEAC gegen die Zulassung von Bt-Brinjal gestimmt hatten. Nachdem Anfang 2010 auch weitere Konsultationen mit Wissenschaftlern, Agrarexperten, Bauernverbänden, Verbraucherverbänden und Nichtregierungsorganisationen die Zweifel nicht entkräften konnten, wurde auf unbestimmte Zeit ein Moratorium verhängt. Weitere stichhaltige Nachweise der Unbedenklichkeit dieses genveränderten Produkts sind gefordert, konnten aber bis heute nicht erbracht werden. Neue Studien stärken bisher generell die Argumente gegen eine Einführung genveränderter Nahrungsmittel.

Aubergine oder Bt-Brinjal - äußerlich ist dem Gemüse das genetische Potential nicht anzusehen. - Foto: © by Horst Frank, mit der GNU-Lizens für freie Dokumentation über Wikimedia Commons zur Verbreitung freigestellt.

Aubergine oder Bt-Brinjal - äußerlich ist dem Gemüse das genetische Potential nicht anzusehen.
Foto: © by Horst Frank, mit der GNU-Lizens für freie Dokumentation über Wikimedia Commons zur Verbreitung freigestellt

Nimmt man allein den begründeten Verdacht, daß der Verzehr gentechnisch veränderter Auberginen unter anderem Fortpflanzungsprobleme und Leberschäden auslösen kann oder den bereits erbrachten Nachweis, daß das von den genveränderten Auberginen produzierte Bt-Toxin, welches die Pflanze gegen den Auberginenfruchtbohrer, einen in tropischen Gegenden vorkommenden Schädling, resistent macht, überraschend aus den Wurzeln der sogenannten GM-Pflanze in den Boden abgesondert wird und zudem entgegen anderslautender Versprechen der GenTech-Industrie noch jahrelang wirksam im Boden verbleibt, bis es - viel langsamer als vorhergesagt - abgebaut wird [3], sind diese Fakten neben anderen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten vernünftige Gründe genug, um mit dem Verweis an den "gesunden Menschenverstand" oder auch "Common sense" das Bt-Brinjal Projekt kurzentschlossen aufzugeben, ehe es größeren Schaden anrichtet.

Für Katharina Glaab stellt diese Gesamtproblematik allerdings nur den Nebenschauplatz ihrer eigentlichen Analyse dar, die sie im zweiten mit "Technologien in/als Hegemonienbildung" überschriebenen Themenkomplex der gemeinsamen Frühjahrstagung [4] dreier universitärer Einrichtungen im März dieses Jahres vorstellte. Unter dem vielversprechenden Arbeitstitel "The Hegemonic Practices of GM-Food" (deutsch: "Die hegemonialen Praktiken von GM-Nahrungsmitteln") werden aber nicht, wie man bei wörtlicher Übersetzung glauben könnte, die Auberginen (im Sinne von aktiv ins hegemoniale Geschehen eingreifenden "Monster-Auberginen") als Akteure verstanden. Für die Politologin in der Spezialdisziplin Internationale Beziehungen (IB) [5] sind vor allem die politischen und gesellschaftlichen Bewegungen, Machteinflüsse und hegemonialen Interaktionen oder "Kämpfe" verschiedener Akteure von Interesse, die mit der Einführung von neuen Technologien oder "GM-Food" in bestehende oder entstehende hegemoniale Gesellschaftsstrukturen einhergehen. Der in diesem Zusammenhang häufig erwähnte politologische Terminus "hegemonial" bezeichnet, ins Gemeinverständliche übersetzt, bestimmte Vorstellungen in politischer, militärischer, wirtschaftlicher, religiöser oder kultureller Hinsicht, die bereits vorherrschend oder etabliert sind, aber auch mit verschiedenen Mitteln der Macht und Unterdrückung unentwegt aufrecht erhalten werden müssen. Im Falle der Gentechnik muß mit den gleichen begleitenden "hegemonialen Praktiken", die hier in den Fokus gerückt werden, zunächst überhaupt eine Akzeptanz für diese Technologie geschaffen oder die bereits bestehenden Wertvorstellungen so angepaßt und erweitert werden, daß sich die neue Technologie gut integrieren läßt. Diese selbstverständliche Akzeptanz innerhalb einer Ordnung ist das, was Katharina Glaab in ihrem Beispiel als "Common sense" [s.u.] definierte.

Joscha Wullweber, Katharina Glaab und Katrin Ganz in der Diskussion - Foto: © 2012 by Schattenblick

Joscha Wullweber, Katharina Glaab und Katrin Ganz in der Diskussion
Foto: © 2012 by Schattenblick


Ordnung sperrt sich gegen eine Stabilisierung durch Common sense

In dem geschilderten, recht unerwarteten Erfolg einer relativ kleinen Minderheit von Bauern, Verbänden und zivilgesellschaftlicher Gruppierungen in Indien gegen die Einführung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel könnte man nun einen potentiellen Präzedenzfall bzw. ein Gegenbeispiel dafür sehen, wie laut Katharina Glaab eine "hegemoniale, neoliberale Ordnung" quasi durch beständiges "In-Frage-gestellt-werden" bzw. "Bekämpfen" eben nicht - wie sie es ausdrückt - als "Common sense normalisiert" bzw. stabilisiert werden kann. So daß sich GM-Food bei der Einfügung in die bestehende Ordnung als äußerst sperrig erweist.

Ob man die Entwicklung in diesem speziellen Beispiel bereits als einen Paradigmenwechsel innerhalb der Hegemoniebildung verstehen kann, sich also ein bleibender Wertewandel von einer positiven Haltung gegenüber einer technologischen Modernisierung, also Pro-GenTech (Glaab spricht hier auch von Rationalisierungs- und Technokratisierungslogik) zu einer negativen, Gentechnik ablehnenden Haltung vollzogen hat, die dann ebenfalls mit hegemonialen Mitteln verteidigt werden müßte, konnte die Referentin in ihrer dreidimensionalen Analyse nicht bestätigen. Sie glaubt, daß man anhand einer Einordnung dieser Ereignisse in einen aktuellen, praktischen und zum Teil aus eigener Feldforschung generierten Kontext im theoretischen Vergleich mit Gramscis Hegemonietheorie [6,7] und historischen Parallelen [8] bereits ablesen könne, daß auch hier "eine gewisse Entwicklung einer dominanten praktischen Logik" zu erwarten ist, so daß sich in Indien wie weltweit eine "Modernisierung durch genveränderte Lebensmittel" einstellen wird, die dann auch allgemein als durchaus vernünftig verstanden werden dürfte. Letztlich heißt das, es wird sich genau die Entwicklung durchsetzen, die der "gemeine Verstand" bereits vor diesem überraschend geglückten Widerstand gegen GM-Food erwartet hatte.

Obgleich diese Entwicklung praktisch vorgezeichnet zu sein scheint, schien der spezielle Fall für die Politologin immer noch Anlaß genug, zu fragen, "wie können wir daraus Sinn machen oder wie kann man das tatsächlich verstehen?" Diese Frage wird in ihrer Analyse mit ausführlicher Feldforschung aus Interviews mit Praktikern im Bereich der Gentechnologie, zivilgesellschaftlichen Akteuren, Vertretern der Pharmaverbände, Genwissenschaftlern sowie auch Vertretern der Regulierungsbehörden gestützt, aus denen Glaab die subjektive "soziale Logik" herleitet. Die Ergebnisse daraus werden auf einer nächsten, sogenannten "intersubjektiven Analyseebene" objektiviert, d.h. in Anlehnung an ihre ursprüngliche Frage in allgemeinverständlichen Sinn bzw. eine These umgesetzt, die dann zu einem - so die Referentin - "Stück Zeugnis der Entwicklung des historischen Blocks" wird. Das sei ihr Ziel.

Konzentrierte Entgegennahme konstruktiver Kritik - Foto: © 2012 by Schattenblick

Konzentrierte Entgegennahme konstruktiver Kritik
Foto: © 2012 by Schattenblick


Widerstand ist zwecklos?

Offen aber blieb die Frage: Was läßt sich abgesehen von dieser historischen Zuordnung praktisch damit tun? Können wir etwas daraus lernen oder sogar mit theoretisch gewonnenen Werkzeugen in den laufenden Prozeß verändernd eingreifen?

Sebastian Sevigiani sah dieses Manko ganz allgemein in Hegemonietheorien, mit denen man "Kämpfe verstehen könne, aber kein theoretisches Mittel habe, um möglicherweise in Kämpfe einzugreifen". Allerdings sah Sevigiani in dem theoretischen Rückgriff auf Gramsci, den Glaab für den historischen und theoretischen Teil ihrer Analyse heranzog, bereits einen stärker praxisorientierten Ansatz als in anderen Hegemonietheorien. Es sei nur die Frage, wie man die aus dem gramscischen Zusammenhang herausgenommene Theorie wieder in einen praktischen Zusammenhang hineinoperieren könne.

Den Praxisbegriff hatte Katharina Glaab ebenfalls als einen wichtigen Punkt genannt, warum sie ihre Analyse im gramscischen Sinne führt, da ihr Gramscis Herangehensweise ermögliche, "ein Politikfeld als integrales Ganzes zu betrachten und zu erfassen". Und kommentierte kurz, wie Gramsci Machtbeziehungen als Hegemonie darstellt:

Das Orbitationsprinzip sozialer Beziehungen ist hegemonial geprägt. Hegemoniale Ordnung ist immer umkämpft. Politische Kämpfe kommen daher in den Blick. Und es gibt ein dialektisches Verhältnis von Zwang und Konsens, das sich hier in verschiedenen politischen und sozialen Mechanismen widerspiegelt. Nichtsdestotrotz kann eine hegemoniale Ordnung, auch wenn sie so umstritten ist, stabilisiert werden.
(aus dem Vortrag von Katharina Glaab 23. März 2012, TU-HH)

Bei der Frage, wie diese Normalisierung vonstatten geht, kam sie wieder auf den Begriff des Common Sense zurück, der ihrer Meinung nach bzw. nach Gramsci "stark historisch vorortet" sei und auf praktischem Wissen basiere. Wörtlich sagte sie:

Der Common sense normalisiert oder naturalisiert eine bestimmte Representation der Welt, also auch eine hegemoniale Ordnung, kann dabei aber gleichzeitig auch die Ausübung von Macht verschleiern oder auch asymmetrische Machtverhältnisse weiter stabilisieren oder halt so verschleiern, daß man sie gar nicht mehr als das wahrnimmt.
(aus dem Vortrag von Katharina Glaab 23. März 2012, TU-HH)

Das scheint stimmig, wenn auch nicht gerade neu, und könnte aber bei kritischer Betrachtung als Hinweis interpretiert werden, warum selbst eine praxisbezogene Hegemonietheorie so wenig Praktisches an sich hat. Ist doch schon der allein in diesem Bericht mehrfach erwähnte "Common sense" ein unseres Erachtens nach äußerst problematischer und wenig greifbarer Ausdruck, bei dem sich die Frage geradezu aufdrängt:

Wie 'commonsensisch' ist eigentlich Common sense?

Katharina Glaab gab hier schon zu Beginn ihres Referats selbst ein Beispiel für die Widersprüchlichkeit des Begriffs, indem sie bei den versammelten Tagungsteilnehmern einige theoretische Diskussionen als, wie sie es nannte, "Common sense" im Sinne eines allgemeinen Verständnisses oder Konsenses voraussetzte.

Kommentator Timmo Krüger: 'Dieser Blick für Ambivalenzen und Brüche hat mir gefallen.' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kommentator Timmo Krüger: 'Dieser Blick für Ambivalenzen und Brüche hat mir gefallen.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

Abgesehen davon, daß Teilnehmer aus mindestens drei unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen meist sehr unterschiedliche Vorstellungen von gleichen Begrifflichkeiten haben, können wir selbst im Verlauf dieses Berichts mit allein drei Gebrauchsformen dieses Ausdrucks aufwarten, woran sich erkennen läßt, wie verschieden ein doch eindeutig auf allgemeine Verständigung oder auch Übereinstimmung (also letztlich Konsens) abzielender Begriff vor unterschiedlichem Hintergrund oder auch in abweichenden Disziplinen verstanden, interpretiert oder verwendet werden kann. Denn sich auf "gesunden Menschenverstand" zu beziehen, scheint bereits ein Selbstgänger zu sein, den man gern anführt, weil er keine weitere Bestätigung bedarf.

Genau genommen geht die meist als "gesunder Menschenverstand" oder "Gemeinsinn" übersetzte englische Formel "common sense" auf den lateinischen Terminus' sensus communis zurück. Dieser stellt eine Übersetzung des von Aristoteles geprägten Begriffs koine aisthesis dar - "ein innerer Sinn mit Sitz im Herzen, der die verschiedenen Informationen der Einzelsinne zusammenfaßt und beurteilt." Diese alte Interpretation ließ dem jeweiligen Akteur, der sich darauf berief, wesentlich größeren Bewegungsraum, als das im Sinne des "gesunden Menschenverstands" verwendete erfahrungsbezogene und allgemein geteilte, natürliche Urteilsvermögen des Menschen, den wir oft als seinen Verstand bezeichnen. Common sense in der Common sense Philosophie zum Beispiel von Thomas Reids (1710-1796) steht für die Vorstellung, die Wirklichkeit lasse sich nur durch die eigenen Sinne erfassen (kurz: ich glaube nur, was ich sehe). In der Popularphilosophie, die auch Philosophie des gesunden Menschenverstandes genannt wird und von verschiedenen Philosophen von Mendelsson bis Kant vertreten wurde, die sich um seine Bedeutung stritten und so hilfreiche Thesen hervorbrachten wie "diesen zu besitzen sei ein Geschenk des Himmels" und "Im Alltag sei er oft nützlicher als wissenschaftliche Erkenntnisse". Schließlich ließen sie den erfolgreichen Gebrauch des gesunden oder gemeinen Menschenverstandes in den drei Kantschen Maximen gipfeln: "Selbstdenken", "An der Stelle jedes andern denken" und schließlich "Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken". - Man könnte die Auslegungen des Common sense oder Menschenverstands unendlich fortführen.

Keiner dieser sprachhistorisch oder philosophisch verwendeten Deutungen schien uns jedoch so fokussiert, wie in dem von Katharina Glaab verwendeten gramscischen Sinne, in dem das, was als gesunder Menschenverstand bezeichnet wird, zunächst auf hegemoniale Strukturen angewendet und etabliert wird, kurzum als ein (wie zuvor zitiertes) "dialektisches Verhältnis von Zwang und Konsens" aufoktroyiert oder gelehrt wird, was als Common sense zu gelten hat, um die fraglichen Strukturen daraufhin mit dem Argument, sie seien "Common sense", durchzusetzen. Common sense scheint hier zu einem Synonym von Zwang und Konsens zu werden.

Das Konzept erinnert an die Geschichte, in der den recht einfachen Bürgern von Schilda von ihrem Bürgermeister befohlen wurde, Sonnenlicht mit Schüsseln in sein Haus zu tragen, in das der Bauherr vergessen hatte, Fenster einzubauen. Oder passender noch drängt sich das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern auf. Solange niemand den erzwungenen Konsens als "vielleicht doch nicht so vernünftig" hinterfragt oder die kindliche Sinnfrage stellt: "Wieso hat der Kaiser nichts an?", läßt sich auch etwas vollkommen Absurdes "vernünftig" reden bzw. mit entsprechender Macht oder Gewalt durchsetzen. Soviel zu Common sense, der dem eigenen immanenten Anspruch, etwas wiederzugeben über das es eigentlich keine zwei Meinungen geben dürfte, nicht genügen kann.

Uns stellt sich im Nachvollzug der Analyse von Katharina Glaab die Frage, ob die Schlußnote der Referentin, es würde letztlich doch alles auf eine Einführung von genveränderter Nahrung zusteuern, nicht auch aus diesem Glauben an den Common sense oder gesunden Menschenverstand entsteht, der, da er zu unserem Wertesystem gehört, auch über hegemoniale Mechanismen von Zwang und Konsens in uns gefestigt wurde. Somit sollte sich das Augenmerk derjenigen, die etwas an den bestehenden Verhältnissen ändern wollen, vielleicht zunächst auf all das richten, was so gut und richtig erscheint.


Fußnoten:

[1]‍ ‍Indien ist weltweit nach China der zweitgrößte Erzeuger von Auberginen. Die Feldfrüchte werden in Indien auf einer Fläche über 600.000 Hektar angebaut.

Während der Freilandversuche mit Bt-Brinjal von 2004 bis 2006 wurden den Ergebnissen von Mahyco (ein indisches Biotechnologie-Unternehmen, das mit Monsanto kooperiert) zufolge 80 Prozent weniger Insektizide gegen den Auberginenfruchtbohrer und 40 Prozent weniger Pestizide insgesamt eingesetzt, während die Erträge im Vergleich zu der isogenen Ausgangssorte verdoppelt werden konnten. Diese Ergebnisse wurden durch die Freilandversuche des Indian Council of Agricultural Research im wesentlichen bestätigt. Auf dieser Grundlage prognostizieren die Agrarökonomen Vijesh Krishna und Matin Qaim von den Universitäten Hohenheim und Göttingen höhere Gewinne für die Bauern und sinkende Auberginenpreise trotz höherer Saatgutpreise. Der verringerte Insektizideinsatz soll außerdem die Gesundheitskosten für die Bauern erheblich verringern (wobei bereits nachgewiesene Gesundheitsfolgen durch das Bt-Toxin vernachlässigt werden). Siehe auch: www.biosicherheit.de/aktuell/647.indien-streit-gentechnisch-veraenderte-aubergine.html

[2]‍ ‍Bt steht für Bacillus thuringiensis, ein Bodenbakterium. B. thuringiensis produziert kristalline Proteine, die spezifisch auf verschiedene Insektenarten der Ordnungen Käfer, Schmetterlinge, Hautflügler und Zweiflügler sowie Nematoden toxisch wirken, bei Pflanzen, Wirbeltieren und Menschen jedoch wirkungslos sein sollen. Sie sind vollständig biologisch abbaubar. Die genetisch auf sogenannten Plasmiden festgelegte Eigenschaft, das Bt-Toxin zu bilden, wird auf Pflanzen übertragen, die sie dann resistent gegen verschiedene Schädlinge macht.

[3]‍ ‍siehe auch Schattenblick → Umwelt → Landwirtschaft → GENTECHNIK/792: Gesundheitliche Risiken gentechnisch veränderter Auberginen (Testbiotech)
und GENTECHNIK/832: Gift und Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung - Kurs konsequent wechseln (umg)
("umg": umwelt - medizin - gesellschaft - 3/2011)

[4]‍ ‍Die Frühjahrstagung der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), des Arbeitskreises "Politik, Wissenschaft und Technik" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und der Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik der TU Hamburg-Harburg (TUHH) fand am 23./24. März 2012 an der TUHH unter dem Titel "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung" statt.

[5]‍ ‍Die internationalen Beziehungen, häufig zu IB abgekürzt, bilden eine Teildisziplin der Politikwissenschaft, die sich traditionell mit den Beziehungen zwischen Staaten beschäftigt. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Fokus auch auf das Verhältnis von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zueinander erweitert. Zu letzteren können beispielsweise transnationale Unternehmen oder Organisationen gehören.

[6]‍ ‍Hegemonie heißt für Gramsci, "daß die herrschende Gruppe sich auf konkrete Weise mit den allgemeinen Interessen der untergeordneten Gruppen abstimmen wird und das Staatsleben als ein andauerndes Formieren und Überwinden von instabilen Gleichgewichten zu fassen ist [...], von Gleichgewichten, in denen die Interessen der herrschenden Gruppen überwiegen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, d. h. nicht bis zu einem engen ökonomisch-korporativen Interesse (Gefängnishefte 7, 1584).

[7]‍ ‍Antonio Gramsci (geb. 22. Januar 1891 in Ales auf Sardinien, Italien; gest. 27. April 1937 in Rom) war ein italienischer Schriftsteller, Journalist, Politiker und marxistischer Philosoph. Er gehörte zu den Begründern der Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista Italiano). Vom 6. April 1924 bis zu seiner Verhaftung durch die Faschisten am 8. November 1926 war er Abgeordneter im italienischen Parlament. Während seiner Zeit im Gefängnis verfasste Gramsci Texte mit philosophischen, soziologischen und politischen Überlegungen, die 32 Hefte füllen. Sie sind als Gefängnishefte bekannt geworden und bilden ein bedeutendes Werk marxistischen Denkens.

[8]‍ ‍Historischer Block: Aus der Sicht von Gramsci muß jede Gruppe, die nach der Herrschaft in einer modernen Gesellschaft strebt, bereit sein, Abstriche in ihren ökonomischen und gesellschaftlichen Interessen zu machen, mit einer Vielzahl von politischen Kräften den Kompromiß zu suchen und mit diesen Allianzen zu bilden. Gramsci nennt diese Allianzen Historischer Block, ein Terminus, der von Georges Sorel geprägt worden ist. Dieser Block bildet die Basis für eine gesellschaftliche Ordnung, durch welche die Hegemonie der dominanten Klasse mit Hilfe einer Verknüpfung von Institutionen, sozialen Beziehungen und Ideen gebildet und sichergestellt wird. (In Italien wurde dieser Historische Block von den Industriellen, den Landbesitzern, der Mittelklasse und Teilen des Kleinbürgertums gebildet.) Katharina Glaab sieht hier eine Parallele im BioTech Block, der sich aus Multinationalen Konzernen wie Monsanto, der Tochterfirma Mahyco, GenTech-Wissenschaftlern und einer Rationalisierungs- und Technokratisierungsgläubigkeit in der indischen Gesellschaft zusammensetzt.

Gebäudekomplex der TU-Hamburg Harburg - Foto: © 2012 by Schattenblick

TU-Hamburg Harburg - manifestierte Rationalisierungs- und Technokratisierungslogik
Foto: © 2012 by Schattenblick

20.‍ ‍April 2012