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BERICHT/006: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Herrschaftssicherung durch partizipative Politik? (SB)


Tagung "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung"

Anmerkungen zu Petra Schaper-Rinkels Vortrag "Partizipation und die Generierung von Zukunftswissen: Governance oder Gouvernementalität?"



Aus politik- und sozialwissenschaftlicher Sicht richtet sich Technologiekritik nicht allein auf die Technik an sich, sondern schließt auch die Denkweise mit ein, die einer Technikentwicklung vorausgeht. Das wurde auf der gemeinsamen Frühjahrstagung dreier universitärer Einrichtungen zur Technologiekritik im März an der TU Hamburg-Harburg [1] in keinem anderen Vortrag so sehr herausgestrichen, wie in dem der Politikwissenschaftlerin Petra Schaper-Rinkel über "Partizipation und die Generierung von Zukunftswissen: Governance oder Gouvernementalität?". Die Dozentin des Austrian Institute of Technology in Wien erweckte den Eindruck, als suche sie nach der Quelle, wie neue Technologien in die Welt kommen, und wolle mit Blick auf zukünftige Technologien herausarbeiten, unter welchen Bedingungen Wissen geschaffen wird.

Dabei konzentrierte sich die Referentin auf die immer häufiger anzutreffende Partizipation gesellschaftlicher Gruppen an der Wissensbildung bzw. Technologieentwicklung und stellte ihre Betrachtungen unter die Frage, welche der beiden in den Politik- und Sozialwissenschaften gebräuchlichen Konzepte, "Governance" oder "Gouvernementalität", sich besser für ihren Ansatz der Beschreibung dieses Trends eignet oder ob vielleicht beide nicht genügen. Im Anschluß daran kommentierte der Hamburger Sozialwissenschaftler Torsten Junge ihren Vortrag und den Sabine Könningers [2], die beide dem dritten Panel mit dem Titel "Regierungs-Technologien - Regierung der Technologien" zugeordnet waren. Im abschließenden Diskussionsteil wurden Aspekte von Partizipation und Hegemoniesicherung vertieft und ergänzt.

Referentin beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Petra Schaper-Rinkel
Foto: © 2012 by Schattenblick


Governance und Gouvernementalität - eine Begriffsklärung

Der aus dem angloamerikanischen Sprachraum stammende Begriff Governance lehnt sich an "government" an, dem englischen Wort für Regierung. Er ist unscharf definiert, bzw. wird in der Fachliteratur nicht einheitlich verwendet; am treffendsten könnte er mit "Ordnungspolitik" übersetzt werden. Im allgemeinen soll damit eine erweiterte Form des Regierens, jenseits der politischen Rechtsetzung und staatlichen Regulierung, bezeichnet werden. In der Definition der UNO Commission on Global Governance heißt es dazu:

"Ordnungspolitik bzw. Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfaßt sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse angesehen werden." [3]

Die Bedeutung von Governance wird hier sehr breit aufgefaßt und schließt private wie amtliche Institutionen ebenso ein wie Absprachen und Gewohnheiten gesellschaftlicher Gruppen. Wie unterschiedlich aber der Begriff verwendet werden kann, zeigt die in der Politikwissenschaft geläufige Bezeichnung "good governance" bzw. "bad governance". Damit ist "gute" bzw. "schlechte Regierungsführung" gemeint. Die bezieht sich nicht immer auf gesellschaftliche Akteure allgemein und auch nicht auf die politische Opposition eines Landes, sondern wird manchmal zur Beschreibung des Verhaltens einer Regierung oder sogar, beispielsweise bei der Beurteilung afrikanischer Regierungspitzen, auf Despoten und ihre Kamarilla angewendet. Petra Schaper-Rinkel bringt einen weiteren Aspekt in die Definition von "Governance" ein. In ihrem Vortrag erklärte sie, daß für sie das analytische Konzept, mit dem die sogenannten neuen Formen des Regierens untersucht werden, ebenso unter "Governance" falle.

Gouvernementalität wiederum wird eng mit dem französischen Gesellschaftstheoretiker und Philosophen Michel Foucault verbunden, der von einem "Zeitalter der Gouvernementalität" sprach. Er verwendete den Begriff "gouvernementalité" erstmals in einer Vorlesung am 1. Februar 1978 zu "Sécurité, territoire et population" (Sicherheit, Territorium und Bevölkerung). Foucault hat den Begriff häufig umrissen und in verschiedenen Zusammenhängen seiner Beschäftigung mit "Regierung" beleuchtet. Sein in der Sekundärliteratur vermutlich am häufigsten rezipierter Definitionsversuch, der aus einer Vorlesung stammt, lautet:

"Mit diesem Wort 'Gouvernementalität' möchte ich drei Dinge sagen. Ich verstehe unter 'Gouvernementalität' die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische, wenn auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat. Zweitens verstehe ich unter 'Gouvernementalität' die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus geführt hat, den man über alle anderen hinaus die 'Regierung' nennen kann: Souveränität, Disziplin, und die einerseits die Entwicklung einer ganzen Serie spezifischer Regierungsapparate [und andererseits] die Entwicklung einer ganzen Serie von Wissensarten nach sich gezogen hat. Schließlich denke ich, daß man unter 'Gouvernementalität' den Vorgang oder vielmehr das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der mittelalterliche Staat der Gerichtsbarkeit, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat wurde, sich nach und nach 'gouvernementalisiert' hat." [4]

Und etwas weiter:

"Das, was es für unsere Modernität, das heißt für unsere Aktualität an Wichtigem gibt, ist also nicht die Verstaatlichung der Gesellschaft, sondern das, was ich eher die 'Gouvernementalisierung' des Staates nennen würde." [5]

Hier wird die traditionelle Vorstellung von Regieren unter anderem um historisch-kulturelle Aspekte erweitert. Man könnte durchaus sagen, daß Gouvernementalität noch über Governance hinausgeht und alles das, was damit beschrieben werden soll, kaum mehr auf einen Nenner zu bringen ist, ohne dabei als wesentlich angesehene Aspekte zu vernachlässigen. Die überragende Bedeutung, die Foucault der Gouvernementalität attestierte, geht aus derselben Vorlesung, aus der obiger Definitionsversuch stammt, hervor. Da sagte er, anstatt "Sicherheit, Territorium, Bevölkerung" hätte ein genauerer Titel der gesamten Vorlesungsreihe "eine Geschichte der 'Gouvernementalität'" lauten können [6]. Foucault wollte ein umfassendes und zugleich präzises Verständnis von "Regierung" herausarbeiten und hat das Thema ständig eingekreist, im gleichen Zuge aber auch erweitert. Dazu schien ihm eine semantische Verbindung von Regieren ("gouverner") und Denkweise ("mentalité") am geeignetsten, und so kam er auf "gouvernementalité".

Zugleich, und das trifft man häufiger in seinen Ausführungen an, geht mit seinem erweiterten Verständnis davon, wie in der heutigen Zeit regiert wird, nämlich angeblich nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit ihr, eine Relativierung des Regierens als Herrschaftspraxis einher. Das Regieren wird mit einer Denkweise oder auch Mentalität verbunden, beinahe so, als werde über eine "gefühlte Regierung" gesprochen, ähnlich wie bei der Wettervorhersage der Terminus "gefühlte Temperatur" Verbreitung gefunden hat. Bei der Verwendung des Begriffs Gouvernementalität droht das Gewaltmonopol des Staates, als dessen Sachwalterin die Regierung fungiert, und das Streben nach Vorherrschaft über territoriale und kulturelle Grenzen hinweg, aus dem Blick zu geraten.

Unabhängig von ihrem unterschiedlichen Gebrauch in der Politikwissenschaft haben Governance und mehr noch Gouvernementalität die Möglichkeiten zur Beschreibung des Regierens und des Sich-regieren-Lassens der Beteiligten durchaus erweitert. Gleichzeitig bergen diese Begriffe aber die Gefahr, so sehr in die Breite zu gehen, daß sie nicht mehr als Gesamtes zu fassen sind und schließlich zu Allgemeinplätzen ausfasern. Die können dann so sehr voneinander abweichende Inhalte transportieren, daß der Eindruck aufkommt, hier werde der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet. Dem wird dann seitens der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dadurch entgegenzutreten versucht, daß sie im Rahmen ihrer Untersuchungen zunächst einmal definieren, wie sie Gouvernance und Gouvernementalität verstehen und in welcher Tradition sie sich dabei sehen.

Blick über Seminarraum während des Vortrags - Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Diskursraum - die Generierung von Zukunftswissen
Foto: © 2012 by Schattenblick


Petra Schaper-Rinkel - "Es ist eine regelrechte Partizipations-Industrie entstanden"

Zu Beginn ihres Vortrags stellte Petra Schaper-Rinkel fest, daß neue Technologien wie Nanotechnologie, Synthetische Biologie und Neurotechnologien bereits zu einem frühen Zeitpunkt, noch vor ihrer Anwendung, umkämpft sind. Zudem würden auch die Denkweisen, die jenen technologischen Entwicklungen zugrundeliegen, in wachsendem Ausmaß hinterfragt. Die Referentin, die in verschiedene EU-Projekte involviert war bzw. noch ist und sich unter anderem mit Technikfolgenabschätzung befaßt, hat mehrere Phänomene beschrieben, die ihrer Meinung nach wesentlich für kritische Theorieperspektiven sind: Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Technologie werden unscharf; Kritik richtet sich bereits auf das Entstehen wissenschaftlich-technischer Felder; und Kritik wird frühzeitig mittels partizipativer Verfahren aufgegriffen.

Schaper-Rinkel möchte die Bedingungen der Technologieentwicklung im Rahmen gesellschaftlicher Veränderungen, die ökonomisch noch nicht oder kaum verwertet wurden, sowie die Kritik an Technologien analysieren. Zu diesem Zweck hatte sie sich gefragt, wie Ministerien und Unternehmen Zukunftswissen generieren und welcher Mittel sie sich dabei bedienen, und hat herausgefunden, daß beispielsweise mit Prognosen, Simulationen, Modellen, Delphi-Befragungen und dem Aufstellen von Szenarien die Zukunft zu antizipieren versucht wird. Abweichungen von der tatsächlichen Entwicklung würden dann erneut in den Prozeß der Generierung von Zukunftswissen eingespeist.

Früher hätten sich Grundlagenforschung, die technologische Umsetzung und ihre wirtschaftliche Inwertsetzung in einer linearen Abfolge befunden. Heute ließen sie sich nicht mehr eindeutig voneinander trennen. Mit Konzepten wie Technoscience, Transdisziplinarität und Mode 2 [7] würde diese enge Verzahnung beschrieben. Zukunftswissen werde somit von Vertretern der oben genannten gesellschaftlichen Bereiche gemeinsam mit weiteren Akteuren geschaffen.

Als prototypisches Beispiel hierfür führte Schaper-Rinkel die Nanotechnologie an. Als hierzu die ersten Förderprogramme aufgelegt wurden, hätten die Geistes- und Sozialwissenschaften begonnen, sich prognostisch mit den möglichen Entwicklungen zu befassen. Als aber die Nanotechnologie mit der Biotechnologie, der Informationstechnologie und den Neurowissenschaften zu den sogenannten Converging Technologies weiterentwickelt worden seien, sei bereits vor der Bereitstellung von Fördermitteln über die Grenzen der jeweiligen Disziplinen hinweg über mögliche Anwendungen und die dafür notwendige Grundlagenforschung diskutiert worden. Dabei sei eine Kontroverse zu der Frage entstanden, ob es bei den Converging Technologies zukünftig um die Leistungssteigerung von Individuen geht oder um Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Während zuvor die Nanotechnologie noch hauptsächlich damit gerechtfertigt worden sei, daß sie die Wettbewerbsfähigkeit stärke, werde Zukunftstechnologie in der heutigen Praxis des Regierens mit der Aussicht auf Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen (beispielsweise Klimawandel, alternde Gesellschaft) begründet. So fördere das Bundesforschungsministerium keine Technologien, sondern "Bedarfsfelder". In dieser Entwicklung werde potentielle Kritik frühzeitig durch das Angebot einer Partizipation aufzufangen versucht.

Technologiekritik werde teilweise bereits innerhalb der Institutionen geleistet, beispielsweise im Rahmen einer Technikfolgenabschätzung, der Stellungnahmen von Enquete-Kommissionen und Ethikräten. Deren Kritik bleibt laut Schaper-Rinkel systemimmanent, sie unterstütze langfristig die Technologieentwicklung. Hierfür seien Umwelt- und Energietechnologien passende Beispiele. Davon grenzte sie eine Kritikform ab, bei der sich für die Abschaffung bestimmter Technologien, beispielsweise der Produktion von Atomstrom, ausgesprochen wird.

Auch von Seiten der EU-Kommission, in deren Strategieentwicklung von "verantwortlicher Forschung und Innovation" gesprochen wird, werde Kritik durch verschiedene Formen der Partizipation der von einer Technologie betroffenen oder sich allgemein um die Zukunft der Gesellschaft sorgenden Personen eingebunden. So werden Partizipation und mit ihr die Kritik institutionalisiert. Schaper-Rinkel spricht von einer regelrechten Partizipations-Industrie, wobei die Referentin eine Aufteilung beobachtet hat in bestimmte Standpunkte von Individuen, die bevorzugt, und kritisch-kollektive Ansichten, die ausgegrenzt werden. Außerdem würden für die Partizipation bestimmte Bildungsvoraussetzungen sowie das abstrakte Ideal von Unvoreingenommenheit gefordert. Deshalb könne man sagen, daß jene, die partizipative Prozesse organisieren, zugleich in diese Prozesse intervenieren.

Welchen Einfluß partizipative Prozesse auf staatliches Regieren haben, bleibt laut der Referentin oftmals im dunkeln. Das gehe aber nicht auf einen Mangel der Sichtbarmachung kausaler und/oder hierarchischer Zusammenhänge zurück, sondern sei ein Merkmal der Governance, der neuen Formen des Regierens selbst. Im Governance-Konzept entstünden neue Technologien außerhalb des Regierens, deren Implikationen jedoch den Bedarf nach Governance hervorriefen.

Abschließend wog die Politikwissenschaftlerin die Begriffe Governance und Gouvernementalität gegeneinander ab und erläuterte, daß in Governance-Analysen Technologien und ihre möglichen Begleiterscheinungen ausfindig gemacht werden könnten, wohingegen bei einer Untersuchung aus der Gouvernementalitätsperspektive "das neue Feld", auf dem dies stattfände, erkundet würde. Demnach frage Governance auch nach dem wirtschaftlichen Potential von Zukunftstechnologien, Gouvernementalität dagegen frage, wie es überhaupt zu ihrer Relevanz gekommen sei. Schaper-Rinkel charakterisiert die Governance-Perspektive als "analytisch-affirmativ": Untersuchungsgegenstand sei das Regieren unter Bedingungen von Partizipation, Globalisierung und Beschleunigung. Die Gouvernementalitäts-Perspektive richte sich dagegen "analytisch-kritisch" auf die Konstruktionsprinzipien von Regieren. Sie selbst möchte "noch über Gouvernementalität hinausgehen", sagte Schaper-Rinkel, weil die Kritik letztlich zu sehr am Gegenstand bleibe.

Jedenfalls werde über Partizipation Einfluß auf die Generierung von Zukunftswissen genommen, und das nicht in passiver Form, sondern auch aktiv. Akteure griffen bewußt und theoretisch fundiert in die Prozesse des Regierens ein. Dabei blieben sie allerdings im vorgegebenen Rahmen. Schon Karl Marx habe festgestellt: "Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen." [8]

Schaper-Rinkel identifiziert demnach zwei Entwicklungen in Hinsicht ihres Vortragtitels "Partizipation und die Generierung von Zukunftswissen: Governance oder Gouvernementalität?": Auf der einen Seite Partizipation als reale Einflußnahme auf das Regieren und auf der anderen die Entstehung einer Partizipationsindustrie, in der die Kritik an Technologie nur so weit berücksichtigt wird, wie sie in die Rationalität der Governance von Wissenschaft und Technologie paßt, diesen Ansatz unterstützt und ihn nicht grundsätzlich in Frage stellt.

In der anschließenden Diskussion warf der Sozialwissenschaftler Joscha Wullweber die These auf, daß im Verhandlungsprozeß, an dem die Kritiker beteiligt werden, eine komplette Ablehnung gar nicht mehr möglich sei. Es gebe keinen Antagonismus. Kritiker würden eingebettet. Während noch geredet werde, schreite die Entwicklung voran. Wullweber versteht "Partizipation im Prinzip als Strategien der Herstellung von Hegemonien".

Das sah Schaper-Rinkel nicht ganz so. Im Partizipationsprozeß sei auch ein Überraschungsmoment enthalten, der nicht vorausberechenbar sei, erwiderte sie. Partizipative Prozesse bildeten keine Begleitmusik von etwas, das sowieso passiert, sondern würden die Entwicklung von Forschungsrichtungen mitbestimmen. Als Beispiel nannte sie Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene. Da sei Raum für Kritik vorhanden, um beispielsweise zu sagen, daß Ökologe und Biolandwirtschaft mehr gefördert werden müßten, weil das in Hinsicht Ernährungssicherheit mehr bringe als die Synthetische Biologie.

Die Referentin sieht in der Partizipation durchaus eine Chance zu einer politischen Intervention, die dann tatsächlich kritisch sei. Allerdings sagte sie im weiteren Verlauf der Diskussion ebenfalls, daß auf EU-Ebene nur die Nichtregierungsorganisationen eingeladen würden, die man kenne und einschätzen könne. So werde der Ausschluß von Kritik nicht deutlich, weil er gar nicht erst manifest werden könne.

Das entspricht vom Ergebnis her dem, was der Hamburger Sozialwissenschaftler Torsten Junge über die sogenannten Bürgerkonferenzen berichtete. Es sei vorgekommen, daß Leute, möglicherweise mit einer kritischen Einstellung, in diese Partizipationsveranstaltung gingen und sie nach einer Stunde wieder verließen, weil ihnen die engen Grenzen des kritischen Diskurses nicht genügend Handlungsoptionen eröffneten.

Kommentator beim Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Torsten Junge
Foto: © 2012 by Schattenblick


Fazit

Verfechter des Partizipationskonzepts argumentieren, daß Verfahren, bei denen Bürgerinnen und Bürger mitreden können, Ausdruck einer lebendigen Demokratie sind. Wenn aber, wie Junge an einem Beispiel auf kommunaler und Schaper-Rinkel an einem auf europäischer Ebene bestätigt haben, grundlegend kritische Stimmen gar nicht erst zu Wort kommen, läuft Partizipation letztlich auf nichts anderes als "divide et impera", also "teile und herrsche" hinaus. Dieser Aussage würde Schaper-Rinkel vermutlich mit Verweis darauf widersprechen, daß die heutige Partizipation konstitutiv ist, das heißt, daß sie Einfluß auf politische Richtungsentscheidungen nimmt.

Dem Einwand wäre entgegenzuhalten: Wenn man sich zum Beispiel die Agrarpolitik der Europäischen Union anschaut, könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, hier hätten Umweltgruppen und Vertreter des ökologischen Landbaus klare Signaturen gesetzt. Im Unterschied zu früheren Agrarmodellen sollen EU-Subventionen laut der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, die bis 2013 abgeschlossen sein soll, deutliche Akzente einer nachhaltigen Landwirtschaft enthalten. Partizipation bedeutet jedoch nicht nur Beteiligung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sondern formallogisch auch Ausschluß anderer, unerwünschter Gruppen.

Beispielsweise hätte sich in der von der Europäischen Union geförderten öffentlichen Debatte über die Agrarreform, die bis zum 11.‍ ‍Juni 2010 lief, keine Lobbygruppe durchsetzen können, die eine ökosozialistische Wende in der Landwirtschaft mit der Abkehr von der kapitalistischen Produktionsweise vertreten hätte. Das verhindert bereits die rechtspolitische Basis der Europäische Union. Der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon (EU-Reformvertrag) setzt dem Wunsch nach einem fundamentalen Systemwechsel unmißverständliche Grenzen. So wurde in einem Zusatzprotokoll die "Sicherstellung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs" festgelegt.

Daraus folgt, daß Partizipation auf einer rechtlichen Grundlage gewährt wird, die bereits von neoliberalen Interessen geleitet ist und damit andere Interessen von vornherein ausschließt. Nur wer die keineswegs unumstrittene Grundlage einer politischen Steuerung anerkennt, die im Streben nach Profit den Motor für Fortschritt sieht und Möglichkeiten der Bereicherung (Kapitalakkumulation) begünstigt, kann dem Eindruck erliegen, er habe Einfluß auf die Schalthebel der Macht. Die EU-Landwirtschaftspolitik indessen zeigt beispielhaft, daß es sich bei Partizipation bestenfalls um die Entscheidung handelt, wie die Weiche an der Bahnstrecke geschaltet wird. Dagegen bleiben die infrastrukturellen Voraussetzungen - die vorgegebene Bahnstrecke - bei dieser Form der Einflußnahme unangetastet. Mehr noch, mit der Weichenstellung bzw. Partizipation der Kritiker kann sich das vorherrschende System einen Pluralismus ans Revers heften, der sich bei genauerer Betrachtung als ein Ensemble bereits vorformatierter Optionen erweist.

Die Zukunftsforschung, der Petra Schaper-Rinkel zugerechnet werden kann, versucht nun augurengleich die Zeichen der Zeit zu deuten und durch die Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Trends zukünftige Entwicklungen vorauszuahnen, die vor allem für jene gesellschaftlichen Kräfte von Nutzen sind, die Partizipation sicherlich nicht zu dem Zweck fördern, um ihre eigene privilegierte Position zu untergraben. Insofern trifft Schaper-Rinkel ins Schwarze, wenn sie sagt, daß auch die Analyse der Governance Bestandteil der Governance ist.


Fußnoten:

[1]‍ ‍Die Frühjahrstagung der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), des Arbeitskreises "Politik, Wissenschaft und Technik" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und der Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik der TU Hamburg-Harburg (TUHH) fand am 23./24. März 2012 an der TUHH unter dem Titel "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung" statt.

[2]‍ ‍Siehe auch:
SOZIALWISSENSCHAFTEN, REPORT, BERICHT:
BERICHT/004: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Vorherrschaft der Ethik (SB)
http://schattenblick.com/infopool/sozial/report/sorb0004.html

[3]‍ ‍Zitiert nach: "Glossar der Gegenwart", herausgegeben von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke, Frankfurt am Main 2004, S. 112.

[4]‍ ‍Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège des France 1977 - 1978, hrsg. von Michel Sennelart, Frankfurt am Main, Erste Auflage, 2004, S. 162/163.

[5]‍ ‍Ebenda, S. 163.

[6]‍ ‍Ebenda, S. 162.

[7]‍ ‍Technoscience ist eine Wortneuschöpfung, mit der ein Wandel in der Wissenschaftskultur beschrieben werden soll: Technik und Wissenschaft (Science) sind aufs engste miteinander verbunden.

Transdisziplinarität wird häufig als Ergänzung, bzw. Steigerung zu Interdisziplinarität verwendet. Dabei lösen sich die Grenzen traditioneller Forschungsdisziplinen immer mehr auf, was sich unter anderem in der Verwendung von Begriffen wie "Forschungsfelder" niederschlägt.

Mode 2 - Ein aus der Wissenschaftsforschung stammendes Konzept, das unter anderem von Helga Nowottny, Peter Scott und Michael Gibbons aufgebracht wurde. Dabei wird Mode 1 für den traditionellen Wissenschaftsbetrieb genommen, Mode 2 hingegen ist transdisziplinär, eng mit gesellschaftlichen Diskursen verbunden. Es werden Forschungshierarchien abgebaut und Expertenwissen mit anderen Kriterien der Relevanz und Qualität verknüpft.

[8]‍ ‍Marx, Karl (1851): "Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte." MEW (Karl Marx, Friedrich Engels: Werke). 8: 115-207.

Angeschnittener Apfel, Apfelscheibchen und Messer auf einem Teller - Foto: © 2012 by Schattenblick

Partizipation ist ... ein bloßes Versprechen oder wenn sich das selbstregierende Subjekt mit dem kleineren Teil der Beute bescheidet und zugleich das Messer in der Hand des Teilenden zu ignorieren versucht
Foto: © 2012 by Schattenblick

26.‍ ‍April 2012