Schattenblick → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT


BERICHT/052: Beteiligungsmodul Psychologie - intellektuelle Opportunität ... (SB)


Titelseite des Programmflyers -Quelle: Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP)

Quelle: Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP)

Der diesjährige Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) in Berlin trug den Titel "Krieg nach innen - Krieg nach außen / Intellektuelle als Stützen der Gesellschaft?". Wissenschaftler und Praktiker verschiedener Disziplinen näherten sich der Beantwortung der Frage, welche Rolle Intellektuelle im Land zu großen Teilen spielen, ob und wie sie ihrer Verantwortung gerecht werden und wie sie sich selbst, ihre Rolle und Funktion sehen aus verschiedenen Blickwinkeln. Der Vorsitzende der NGfP, Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder, zieht eine positive Bilanz, auch wenn die anvisierte Teilnehmerzahl von 200 in diesem Jahr nicht ganz erreicht wurde.

"Das Feedback aus den Reihen der Teilnehmer war gut bis enthusiastisch, und das nicht nur wegen einer großen Zahl ausgezeichneter Referenten, sondern auch wegen der Möglichkeiten zur Vernetzung und wegen der Diskussionen, für die man gern noch viel mehr Zeit gehabt hätte. Die angesichts der unbefriedigenden politischen Lage, des Zustands der Friedensforschung, ja, der Sozialwissenschaften insgesamt immer wieder gestellte Frage 'Was tun?' war damit eine Frage an sich selbst, die jeder für sich beantworten muss."

Die Intellektuellen, so Bruder, sind ja selbst Teil der Gesellschaft, ausgestattet mit den Instrumenten und Mitteln der Produktion von Wissen. Ihre Bedeutung können sie erst entfalten, wenn nicht nur die Herrschenden, sondern die Gesellschaft es ihnen erlaubt und möglich macht. Sie brauchen eher die Gesellschaft als ihre Stütze, als dass sie umgekehrt Stützen der Gesellschaft wären.

"Damit sind wir bei uns selbst und der Frage nach der Verantwortung von Psychologen und Psychotherapeuten, deren Funktion Basaglia einmal als 'Befriedungsverbrecher' gebrandmarkt hat; oder als Kriegshelfer, wenn Soldaten therapiert werden, um rasch wieder an die Front geschickt werden zu können."

Die Intellektuellen besetzen Bruder zufolge eine Zwischenposition. Sie sei jedoch nur die Bedingung für die Möglichkeit, eine Stütze der Herrschenden zu werden. Die Position sei umkehrbar, wenn sich die Intellektuellen nämlich mit denen in Solidarität verbündeten, die sich gegen die Herrschaft der herrschenden Minderheit zur Wehr setzen.

"Sie ist umkehrbar, indem sie diesen das Wissen zur Verfügung stellen, das sie ursprünglich im Dienst biopolitischer Bemächtigung und ökonomischer Ausbeutung produziert haben, und die Interessen des Kapitals durchschaubar machen. So würden sie zugleich der eigenen Selbstbefreiung dienen, sprich: der sozialen Revolution."

In mehreren Referaten und Diskussionen ging es um genau diese Problematik. "Psychotherapeuten neigen oft dazu, gesellschaftliche Verhältnisse auszublenden", erklärte die Gestalttherapeutin Katharina Stahlmann. Trotz scheinbarer Pluralität und Freiheit finde eine problematische Zurichtung der Menschen für Märkte statt. Therapeuten kümmerten sich mehr um die Anpassung von Klienten und Patienten an im Grunde unmenschliche Zustände und profitierten so indirekt sogar von den krankmachenden Wirkungen des Neoliberalismus. "Es darf aber nicht nur darum gehen, erfahrenes Leid zu verarbeiten, sondern auch darum, Leid zu verhindern, indem man die Verhältnisse verändert."

Einer von den Psychologen, die in diesem Sinne handeln - Georg Rammer - hat 34 Jahre in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet und viele Familien in schwierigen Verhältnissen erlebt. Er erkannte, dass psychologische Arbeit immer auch eine politische Dimension hat. Bis heute macht es ihn wütend, wenn wieder eine neue Studie über Kinderarmut erscheint, für einen Moment Aufregung in den Medien und der Öffentlichkeit erzeugt, Politiker zu Statements veranlasst, während über Jahrzehnte zugelassen wurde, dass Kinderarmut mitwuchs mit der Kluft zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft. Sein Fazit:

"Das kann nicht an einem Behördenmitarbeiter oder einer Behörde liegen. Es ist nicht erklärbar mit einem einzigen schlecht gemachten Gesetz. Die Ursache muss in Machtverhältnissen gesucht werden, die durch neoliberale Politik immer weiter zuungunsten des größeren Teils der Bevölkerung verschoben wurden."

Als um die Jahrtausendwende die rot-grüne Bundesregierung viele Menschen enttäuschte, die sich gerade von der SPD und den Grünen eine andere Politik versprochen hatten als Hartz IV-Gesetze und Militarisierung, schloss Georg Rammer sich Attac an, wo er noch heute im Arbeitskreis "Solidarisch leben" aktiv ist. Er und weitere Redner übten scharfe Kritik an den Mainstreammedien. Durch Auswahl und Präsentation von Nachrichten sorgten sie häufig für Desinformation. "Die Relation zwischen Fakten und offiziellen Verlautbarungen von Politikern, Verbänden und dergleichen tendiert stark zulasten von Tatsachen, Hintergründen und Zusammenhängen", so der Psychologe.

Eröffnet hatte den Kongress Ernst Ulrich von Weizsäcker mit einem Vortrag über den jüngsten Bericht des Club of Rome, in dem es um die notwendigen Schritte zur Rettung des Planeten Erde geht. Von Weizsäcker stieß bei mehreren Teilnehmern auf harsche Kritik. Er musste sich von einer jungen Psychologiestudentin sagen lassen, dass er und mit ihm der Club of Rome mit ihren Forderungen längst nicht weit genug gehen. Weizsäcker reagierte souverän und erklärte, er sei sehr froh über diese Reaktion. In anderen Veranstaltungen werde von einem hohen Prozentsatz der Teilnehmer eher die Umsetzbarkeit seiner Forderungen infrage gestellt, würden die Kosten ins Feld geführt und andere Scheinargumente, weil eine Mehrheit noch längst nicht verstanden habe, wie ernst es um den Planeten steht. Seine Zurückhaltung in Formulierungen rechtfertigte er damit, dass er sich durch weitergehende Forderungen seiner Wirkungschancen nicht berauben möchte. Dass der über 80jährige sein Eröffnungsreferat stehend, von Gehhilfen gestützt, in freier Rede, faktenreich und mit großer Leidenschaft angesichts der Bedrohung der Erde durch Klimakatastrophen und Wachstumswahn vortrug, unterstrich seine Entschlossenheit, sich weiter unermüdlich für eine Drosselung des Wachstums und für mehr Maßnahmen zum Klimaschutz einzusetzen. Bis zum Ende des Kongresses blieb sein Vortrag ein Thema. Die Urteile reichten - auch wenn er nicht zur Revolution aufrief - von "akzeptabler Partner im gemeinsamen Kampf für die Rettung des Planeten" bis zur totalen Ablehnung.

Ein Highlight am letzten Kongresstag war - auch wenn das auf den ersten Blick seltsam klingen mag - eine Wiederbegegnung mit Bertolt Brecht und seinem Werk "Turandot oder der Kongress der Weißwäscher". Die Psychoanalytikerin, Dipl.-Psychologin und Buchautorin Dr. Almuth Bruder-Bezzel sorgte mit der Entscheidung für dieses Stück, aus dem Szenen von dem nicht nur dem Hamburger Theaterpublikum bekannten Schauspieler Michael Weber gelesen, ja, dargestellt wurden. Besser als durch dieses Brecht'sche Werk ließ sich die Dienstbarkeit von Intellektuellen für Herrschende nicht sinnlich erfahrbar machen.

12. März 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang