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INTERVIEW/026: Krieg um die Köpfe - Gegenpresse mangelhaft ...    Uli Gellermann im Gespräch (SB)


Einflußsystem Massenmedien

"Krieg um die Köpfe - Der Diskurs der Verantwortungsübernahme"
Kongreß der Neuen Gesellschaft für Psychologie vom 5. bis 8. März 2015 in Berlin


Uli Gellermann ist Journalist, Filmemacher und Leiter der elektronischen "Plattform für Nachdenker und Vorläufer - Rationalgalerie". Auf dem Kongreß der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), der sich dieses Jahr um das Thema "Krieg um die Köpfe - Der Diskurs der Verantwortungsübernahme" drehte, referierte Gellermann über die "Enteignung des Zuschauers" durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Insbesondere am Beispiel des Konflikts um die Ukraine wies er nach, daß dieses von der Bevölkerung unmittelbar finanzierte Einflußsystem der im Rundfunkstaatsvertrag verankerten Forderung, es sei "der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Meinungsvielfalt verpflichtet", nicht gerecht wird. Am 6. März beantwortete Uli Gellermann dem Schattenblick am Rande des Kongresses an der Freien Universität Berlin einige Fragen zur widersprüchlichen Realität massenmedialer Vermittlung in der Bundesrepublik.


Porträt des Interviewpartners - Foto: © Uli Gellermann

Uli Gellermann
Foto: © by Uli Gellermann

Schattenblick (SB): Herr Gellermann, wie kam es dazu, daß Sie die Rationalgalerie vor zehn Jahren ins Leben riefen?

Uli Gellermann (UG): Sie war eine Wutgründung, ich konnte das dumme Geschwätz zur Agenda 2010, sie sei eine tolle Reform und werde uns alle weiterbringen, nicht mehr ertragen. Nachdem ich mir das lange genug angehört hatte, sagte ich mir, jetzt brauchst du einen Befreiungsschlag, und habe daraufhin die Rationalgalerie gegründet.

SB: Haben Sie als Journalist auch für Zeitungen gearbeitet?

UG: Nein, ich bin TV-Journalist und habe gemeinsam mit meiner Frau um die 20 Dokumentar- und Feature-Filme gemacht.

SB: Sie gehören in Deutschland zu den wenigen Bloggern, die mit dem Mainstream brechen und eine Gegenposition beziehen. Die Nachdenkseiten sind in dieser Sparte zwar am erfolgreichsten, tendieren aber mehr in Richtung SPD. Wie beurteilen Sie die deutsche Bloggerszene im Vergleich zu den USA, wo kritische Blogs sehr viele Leser erreichen?

UG: In den letzten drei, vier Jahren ist eine Fülle neuer, kleinerer Sites entstanden, die im weitesten Sinne des Wortes oppositionell arbeiten. Das ist eine angenehme Erscheinung. Je mehr sich im linken Bereich tut, desto nützlicher ist es natürlich. Meist sind es Kollegen, nur selten Frauen, die die Blogs leiten. Außer den CeiberWeibern aus Wien gibt es wohl niemanden, der so frauenbetont auftritt. Diese Kolleginnen verfügen jedoch über wenig Zugriffe. Auch bei mir ist es nicht wirklich überwältigend, wenn man es an den Auflagen des Mainstreams mißt, aber nichtsdestotrotz habe ich im Monat etwa eine Million Klicks und 150.000 Besucher. Das ist immer noch weit entfernt von den Nachdenkseiten, die schätzungsweise auf drei oder vier Millionen Klicks kommen.

SB: In jüngster Zeit hat sich mit Pegida eine durchaus in der Bevölkerung verankerte Bewegung entwickelt, die die Parole "Lügenpresse" vor sich herträgt, gleichzeitig aber ausländerfeindlich und insbesondere islamfeindlich agiert. Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen einer sicherlich notwendigen Kritik an den Medien und der gleichzeitigen Inanspruchnahme reaktionärer Positionen?

UG: Nicht immer laufen durch die Menschen gerade Linien. Erstens sind nicht alle Pegida-Mitläufer auch gleichzeitig Reaktionäre, aber es gibt fraglos viele darunter, deren Einstellungen bis tief in die NPD hineinreichen. Die Menschen haben ein tiefes Unbehagen und fühlen sich mindestens in der Ukraine-Frage, aber auch in zwei, drei anderen Krisenfeldern, regelrecht verarscht. Meist sind sie nicht sonderlich politisch gebildet, was aber in unserem Land normal ist. Und dieses Unbehagen artikuliert sich in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Ich mag zum Beispiel den Begriff Lügenpresse nicht, weil man in den Medien - weit über den Mainstream hinaus - immer wieder einmal Ausschnitte hat, wo man verblüffende Wahrheiten erfährt.

Der von mir zitierte Artikel des Völkerrechtlers Reinhard Merkel ist so ein Beispiel: Er nahm im Krim-Konflkt einen völlig anderen Standpunkt als der Mainstream ein und erschien ausgerechnet in der FAZ, dem Zentralorgan der Bourgeoisie. Es gibt also noch Ausnahmen in der Einheitsfront der Manipulation.

SB: Gibt es für Sie in der journalistischen oder literarischen Tradition Vorbilder, an denen Sie sich als Schreiber und Autor orientieren?

UG: Sowohl politisch als auch literarisch ist das Kurt Tucholsky. Ich habe ihn in dieser miefigen Bundesrepublik mit 15 Jahren entdeckt und konnte nicht fassen, daß so etwas einmal geschrieben worden war. Er ist natürlich ein unerreichtes Vorbild, aber dennoch versuche ich in dem, was ich schreibe, eine klare politische Haltung auszudrücken, nicht so sehr reglementiert durch eine Organisation, sondern dadurch, daß es ein Unten und ein Oben gibt. Aus diesem Unten-und-Oben-Gegensatz speist sich nicht unerheblich meine politische Auffassung.

SB: Noch einmal nachgefragt zu den kleinen Lichtblicken in den Medien: Wenn gelegentlich Arundhati Roy oder andere kritische Stimmen zum Beispiel in der FAZ publiziert werden, dann könnte es sich dabei auch um eine Form von Legitimationsproduktion handeln. Ist es für Sie dennoch vorstellbar, daß sich die großen Medien einmal genötigt fühlen könnten, bei eklatanten Falschmeldungen Richtigstellungen nachzureichen oder überhaupt vermehrt Außenseitermeinungen zuzulassen, oder ist die Medienlandschaft dazu zu fest strukturiert und organisiert?

UG: Das letztere mit Sicherheit. Ich habe jetzt hinsichtlich des Ukraine-Konflikts über ein Jahr lang fast täglich die Nachrichten von ARD und ZDF beobachtet. Nie wurden Korrekturen vorgenommen, obwohl sich zunehmend Zuschauer in den Foren melden und gegensätzliche Positionen vertreten. Ich habe auch seit dem Irak-Konflikt die gesamte Medienlandschaft relativ gut verfolgt, weil die Akademie der Künste von mir einen Vortrag haben wollte. Deshalb kann ich sagen, daß sich niemand im Rückblick auf den extremen, nur scheinbaren Reinfall mit der Giftgasmeldung zum Irak jemals entschuldigt hat - nur die FAZ hatte eine ganz kleine Meldung darüber gebracht -, und daß, obwohl alle großen Medien die Trommel gerührt hatten: Dieser Diktator muß weg, weil er Giftgas hat. Dieser Hauptgrund für den militärischen Einmarsch in den Irak ist wie nichts in sich zusammengefallen, aber dennoch hat man keine lesbare oder sichtbare Erkenntnis daraus gezogen.

SB: Für ihre Berichterstattung aus der Ukraine wurde Golineh Atai als "Journalistin des Jahres" ausgezeichnet. Bei der Preisverleihung wurde dies unter anderem damit begründet, daß sie für ihre gegen Rußland gerichtete Berichterstattung heftiger Kritik aus den Reihen der Zuschauer ausgesetzt war. Was sagen Sie zu einem solchen Akt der Kumpanei?

UG: Ich hoffe, daß er dazu führt, daß sich noch mehr Zuschauer abwenden werden. Golineh Atai spielt bei mir eine herausragende Rolle wegen vieler kleinerer Geschichten, aber vor allem aufgrund eines geradezu symbolhaften Vorfalls. Sie war in Donezk, 700 Kilometer von Odessa entfernt, konnte aber von dort aus erkennen, daß das Massaker im Gewerkschaftshaus von den sogenannten Pro-Russen initiiert worden sei. Ich persönlich kontrolliere immer ukrainische und russische Websites. Dort konnte man dann auf Videos erkennen, daß es genau umgekehrt war. Selbst wenn man sich nicht umfassend informiert hat oder dazu nicht in der Lage ist, kann man nicht aus 700 Kilometer Entfernung behaupten, daß es prorussische Kräfte waren. Das ist unerträglich und wurde nie korrigiert. Der Chefredakteur der Tagesschau, Kai Gniffke, hat sich interessanterweise vor einem halben Jahr erstmalig auf eine Debatte über falsche Berichterstattung mit den Zuschauern eingelassen, aber dort kam der Fauxpas mit dem Gewerkschaftshaus gar nicht vor. Das war ein Paradebeispiel für eine offene Lüge und die Bereitschaft, die Kiewer Regierungsmeldungen schlichtweg zu reproduzieren.

SB: Einer verbreiteten These zufolge leben wir in einer Mediendemokratie, in der einerseits praktisch alles über die Medien gesteuert wird, aber sich andererseits jeder Mensch ein eigenes Urteil bilden kann. Halten Sie es für möglich, eine hochproduktive Zivilgesellschaft wie die der Bundesrepublik medial auszusteuern, oder würden soziale Gegenbewegungen bzw. kommunikative Strukturen außerhalb medialer Regulation dem Input der Massenmedien letztlich den Rang ablaufen?

UG: Jedenfalls funktioniert die mediale Steuerung der Mehrheit der Bürger bisher fast reibungslos. Wenn die außerparlamentarische Linke in der Bundesrepublik, die sich sehr ausdifferenziert hat und viele unterschiedliche Positionen einnimmt, willens und in der Lage wäre, sich auf ein gemeinsames Medium zu orientieren, könnte dies der erste Schritt sein, um dem Mainstream Paroli zu bieten. Aber ich sehe keine Ansätze für eine solche Entwicklung. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür. Ich sitze allein vor mich hin und habe nur ein paar Autoren zur Seite. Selbst die Nachdenkseiten sind letzten Endes nur eine einzelne Stimme. Im Netz gibt es 20, 30, vielleicht 40 linke Sites. Sie arbeiten zwar nicht gegeneinander, aber auch nicht miteinander. Es gibt keine wie auch immer geartete Vernetzung. Es ist vielleicht eine Hoffnung, aber ich sehe sie bisher nicht eingelöst.

SB: Wir sind hier auf einem Kongreß für Psychologinnen und Psychologen. Sehen Sie in den Wissenschaften Möglichkeiten dafür, diesen Mißstand zu reflektieren und produktiv voranzubringen?

UG: Die Wissenschaftszentren werden, einmal verkürzt gesagt, meist von der VW- oder Bertelsmann-Stiftung finanziert. Dort sehe ich solche Ansätze nicht. Zu unser aller Ärger wird sich das auch nicht ändern. Es gibt sicherlich einzelne, relativ verstreut arbeitende Wissenschaftler wie zum Beispiel in der Neuen Gesellschaft für Psychologie, die eine ordentliche Forschung machen, aber daß unser Heil von der Wissenschaft, die weder wertfrei noch in ihrer Finanzierung unabhängig ist, herkommen soll, wage ich zu bezweifeln.

SB: Herr Gellermann, vielen Dank für das Gespräch.


Bisherige Beiträge zur NGfP-Konferenz in Berlin im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT:

BERICHT/029: Krieg um die Köpfe - auf die Füße stellen ... (SB)
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30. April 2015


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