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INTERVIEW/028: Krieg um die Köpfe - Rückwärtsgang, nur schneller ...    Dr. Friedrich Voßkühler im Gespräch (SB)


Einfache Fragen können die Klasse mobilisieren

Interview am 6. März 2015 an der Freien Universität Berlin


Dr. Friedrich Voßkühler lehrt als außerplanmäßiger Professor am Institut für Philosophie an der Technischen Hochschule Darmstadt. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Zusammenhang zwischen der Kritik der politischen Ökonomie, kritischer Theorie, gesellschaftlicher Praxis, Marxismus und Psychoanalyse. Zudem ist er in Kassel in der Werkstatt für Psychoanalyse aktiv. Am Rande des diesjährigen Kongresses der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) in Berlin äußerte er sich gegenüber dem Schattenblick zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaftskritik sowie zu Fragen linker Organisation und Mobilisierung.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Friedrich Voßkühler
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Voßkühler, Sie hatten eben in bezug auf den sogenannten Diskurs der Verantwortungsübernahme angemerkt, daß es materialistische Gründe dafür gibt, daß Kriege geführt und Menschen dazu angehalten werden, sich dafür zur Verfügung zu stellen. Ist diese materialistische Seite von Machtverhältnissen in den Sozial- und Geisteswissenschaften nicht etwas unterbelichtet?

Friedrich Voßkühler (FV): Unterbelichtet ist gar kein Wort, sie wird regelrecht ausgeklammert. Die Sozialwissenschaften sind letztlich ein Vehikel der Macht der politischen Klassen, und insofern muß man die materialistische Analyse wieder stark machen. Es ist ganz einfach so, daß die Verhältnisse, in denen wir leben, wie Marx gesagt hat, letztlich davon bestimmt sind, wie wir arbeiten, was wir arbeiten, wo wir arbeiten, in welchen Verhältnissen wir leben und wie wir die Produktivkräfte entwickeln. Das ist die Grundlage, und von der Seite her muß man auch die Psychoanalyse angehen.

SB: Wie kann man einer Bevölkerung, die gute Gründe dafür hat, sich mit den herrschenden Verhältnissen kritisch auseinanderzusetzen, dazu befähigen, hinter die Kulissen zu schauen und zum Beispiel Fragen des Wertes oder der Aneignung von Mehrwert begreifbar zu machen? Oder meinen Sie, daß das gar nicht geht?

FV: Nein, ich mache das konkret, ohne daß man dazu ein Riesenprogramm aufbaut. Ich bin Mitglied der marxistischen Vereinigung Internationale Marxistische Tendenz (IMT). Wir gehen zum Beispiel so vor, daß wir politische Fragen wie etwa die Krise in Griechenland aufgreifen und sie in Form von Veranstaltungen thematisieren, wie wir es jetzt in Wiesbaden gemacht haben. In diesen Veranstaltungen, die von nicht wenigen Leuten besucht werden, wird die politische mit der ökonomischen Frage verknüpft, um die Menschen zu organisieren. Das erfolgt meist über die Partei Die Linke, geht aber auch weit darüber hinaus. Von daher haben wir einen gewissen Einfluß oder, sagen wir, werden gehört. Dadurch werden die Menschen in die Lage versetzt, die Verhältnisse klar zu erkennen. Auch in Venezuela haben wir solche Entwicklungen angestoßen, das sind reale Möglichkeiten, die man wahrnehmen sollte.

SB: Gerade in der Bundesrepublik als Krisengewinnler haben viele Menschen etwas zu verlieren. So werden Konformität und Unterwerfung auch über Teilhaberschaft an den Gewinnen, die das deutsche Kapital innerhalb der EU erzielt, und den davon abfallenden Löhnen und Sozialleistungen hergestellt. Befürchten die Menschen, daß, wenn sie hierzulande stärker opponieren, es ihnen ähnlich wie den Griechen ergeht?

FV: Ja, ich glaube Lenin hat das einmal Arbeiteraristokratie genannt, was man heute nicht mehr so ganz umsetzen kann, aber es gibt eine Basis innerhalb der deutschen Bevölkerung, Arbeiter, Angestellte und so weiter, die um ihre Privilegien kämpfen. Es gibt aber auch eine Klassenspaltung selbst in diesen Bereichen, sehr viele werden outgesourct, und die Klasse bricht auf. Ich sehe darin eine Möglichkeit, politisch zu agieren und Widerstand zu organisieren, auch in den Gewerkschaften. Ich bin in einer Gruppierung, der sehr viele Gewerkschafter angehören, und das ist möglich und sinnvoll. Aber wir stehen vor der objektiven Situation, die von SPD, Grünen und CDU ausgenutzt worden ist, die Arbeiterschaft und die Angestellten letztlich gegen die Interessen anderer in Europa ins Feld zu führen.

SB: Rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida werden von SPD und Grünen bekämpft, obwohl sie in der argumentativen Grundlage ganz ähnlich aufgestellt sind, indem sie ihre Privilegien gegen andere verteidigen, in dem Fall gegen Muslime, aber natürlich auch gegen Ausländer generell. Ist das nicht ein widersprüchliches Verhältnis?

FV: Es ist eines dieser widersprüchlichen Verhältnisse, die den heutigen Kapitalismus auszeichnen. SPD und Grüne haben hier in einer Art und Weise sozusagen verräterisch agiert, indem sie den Neoliberalismus erst einmal unter Schröder und Fischer eingeführt haben. Kein Wunder, daß sich von daher rechte Kreise bilden, um die eigene Identität zu wahren. Gerade die, die jetzt dagegen angehen, sind ja außerordentlich versippt mit dem, was da passiert. Man wird damit zu tun haben, diese Seifenblasen, die gerade von vielen Sozialdemokraten und Grünen aufgeblasen werden, zu zerstechen und die Zusammenhänge aufzuzeigen.

SB: In der Bevölkerung gibt es offenkundig ein Potential zur Opposition. Könnte das erfolgreich von rechten Kräften okkupiert werden im Sinne einer Faschisierung der Gesellschaft, oder kann die Linke mit einer internationalistischen Position dagegen Land gewinnen?

FV: Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als dies zu tun. Wir müssen internationalistische Dimensionen aufbauen, und wir müssen ganz klar in der EU feststellen, daß Griechenland, Portugal und Italien aus dieser Situation ausbrechen können. Und ich bin dafür, daß wir dies unterstützen.

SB: Der Austritt Griechenlands aus dem Euro und der EU ist das einzige Druckmittel, das der Athener Regierung gegenüber der Bundesrepublik als europäischem Hegemon bleibt, um irgend etwas zu erreichen. Würden Sie sagen, daß es für die griechische Bevölkerung vielleicht sogar eine positive Entwicklung bedeuten könnte, diesen Schritt zu vollziehen und sich auch unter den Härten, die er erst einmal mit sich brächte, unabhängig von der EU zu machen?

FV: Ja, unbedingt. Es sind auch interne Dinge zu regeln innerhalb Griechenlands, die Loslösung vom Druck des Neoliberalismus und die Verbindungen im mediterranen Raum, zu Podemos zum Beispiel. Nun ist in Italien die gesamte linke Bewegung zusammengebrochen, aber da muß man einmal die objektiven Bedingungen betrachten, um das Problem mit derartigen Internationalisierungen anzugehen.

SB: Wie konnte die Linke, die in Italien immer sehr stark war, trotz des immensen Verelendungspotentials, das es dort gibt, so erfolgreich zerschlagen werden? Oder hat sie sich selbst zerstört?

FV: Die Linke hat sich selbst zerstört. Sie hat die Verbindungen vor allen Dingen innerhalb der Bevölkerung aufgegeben und kann die eigene Basis, die ganze Landschaften wie etwa die Toskana beherrschte, im Moment nicht mehr mobilisieren. Die Linke hat sich depolitisiert und sozialdemokratisiert.

SB: Hier auf dem Kongreß macht sich eine kleine Fraktion innerhalb der Profession auf, wieder ein gewisses Ausmaß an politischer Positionierung zu entwickeln. Halten Sie die Sozial- und Geisteswissenschaften reif dafür, vielleicht sogar eine Art von Renaissance der Politisierung einzuleiten? Wie sehen die Chancen dafür aus?

FV: Im Moment sieht es so aus, daß sie unterworfen sind, aber Veranstaltungen wie diese sind außerordentlich wichtig, um einen Bruch zu vollziehen und derartige Problemlagen wieder aufzugreifen. Dazu ist es notwendig, in den Gesellschaftswissenschaften eine fundamentale Kritik an dem poststrukturalistischen Overkill zu leisten, der zu dieser Depolitisierung geführt hat. Ich halte viele Teile des Poststrukturalismus, die dann auch zu Mouffe und Laclau geführt haben, für in den wesentlichen Fragen depolitisierend. Die Frage, wie Reichtum erarbeitet und verteilt wird, ist ganz einfach zu stellen.

SB: Herr Voßkühler, vielen Dank für das Gespräch.


Bisherige Beiträge zur NGfP-Konferenz in Berlin im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT:

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