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INTERVIEW/039: Digitaldilemma - die Online-Beziehungslotterie ...    Prof. Dr. Christiane Eichenberg im Gespräch (SB)


Das Motto des Landestags der Psychologie 2017 (*) am 8. Juli in Stuttgart lautete "Beziehung 4.0 - Macht Digitalisierung alles besser?". Der Workshop "Vom Online-Dating bis zur Online-Scheidung: Veränderungen in Paar- und Familienbeziehungen" von Prof. Dr. Christiane Eichenberg beschäftigte sich mit dem Einfluß digitaler Medien auf familiäre Beziehungen.



Vom Online-Dating bis zur Online-Scheidung

Interview mit Prof. Dr. Christiane Eichenberg, Sigmund Freud PrivatUniversiät Wien


Für den Schattenblick (SB): Glaubt man einem bekannten Werbeslogan, verlieben sich alle paar Minuten Menschen online. Wie verbreitet ist die Partnersuche im Internet tatsächlich?

Prof. Dr. Christiane Eichenberg (CE): Stark verbreitet mit steigender Tendenz. Jeder 6. Deutsche ab 14 Jahren hat bereits in Online-Single-Börsen nach einem Partner gesucht, und jedes dritte Paar lernt sich online kennen. 38 Prozent halten - so zeigen Studien - das Internet für den besten Ort, um einen Partner für eine längerfristige Beziehung zu finden.

SB: Was weiß man über die Personengruppen, die diesen Weg einer Face-to-Face-Begegnung vorziehen?

CE: Die erste Bedingung ist eine gewisse Internet-Affinität. Wer sein Smartphone nur selten und an manchen Tagen gar nicht benutzt, wird eher nicht dazu gehören. Umfragen haben ergeben, dass es mehr Männer als Frauen sind, die online auf die Suche gehen. Geschlechtsunabhängig sind es überwiegend Personen zwischen 30 und 50 Jahren. Darüber hinaus gibt es zwei Hypothesen. Der ersten zufolge bewegen sich vor allem einsame Menschen auf den entsprechenden Portalen, Menschen mit Kommunikationsdefiziten und Ängsten. Man spricht in diesem Kontext von sozialer Kompensation. Die zweite Hypothese lautet "rich get richer", das heißt: Diejenigen, die sowieso schon über ein starkes soziales Potenzial verfügen, weiten dies noch aus und nutzen es auch im Internet. Forschungsbefunde untermauern letztere Hypothese, d.h. auch die Partnersuche im Internet erfordert soziale Kompetenz. Wer schüchtern, gehemmt und sprachlich nicht gewandt ist, wird sich auch schwer tun, im Netz einen Partner zu finden und zu erobern.

SB: Hat die Partnersuche im Internet ein gewisses Suchtpotenzial? Oder halten Sie sie mindestens für sozial problematisch, weil sie - wie einige Wissenschaftler meinen - der Maximierung von Erlebnissen diene, zwar zu   m e h r   Partnerschaften aber nicht zu   t i e f e r e n   Beziehungen führe. Anders gefragt: Folgt unsere Art zu lieben unserer Art zu leben?

CE: Mit dem Begriff Sucht sollte man sehr vorsichtig umgehen. Wie im realen Leben kann es auch im Netz zu Abhängigkeiten kommen, letztlich betrifft die Internetsucht (die sich zudem meist auf Spiele bezieht) nur drei Prozent der Bevölkerung. Ich teile auch nicht die Befürchtung, wonach es bei der Partnersuche im Netz nur noch um Optimierung gehe. Die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen nach Geborgenheit, Zugehörigkeit und Nähe haben sich nicht geändert. Sie sind universell und dauerhaft. Der Ort, an dem man zu Beginn einer Beziehung danach sucht, ist für viele inzwischen ein anderer, nämlich das Internet.

Die extrem kritische Sicht auf das Internet und seinen Einfluss auf persönliche Beziehungen blendet zudem oft aus, wie sehr die technischen Möglichkeiten Beziehungen zwischen Eltern und z.B. im Ausland studierenden Kinder, zwischen Enkeln und Großeltern erleichtert und intensiviert haben.

SB: Die zuletzt erwähnten positiven Aspekte überzeugen sofort. Aber ist diese Begeisterung undifferenziert auch für die Partnersuche und den Beziehungsaufbau im Netz gerechtfertigt?

CE: Für positiv halte ich auch in diesem Zusammenhang mehrere Aspekte: Man kann im Netz sowohl ortsabhängig als auch ortsunabhängig suchen. Sehr gezielt ist es möglich, Partner mit gleichen oder ähnlichen Interessen bis hin zu sexuellen Vorlieben zu finden.

Das Risiko getäuscht zu werden oder gar einem Heiratsschwindler auf den Leim zu gehen, besteht natürlich auch im Netz. Ich behaupte aber, das passiert nicht viel öfter als im realen Leben. Geschummelt wird eher mit Fotos und Gewichtsangaben. Nicht nur deshalb rate ich, das erste Date nicht zu lange aufzuschieben. Wartet man zu lange, können die in den Partner hineinprojizierten Erwartungen bereits unerfüllbar sein. Außerdem lässt sich beim ersten persönlichen Treffen auch prüfen, ob man sich nicht nur wundervolle Mails schreiben, sondern sich auch "gut riechen" kann, wie es so schön heißt.

SB: Bleiben im Internet angebahnte Beziehungen länger im Flirtmodus oder münden sie nach einer vergleichbaren Zeit in Eheschließungen?

CE: Sie führen sogar rascher zu Eheschließungen.

SB: Liegt das womöglich an der Anspruchslosigkeit derer, die im Netz auf die Suche gehen?

CE: Keineswegs. Es hat erstens mit der Dynamik in der Entwicklung der Beziehung zu tun, die im Internet angebahnt wird. Und es hängt stark mit dem Selbstoffenbarungsseffekt zusammen, der für die Internetkommunikation in allen möglichen Kontexten (auch in therapeutischen Zusammenhängen) nachgewiesen ist. D.h. die Selbstöffnung fällt vielen z.B. durch die fehlende körperliche Kopräsenz leichter. So entstehen gefühlt rascher große Vertrautheit und Nähe, was wiederum die Bereitschaft zu einer dauerhaften Bindung erhöht. Im Netz offenbaren Menschen Dinge, die manche ihren face-to-face gefundenen Partnern erst sehr viel später erzählen. Es ist ein Kennenlernen von innen nach außen. Offline würde man zuerst auf das Aussehen, die Augen, die Hände, das Lächeln oder andere Merkmale achten, die allesamt keine Garantie für dauerhafte Beziehungen darstellen. Im Internet geht Schweigen nicht; man erzählt, redet über Gefühle, über Erlebnisse und wie es einem dabei ging.

Die Kehrseite dieser von Fachleuten auch Enthemmungseffekt genannten Verhaltensänderung ist mir bewusst; sie kann sich auch in aggressivem Verhalten, in Cyber-Mobbing oder Cyber-Dating-Abuse niederschlagen.

SB: Halten die im Internet angebahnten Beziehungen und späteren Ehen länger oder wenigstens genauso lange wie die klassisch entstandenen?

CE: Die Forschung auf diesem Gebiet ist noch zu jung, um dazu valide Aussagen machen zu können. Dazu bräuchten wir Langzeintuntersuchungen. Bisher gibt es keinen Hinweis darauf, dass im Internet begonnene Partnerschaften ein höheres Risiko für Scheidungen oder Trennungen haben. Studien zeigen, dass sie genauso glücklich erlebt werden wie offline angebahnte Partnerschaften.

SB: Verlassen wir die schöne Welt der Glücklichen, die sich online gefunden haben, und wenden uns kurz denen zu, die im Netz getäuscht, gemobbt, gestalkt wurden.

CE: Solche Fälle gibt es - Menschen, die ein Spiel aus ihrer angeblichen Partnersuche machen und die Leichtgläubigkeit anderer auszunutzen. In der Extremvariante wenden sie sich vor allem an Frauen ab einem Alter von 40 Jahren, kommen charmant daher und versprechen auch immer wieder ein Treffen, nach dem sie sich angeblich sehnen. Genauso oft erfinden sie alle möglichen Ausreden, warum es wieder nicht geklappt hat: Mal ist die Mutter erkrankt, mal wurde der eigene Pass gestohlen. Diesen meist im Ausland angesiedelten Netz-Partnern geht es ausschließlich darum, die andere Seite finanziell auszunehmen. Inzwischen werden solche für die Opfer traumatisierende Situationen mit dem Begriff des "Love-Scamming" bezeichnet.

SB: Was müssen Psychologen und Psychotherapeuten heute über das Internet wissen?

CE: Angesichts der Tatsache, dass wir es mit einer wachsenden Zahl von Klienten und Patienten zu tun haben, die mit dem Netz leben (ohne süchtig zu sein!), ist Wissen auf diesem Gebiet unerlässlich. Wie kann ich Menschen beraten oder gar therapieren, wenn ich den Raum, in dem sie Schaden genommen haben - sei es durch Mobbing, Cyber-Date-Abuse oder anderes - nicht kenne. Ich muss die Lebenswelt meiner Klienten und Patienten nachvollziehen können. Dazu muss ich keine Technik-Expertin sein, aber die wichtigsten Trends sollte ich kennen. Eine Medienanamnese gehört deshalb in die ersten Sitzungen. In welcher Art Foren eine z.B. essgestörte Patientin oder ein suizidgefährdeter Patient unterwegs sind, kann wichtige Hinweise für die Vorgehensweise bieten. Letztlich ist wichtig, über die Internetnutzungsgewohnheiten der Patienten Bescheid zu wissen, um konstruktive bzw. destruktive Effekte auf die individuelle Krankheitsbewältigung erkennen zu können.


(*) Veranstalter der Tagung "Beziehung 4.0 - macht Digitalisierung alles besser?" ist die Landesgruppe Baden-Württemberg des Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP)
http://www.bdp-bw.de/aktuell/2017/2017_ltp_ueberblick_wsinfos.html


Weitere Beiträge zum Landestag der Psychologie 2017 "Beziehung 4.0 - macht Digitalisierung alles besser?" am 8. Juli in Stuttgart im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT

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8. Juli 2017


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