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FORSCHUNG/058: Chancen und Risiken von Migration (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 1 - 2008

Chancen und Risiken von Migration

Von Sandra Siebenhüter


"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde", meinte einst Karl Valentin scherzhaft. Auf sachlichem Niveau beschäftigte sich die internationale Forschergruppe LOSS (Local Organizations of Social Security) mit Chancen und Risiken von Migration bei einem Treffen in Ingolstadt.


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Seit mehr als einem Jahrzehnt widmet sich die internationale Forschergruppe LOSS (Local Organizations of Social Security) der Erforschung von Wohlfahrtssystemen, wobei vor allem der Vergleich der unterschiedlichen Systeme und ihrer Veränderungen unter dem Einfluss der fortschreitenden Globalisierung im Mittelpunkt stehen. Diese Gruppe entstand 1995, als sich abzeichnete, dass die Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten in vielen Ländern aufgrund weltweit verbreiteter neuer Konzepte und Managmentmethoden zu ähnlichen Veränderungen führte. Insbesondere die Niederlande und England bekamen dabei eine Vorbildfunktion für die Umgestaltung der sozialen Dienste. Der Gruppe gehören Wissenschaftler aus Australien, Finnland, Italien, Japan, Deutschland, Ungarn, Polen, der Schweiz, Großbritannien und den USA an, diese treffen sich einmal jährlich, um über Entwicklung und Veränderung der Wohlfahrtssysteme auf lokaler Ebene im Zeitalter der Globalisierung zu diskutieren. Die Themen sind dabei sehr weit gefächert, wie die verschiedenen Mottos der letzten Jahre deutlich machen: "Governance and Creating Opportunities in Social Work", "Isomorphism or Polymorphism in Social Services".

Die Vielzahl vergleichender Studien der Forschungsgruppe hat auch dazu beigetragen, soziale Konzepte zu verbessern und neue Maßnahmen vorzuschlagen und voranzutreiben, da diese Treffen in Zusammenarbeit mit den lokalen Institutionen von Hilfe veranstaltet wurden, so dass ein direkter Wissenstransfer von der Forschungsgruppe zu den Praktikern möglich war. Anliegen der Forscher es ist, die Theorie und Praxis von Sozialer Arbeit nicht isoliert, sondern in einem gemeinsamen Kontext zu betrachten. Seit Bestehen der Forschergruppe konnte nicht nur eine Vielzahl vergleichender Studien erstellt werden, sondern die Ergebnisse der Studien haben auch dazu beigetragen, soziale Konzepte zu verbessern und neue Maßnahmen vorzuschlagen und voranzutreiben. Bereits nach dem ersten Treffen wurden Erkenntnisse aus der Entwicklung sozialer Dienste in England und den USA für die Entwicklung des Projektes "Regionalisierung und Dezentralisierung sozialer Dienste" in München eingebracht. Auch das Projekt "Sprengel unterwegs" in Suedtirol basierte auf Kenntnissen, die in dieser Arbeitsgruppe verbreitet wurden. In Ungarn wurden sowohl die sozialen Dienste, wie die Ausbildung künftiger Sozialarbeiter mit der Expertise dieser Gruppe entwickelt.

In diesem Jahr lag das Augenmerk der inzwischen dreizehnten Tagung der Forschungsgruppe auf den Chancen und Risiken von Migration. Am Tagungsort Ingolstadt hat ein Drittel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Die Tagung wurde organisiert vom Sprecher der LOSS-Gruppe, dem Eichstätter Soziologieprofessor Rainer Greca. Die diesjährige Tagung lieferte neue Einblicke in den Umgang mit Migranten in Ingolstadt im Vergleich mit anderen Ländern der Europäischen Union wie auch in den USA. Da an der Soziologieprofessur auch das Robert Bosch-Projekt MOSAIK angesiedelt ist, das die Vernetzung zwischen Schule und Universität vorantreiben soll und sich ausgiebig mit dem Thema Migration und Stadtentwicklung auseinandersetzt, war es eine konsequente Entscheidung, dass sich auch die diesjährige LOSS-Tagung diesem äußerst aktuellen und politisch sehr brisanten Thema widmete und dabei auch die Schüler der beiden Ingolstädter Schulen (Staatliche Fach- und Berufsoberschule und Katharinengymnasium) mit einzubeziehen. Für die angehenden Studenten war es äußerst spannend internationale Einblicke in ihr Schwerpunktthema "Migration" zu erhalten und dabei vor auch noch eigene Projekte vorzustellen.

Im Rahmen des Treffens unternahm die Forschungsgruppe, die von 20 amerikanischen Studenten begleitet wurde, eine ganztägige Exkursion zu verschiedenen Einrichtungen in Ingolstadt, die unmittelbar mit der Thematik Migration in Verbindung stehen. Während die Wissenschaftler sich vormittags im Ingolstädter Stadtteiltreff Konradviertel bei der Quartiersmanagerin, Barbara Plötz, und der Integrationslotsin, Anna Hoffart, über die Situation der Aussiedler und das Bundesförderprogramm "Soziale Stadt" informierten, besuchte die amerikanische Studentengruppe die Hauptschule Lessingsstraße, um dort im Rahmen des Englischunterrichts in einer 7. Klasse über ihr Heimatland USA zu berichten. Am Nachmittag ging es dann zusammen mit den Schülern der MOSAIK Projektes in die Moschee in der Manisastraße, wo der Integrationsbeauftragte der Stadt Ingolstadt, Herbert Lorenz, die internationalen Gäste begrüßte. Im Anschluss daran fand eine Diskussion mit Vertretern der muslimischen Gemeinde in Ingolstadt, Mohammed Suleiman und Dr. Kemal Cobanoglu, über das Leben von Moslems in Ingolstadt und den bereits etablierten Ingolstädter Christlich-Muslimischen Dialog statt. Suleiman ist Mitinitiator des christlich-muslimischen Dialogs in Ingolstadt. Cobanoglu wies auf die Vielzahl muslimischer Strömungen in Deutschland und die Schwierigkeiten hin, diese unter einen Hut zu bringen. Allein in Ingolstadt existierten mehrere muslimische Vereine mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen.

Die internationalen Fachbeiträge wurden an dem Ort präsentiert, der vielleicht wie kein zweiter für die Ingolstädter Migrationssituation steht: an der Hauptschule Herschelstraße im Piusviertel. Aufgrund der engen Verbindungen zwischen dem MOSAIK-Team und dem Rektor der Hauptschule, Michael Schels, war es möglich, in der überwiegend von Kindern mit Migrationshintergrund besuchten Bildungseinrichtung die Konferenz abzuhalten. Diese stieß auch bei vielen Beschäftigten von Ingolstädter Migrationseinrichtungen auf großes Interesse und den Referenten gelang es ein äußerst komplexes Bild über das uns alle betreffende Thema "Migration" zu zeichnen. So schilderte Prof. Dr. Tom Lawson (Universität Louisville, Kentucky/USA), dass die Migrationspolitik in den USA sehr einseitig sei und das in Europa vermittelte bild des "melting pot" so nie exisitierte. Besonders gut sei zu beobachten, dass in den USA die jeweils jüngste/neueste Migrantengruppe die niedrigsten Arbeiten verrichten müsse und somit die anderen Migrantengruppen in der Hierarchie bzw. im Prestige nach oben rücken. Es geben eine Art "Ethnische Warteschlange" auf dem Arbeitsmarkt. Angesichts von Bevölkerungsrückgang und einem Mangel an Fachkräften gebe es hingegen in Finnland einen großen Bedarf an Migranten, jedoch fehle es an einer politischen Strategie, um für Migranten noch attraktiver zu werden. Einen persönlichen Eindruck der finnischen Situation können die Mitglieder der LOSS-Gruppe bei ihrem nächsten Treffen gewinnen, das nächstes Jahr in Oulu stattfinden wird.


Dr. Sandra Siebenhüter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Wirtschafts- und Organisationssoziologie der KU. Sie betreut unter anderem das von der Robert-Bosch-Stiftung geförderte Projekt MOSAIK.



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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1/2008, Seite 26-27
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2008