Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → SOZIOLOGIE

GESELLSCHAFT/278: Eltern-Netzwerke - Eine Ressource nur für Bessergestellte (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 143, März 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Eine Ressource - nur für Bessergestellte
In ärmeren Vierteln nützen starke Eltern-Netzwerke den Kindern in der Schule nicht

von Anette Fasang, William Mangino und Hannah Brückner



Kurz gefasst: Enge soziale Beziehungen zwischen Eltern, deren Kinder gemeinsam die Schule besuchen (geschlossene Elternnetzwerke), erhöhen den Bildungserfolg vor allem in reichen Gegenden. In armen Gegenden wirken sich solche engen Elternnetzwerke dagegen negativ auf die Wahrscheinlichkeit aus, dass die Kinder einen High-School-Abschluss erlangen. Dort verstärken sich durch enge soziale Beziehungen zwischen den Eltern die negativen Einflüsse von Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Drogenmissbrauch in der Elterngeneration auf den Bildungserfolg der Kinder.


Geld, Zeit und die Bildung der Eltern sind wichtige Faktoren für den Bildungserfolg von Kindern. Das ist seit Langem bekannt. Viel weniger wissen wir darüber, wie die sozialen Netzwerke von Eltern - ihr Sozialkapital - die Chancen ihres Nachwuchses bestimmen.

Bildungspolitisch ist diese Frage hochrelevant. Insbesondere in der amerikanischen Bildungspolitik wird der soziale Zusammenhalt bzw. das Sozialkapital in Schulen und Nachbarschaften immer wieder als ein relativ kostengünstiger Weg diskutiert, um den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen zu fördern, der für den weiteren Lebensweg so entscheidend ist.

Welche Art von Elternnetzwerken ist nun besonders förderlich für den Bildungserfolg von Kindern? Um diese Frage hat sich in der Bildungssoziologie eine lebhafte Kontroverse entfaltet. Es stehen sich zwei Thesen gegenüber: Die These der intergenerationalen Schließung besagt, dass dichte geschlossene Elternnetzwerke, in denen Eltern häufig im Austausch miteinander sind und ihre Kinder gemeinsam beaufsichtigen, ideale Bedingungen bieten. Die These der Horizonterweiterung besagt dagegen, dass offene Elternnetzwerke, in denen Eltern vielfältige Kontakte außerhalb der Schulumgebung der Kinder pflegen, die besten Lernmöglichkeiten für Kinder bereitstellen.

Die These geschlossener Elternnetzwerke wurde von James Coleman, einem der maßgeblichen Soziologen des 20. Jahrhunderts, in den 1980er Jahren entwickelt. Laut Coleman entsteht in eng geschlossenen sozialen Netzwerken, in denen jeder jeden kennt, häufiger intensiver Austausch besteht und "Outsider" nur schwer Zugang haben, Vertrauen sowie gegenseitige Verantwortung und Fürsorge. Übertragen auf soziale Netzwerke der Eltern und die Bildung ihrer Kinder bedeutet dies, dass die Kinder dann besonders effektiv lernen, wenn alle Eltern an einer Schule in engem Kontakt miteinander stehen und gegenseitig auf ihre Kinder achten. Coleman nennt dies "intergenerationale Schließung": Ein enges soziales Netzwerk in der Elterngeneration sichert den Bildungserfolg in der Kindergeneration. Gemeinsam können Eltern Normen des Bildungserwerbs durchsetzen, zum Beispiel regelmäßiges Erscheinen in der Schule und die Erledigung von Hausaufgaben. Diese These galt lang als richtungsweisend für die Bildungspolitik, zumal sie nahelegt, dass sich allein durch eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts unter Eltern Erfolge erzielen lassen. Das wäre im Vergleich zu anderen Optionen eine relativ kostengünstige Maßnahme.

Die Gegenthese der Horizonterweiterung wurde in den 1990er Jahren von Stephen Morgan und Aage Sørensen formuliert. Nach dieser These fördert soziale Schließung keinesfalls den Bildungserfolg, sondern schränkt den Kontakt zu vielfältigen Lernmöglichkeiten ein. Horizonterweiternde Netzwerke, in denen Eltern vor allem zu anderen Menschen außerhalb der Schulumgebung des Kindes Kontakt haben, liefern dagegen vielfältige Eindrücke und Lernmöglichkeiten, die den Schulerfolg ihrer Kinder dauerhaft fördern.

Die Befundlage ist alles andere als eindeutig. Zur These der geschlossenen Netzwerke gibt es viele, sich teils widersprechende Befunde auf der Grundlage unterschiedlichster Indikatoren, Daten und Methoden. Zur These der offenen Netzwerke gibt es kaum Forschung. Ein Problem ist, dass die meisten empirischen Untersuchungen nur unzureichende Informationen über soziale Netzwerke der Eltern und die Schulumgebung ihrer Kinder beinhalten.

Zusammen mit William Mangino (Hofstra University, Long Island ) und Hannah Brückner (New York University Abu Dhabi) habe ich die amerikanische National Longitudinal Study of Adolescent Health, kurz "Add Health", herangezogen, um diese inzwischen klassische Frage der Bildungssoziologie empirisch zu prüfen. Dieser repräsentative Datensatz enthält weltweit einzigartig detaillierte Informationen. Es wurden sowohl Schüler als auch ihre Eltern zu einer Vielzahl von Themen befragt. Für die vorliegende Studie wurden Daten von etwa 10.000 Jugendlichen und ihren Eltern mit komplexen Analyseverfahren (Propensity Score Matching und Mehrebenenanalyse) ausgewertet, die eine besonders zuverlässige Berechnung des Effekts verschiedener Elternnetzwerke auf den Bildungserfolg ermöglichen.

Neben Schwächen in der Datengrundlage und angewandten Methoden, sehen wir einen weiteren Grund für die widersprüchlichen Befunde darin, dass offene und geschlossene Elternnetzwerke möglicherweise nicht in jedem Kontext gleich wirken. Wir vermuten, dass geschlossene Netzwerke insbesondere in reichen und allgemein ressourcenvollen Umgebungen den Bildungserfolg des Nachwuchses erhöhen. In Gegenden konzentrierter Armut und sozialer Benachteiligung könnten geschlossene Elternnetzwerke hingegen eher dazu führen, dass Kindern der Zugang zu Brückenkontakten in die Mittelschicht und aus der lokalen Benachteiligung hinaus fehlt. Deshalb könnten geschlossene Elternnetzwerke in diesem Kontext sogar einen negativen Effekt auf den Bildungserfolg der Kinder haben und die soziale Ungleichheit von einer Generation zur nächsten verstärken. Ein solcher Befund wäre deshalb bildungspolitisch brisant, weil eine Förderung des Zusammenhalts in Elternnetzwerken dann keineswegs den Bildungserwerb unter Jugendlichen im gleichen Maß befördert. Im Gegenteil, es würden dann nur diejenigen davon profitieren, die ohnehin schon bessergestellt sind.

In unserer Studie werden der Notendurchschnitt beim Highschool-Abschluss und die Wahrscheinlichkeit, überhaupt einen solchen Abschluss zu erlangen, als Indikatoren für den Bildungserwerb herangezogen. Die Ergebnisse zeigen einen moderaten, aber stabilen Einfluss geschlossener Elternnetzwerke, gemessen als die Häufigkeit informeller Kontakte zwischen Eltern auch außerhalb der Schule, auf den Bildungserwerb. Allerdings wirken geschlossene Elternnetzwerke wie vermutet nicht überall gleich. Entscheidend ist, ob es sich um eine sozial bessergestellte oder sozial benachteiligte Schule handelt.

In Schulen, in denen nur 3 Prozent der Schüler in Armut leben, erhöhen enge Elternnetzwerke mit häufigen informellen Kontakten untereinander den Notendurchschnitt geringfügig um 0,10 Notenpunkte. Die Wahrscheinlichkeit, einen Highschool-Abschluss zu erlangen, erhöht sich um etwa 1 Prozent im Vergleich zu Kindern, deren Eltern keinen Kontakt zu anderen Eltern an der Schule haben. Aber schon in Schulen mit einem Armutsanteil von etwa 10 Prozent kippt dieser positive Einfluss informeller Elternnetzwerke ins Gegenteil. In Schulen, in denen über 30 Prozent der Schüler in Armut leben, verringern geschlossene Elternnetzwerke die Wahrscheinlichkeit, den Highschool-Abschluss zu machen, der Kinder gegenüber ihren Mitschülern, deren Eltern keinen Kontakt zu anderen Eltern haben, um bis zu 5 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit einen Highschool-Abschluss zu erlangen, generell hoch ist, ist dies ein unerwartet starker Effekt - zumindest in Schulen, in denen extreme, lokal konzentrierte soziale Benachteiligung herrscht.

Enge geschlossene Netzwerke wirken also als Verstärker der Ungleichheits-Situation in Nachbarschaften oder Schulen. Dort, wo ohnehin schon viele Ressourcen vorhanden sind, wie etwa Geld und Bildung der Eltern, wird deren förderlicher Einfluss durch den regen Austausch und den Zusammenhalt verstärkt. In Umgebungen konzentrierter Benachteiligung, wo Armut, Kriminalität, Gewalt und Drogenmissbrauch an der Tagesordnung sind, verstärken enge soziale Netzwerke den negativen Einfluss auf den Bildungserwerb der Kinder und mindern die Durchlässigkeit aus der Benachteiligung heraus.

Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus für die Politik? Keinesfalls sollte man daraus schließen, dass die Kontakte zwischen Eltern in Gegenden konzentrierter Armut eingeschränkt werden sollten. Politische Einflussnahme auf persönliche Netzwerke von Eltern ist ethisch nicht vertretbar und wäre praktisch kaum durchzusetzen. Zudem erfüllen informelle Netzwerke zwischen Eltern gerade in Gegenden konzentrierter Benachteiligung viele wichtige Funktionen, wie etwa gegenseitige Hilfe in Zeiten großer Not, durch den Austausch von Geld und Nahrungsmitteln. Vielmehr muss De-Segregation Ziel der Politik sein: Die extreme lokale Konzentration von Benachteiligung muss aufgebrochen werden. Hier sollten die Bildungs- und Stadtpolitik zusammenarbeiten, um den Effekten geschlossener Elternnetzwerke entgegenzuwirken, die die Ungleichheit verstärken und Weichen für die weiteren Lebenschancen ihrer Kinder stellen.


Anette Fasang ist Juniorprofessorin für Demografie an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet die Forschungsgruppe Demografie und Ungleichheit am WZB.

William Mangino ist Associate Professor in Soziologie an der Hofstra University in Hempstead, Long Island (USA). Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist Bildungssoziologie.

Hannah Brückner ist Soziologieprofessorin an der New York University Abu Dhabi, Sie forscht und lehrt unter anderem über Geschlechterfragen, Familiensoziologie und quantitative Methoden.


Literatur

Fasang, Anette E./Mangino, William/Brückner, Hannah: "Social Closure and Educational Attainment". In: Sociological Forum, 2014, Vol. 29, No. 1, S. 134-167.

*

Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 143, März 2014, Seite 30-32
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu
 
Die WZB-Mitteilungen erscheinen viermal im Jahr.
Der Bezug ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2014