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JUGEND/047: Wer redet da von Ghetto? (welt der frau)


welt der frau 4/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Wer redet da von Ghetto?
Wie eine 18-jährige Türkin die Diskriminierung ihrer Wohnadresse erlebt.

Von Christina Repolust


H. bereitet sich auf ihre Matura im kommenden Sommer vor. "Wir lesen in Deutsch immer die Lokalzeitungen. Da steht über mein Zuhause, dass es ein Ghetto geworden ist. Ghetto bedeutet doch allgemein, dass keiner rein und keiner raus darf. Bin ich etwa nicht hier? Gehe ich etwa nicht mit meinen österreichischen KollegInnen ins Kino? Kommen meine Freunde etwa nicht zu mir?" H. ist wütend. Ihre Mama hat nach dem Urlaub in der Türkei zwei neue Ledersofas für das Wohnzimmer gekauft. Sie würde jetzt gerne Freunde einladen, doch im Bekanntenkreis wird gefragt: "Was ist los bei euch, wie geht es bei euch in der Siedlung zu?" So hat H.s Zuhause "einen schlechten Ruf" bekommen.

Die Maturantin wägt ab: "Sicher gab und gibt es bei uns in der Siedlung Auseinandersetzungen zwischen Menschen mit Migrationshintergrund - AusländerInnen also - und den Einheimischen. Viele sozial schwache österreichische Familien leben hier. Schon lange gilt unsere Siedlung als sozialer Brennpunkt. Aber merken Sie das, wenn Sie bei uns Tee trinken? Bei uns ist es friedlich, bei den Nachbarn ist es friedlich. Wir gehen gemeinsam einkaufen. Meine Mutter geht mit der Nachbarin zum Pflücken auf das Erdbeerfeld, gemeinsam fahren sie zum Einkaufen."


Wie ein Problem gemacht wird

Die Berger-Sandhofer-Siedlung in Salzburg besteht aus 222 Wohnungen. Als im Herbst 2007 rund 40 Familien aus unterschiedlichen Gründen - zum Teil auch, weil die Wohnungen nach dem Auszug der Kinder zu groß geworden waren - wegwollten, titelten die Zeitungen: "Problemsiedlung" und "Ghetto".

Seither wird H. beim Einsteigen in den Bus "anders als früher" angesehen. "Es ist eine Musterung: Aha, aus dem Ghetto, aha, die geht noch zur Schule, trägt ein Kopftuch und hat eine dicke Mappe mit Unterlagen unter dem Arm. Die Blicke haben sich verändert, das merken wir alle. Wir sind freundlich, angesprochen werden wir nicht, aber die Blicke tun weh." Die Mutter begleitet H.s kleine Schwester derzeit noch mit dem Bus in die Vorschule: "Die Leute starren uns an. Es ist der Name der Haltestelle 'Bergerhof', was uns beinahe verdächtig macht."


Mit Schlagzeilen diskriminieren?

Familie H. lebt gerne in Salzburg. H. möchte Psychologin werden: "Ich bin hier immer irgendwie dazwischen, zwischen den Kulturen und den Generationen unserer türkischen Familie. Dass unser Zuhause jetzt auch noch diskriminiert wird, macht es für uns alle noch schwerer, uns in Salzburg daheim zu fühlen. Ghetto ist schnell gesagt: Meine MitschülerInnen halten schon zu mir, aber nachgefragt haben sie alle, auch manche LehrerInnen." Dabei gibt es in der Bergersiedlung seit 2006 sogar einen internationalen Frauentreffpunkt. Frauen aus aller Welt treffen sich zum Feiern, Kochen, Tanzen, Miteinander-Reden, sie lernen Deutsch und tauschen sich über Gesundheit und Erziehung aus. "Wir wollen uns das nicht schlechtreden lassen, wenn immer wieder von Ghetto die Rede ist", sagt H.

Eine Adresse war schon immer mehr als eine reine Information. Es gibt sie, die guten und die schlechten und sogar die ganz schlechten Adressen, "Glasscherbenviertel" genannt. Auch hier kämpfen Menschen um ihre Würde, um einen sauberen Anstrich im Stiegenhaus, um einen gepflegten Rasen. In der Bergerhofsiedlung sind zahlreiche Balkone im Advent mit Lichterketten und im Sommer mit Blumen dekoriert, man hat es sich wohnlich gemacht, das möchte man auch zeigen. Es ist ihnen nicht egal, wie sie von außen gesehen werden.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 4/2008, Seite 9
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2008