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JUGEND/080: Die verunsicherte Generation (Sozialismus)


Sozialismus Heft 3/2013

Die verunsicherte Generation

von Klaus Bullan



Wie die Arbeitslosigkeit insgesamt ist auch die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen - eine Sonderentwicklung in Europa. Klaus Bullan zeigt, dass sich gleichwohl auch für viele Jugendliche in Deutschland die Lebensverhältnisse in den letzten zehn Jahren verschlechtert haben.


Stagnierende bzw. rückläufige Lohneinkommen der Eltern, wachsende Armut und die Ausbreitung prekärer, unsicherer Beschäftigungsverhältnisse haben in vielen Haushalten deutliche Spuren hinterlassen. So ist heute jeder fünfte Mensch zwischen 18 und 25 Jahren arm oder armutsgefährdet. Über 70.000 junge Menschen arbeiten im Herbst 2012 in Vollzeit und müssen trotzdem Arbeitslosengeld II (ALG II) beantragen, über 150.000 weitere sind nur geringfügig beschäftigt und deshalb von ALG II abhängig. Jugendliche sind zudem besonders oft in unsicheren und schlecht bezahlten Jobs zu finden: Fast die Hälfte aller 15- bis 25-Jährigen arbeitet derzeit im Niedriglohnsektor. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sind deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig hat sich die Anzahl an jungen Menschen in der Leiharbeit verdoppelt.

Die Destabilisierung des Lohnarbeitsverhältnisses bedroht aber auch die Haushalte mit mittleren Einkommen. Stagnierende Lohneinkommen, der Abbau von sozialer Sicherheit und öffentlichen Dienstleistungen, die nicht durch eigene Vermögensbildung kompensiert werden können, und eine vermehrte Abwärtsmobilität in Richtung der prekären sozialen Schichten führen zu einer wachsenden Verunsicherung innerhalb dieser gesellschaftlichen (Einkommens-)Mitte. So garantiert heute ein Studium bzw. eine Ausbildung oft keineswegs mehr das Vorrücken auf die oberen Ränge der sozialen Hierarchie. »Auch Mittelschichteltern müssen immer häufiger erleben, dass ihre Söhne und Töchter trotz sehr guter Qualifikation zunächst in der Unsicherheitszone landen und mit Ende dreißig noch keine stabile Umlaufbahn erreicht haben.« (Steffen Mau, Lebenschancen. Wohin driftet die Mittelschicht? Berlin 2012: 71)

Wie verarbeiten junge Menschen diese schwierigen Zukunftsbedingungen? Auskunft darüber geben zwei Studien zu Lebenslagen und Bewusstsein von Jugendlichen in Deutschland.


Wie ticken Jugendliche?(1)

Das Sinus-Institut hat im Auftrag der Bischöflichen Medienstiftung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, des Bundes der katholischen Jugend und anderer Institutionen eine Studie zur »Jugend von heute« durchgeführt. Es bedient sich dabei der von ihm entwickelten sozialen Milieustudien, die in Anlehnung an Pierre Bourdieu die herkömmlichen Klassen- bzw. Schichtzuordnungen, die auf sozioökonomischem Status, Bildungsvoraussetzungen bzw. Einkommenslage beruhen, um normative Grundorientierungen (Wertvorstellungen) und Lebensstile ergänzen.(2)

Dieser Ansatz vermeidet es also, generalisierende Aussagen über die Jugendlichen zu machen, sondern bezieht dabei den sozialen Status, die Lebensstile und Wertorientierungen mit ein. Es wird in Anlehnung an die Sinus-Milieus, die ständig weiterentwickelt werden, ein Lebensweltenmodell für 14-17-Jährige in Deutschland entwickelt, das aufgrund der besonderen Altersstruktur insbesondere in seinen quantitativen Dimensionen abweicht vom allgemeinen Sinus-Milieu, dennoch aber deutliche Überschneidungen dazu aufweist. (Abbildung 1)

Es werden insgesamt sieben Milieus der Jugendlichen konstruiert, die sich einerseits entlang der Achse Bildung (hoch, mittel, niedrig), andererseits der Achse Normative Grundorientierung (traditionell, modern, postmodern) gruppieren. Es gibt Überschneidungen zwischen diesen sieben Milieus, die sich auf die jeweils angrenzenden Milieus beschränken. Den AutorInnen erscheint der Zusammenhang zwischen sozialer Lage (der Herkunftsfamilie) und Bildungsniveau offenbar so stark, dass darauf verzichtet wird, hier noch einmal Differenzierungen vorzunehmen.

Alle Jugendlichen in Deutschland müssen mit den gleichen Rahmenbedingungen klarkommen, die die Studie folgendermaßen charakterisiert: »Die zeitdiagnostischen Schlüsselbegriffe zur Beschreibung dieser Rahmenbedingungen lauten: Wohlstandspolarisierung, Leistungs- und Bildungsdruck, Prekarisierung des Arbeitsmarktes, Eigenverantwortung, Entstandardisierung von Lebensläufen, Sozialisation in Eigenregie, Digitalisierung, Entgrenzung von Jugend, multikulturelle Vielfalt.«/14f./

Damit sind die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Jugendliche heute in Deutschland aufwachsen, zutreffend charakterisiert: Die Schere zwischen Arm und Reich nimmt dramatisch zu und führt zu massiver Angst vor dem Absturz vor allem der Mittelschichten und resignativer Einstellung bei den Unterprivilegierten. Die »Abwärtsmobilität« nimmt zu und führt zu verstärkter Abgrenzung und zu Verteilungskonflikten.

Der Leistungs- und Bildungsdruck beginnt bereits in und häufig auch schon vor der Grundschule.(3) »Vorbilder in der familiären Berufsbiografie erodieren und können daher zu Orientierungslosigkeit bei Jugendlichen führen.«/16/ Die Entwicklungswege der Eltern stehen den Kinder nicht mehr offen, lebenslange Anstellungen zu festen Gehältern in stabilen Unternehmen, gesicherte Altersversorgung und Perspektiven sind heute die Ausnahme. Neben den fachlichen Leistungen sind zunehmend Fähigkeiten wie Selbstinszenierung und Flexibilität gefragt.

Steigende Eigenverantwortung hat zur Kehrseite, dass das Solidarprinzip des Sozialstaats abgelöst wird durch die Ideologie des »Jeder ist seines Glückes Schmied«, d.h. die Schuld für das Scheitern beim Statuserhalt wird dem Einzelnen zugewiesen. »Die Familienplanung ist unsicherer geworden, klassische Familienstrukturen erodieren«/17/, weil der Zeitpunkt, der Ort und die Sicherheit des nächsten Jobs unklar ist und so die Entscheidung, eine Familie zu gründen, immer weiter aufgeschoben oder ganz aufgegeben wird.(4) »Jugendliche nehmen wahr, dass der Wert eines Menschen in vielen zentralen Bereichen des Alltags, v.a. der Wirtschaft, an seiner Leistungsfähigkeit bzw. Bildungsbiografie bemessen wird. Das verunsichert und frustriert v.a. Jugendliche in den bildungsbenachteiligten Lebenswelten. Es herrscht bei vielen Jugendlichen Unsicherheit darüber, ob das eigene Leistungsvermögen für ein Leben in sicheren Bahnen ausreicht.«/40f./

Einerseits führt das bei den meisten Jugendlichen zu dem Gespür, es sich nicht leisten zu können, Zeit zu vertrödeln. Lernarrangements schon im Kleinkindalter, frühere Einschulungen, Verkürzungen der Schulzeit und des Studiums sind die Begleitangebote. Andererseits ist immer weniger Raum dafür, das Bedürfnis nach Stabilität, Sicherheit, Orientierung und Sinnstiftung zu befriedigen./vgl.41/

»Die Angst, nicht mithalten zu können, ist für viele der Antrieb für weitere Leistungsbemühungen. Das gilt für Jugendliche aus bildungsnahen wie bildungsbenachteiligten Lebenswelten gleichermaßen.«/41/ Das Wissen darüber, dass ohne qualifizierten Schulabschluss, eine gute Ausbildung oder ein Studium kaum Zukunftschancen bestehen, ist bei allen Jugendlichen vorhanden. »Allerdings spüren sie ebenfalls: Mit Ausbildung und Studium ist die Zukunft auch nicht per se sicher.«/68/

Wie sich die Zukunftsvorstellungen, die berufliche und schulische Orientierung, das gesellschaftliche und politische Interesse, die Medienpraxis und die Abgrenzung gegenüber anderen Milieus bei den verschiedenen Jugendlichenmilieus darstellen und unterscheiden, wird im Hauptteil der Studie untersucht.

Wenn die oben beschriebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für alle Jugendlichen gleich sind und damit die grundlegenden Problemstellungen, bietet der Ansatz der sozialen Milieus die Möglichkeit, die unterschiedlichen Einstellungen zu diesen Gegebenheiten und die Strategien, damit umzugehen, zu betrachten. Die sieben identifizierten Lebensweltmilieus zeigen, dass je nach Bildungsnähe, sozialem Status und Orientierung zum Teil sehr unterschiedliche Problemwahrnehmungen und Lösungsstrategien feststellbar sind.

Die konservativ-bürgerlichen Jugendlichen machen ca. 13% aller Jugendlichen in Deutschland aus und werden als »die familien- und heimatorientierten Bodenständigen mit Traditionsbewusstsein und Verantwortungsethik« beschrieben. Die Jugendlichen aus diesem Milieu haben besondere Schwierigkeiten mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die zu Unsicherheiten für ihre Zukunft führen. Sie machen sich frühzeitig Gedanken über ihre Zukunft, sehen, dass ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität von ihnen gefordert wird, was ihren eigenen Zukunftsvorstellungen eher entgegensteht. Sie wollen, dass die Verhältnisse sich möglichst wenig verändern, feste Bindungen in Familie und Freundeskreis, sichere Berufsbilder und ein Einkommen, das ihnen dieses Leben ermöglicht, sind ihre Wünsche: »Später möchte ich in einem schönen Haus leben. Also keine Riesen-Villa, eher so ländlich. Mit einer treuen Frau und ein bis zwei Kindern.«

Doch sie spüren, »dass dieser Wunsch von den ökonomischen Entwicklungen in der Gesellschaft gefährdet wird, dass tradierte Selbstverständlichkeiten (Mit einer Ausbildung kommt man sicher durchs Leben) erodieren. Sie spüren, dass das ewige Versprechen, es einmal besser haben zu können als die eigenen Eltern, immer schwerer einlösbar scheint.«/117/

Die »kompetitive Ellenbogengesellschaft« macht diesen Jugendlichen Angst, weil sie fürchten, nicht mithalten zu können und so die Verwirklichung ihrer Zukunftsvorstellungen verhindert wird. Obwohl diesen Jugendlichen eine gute Schul- und Ausbildung wichtig erscheint und sie leistungs- und anstrengungsbereit sind, blicken sie eher skeptisch in die Zukunft, weil ihnen klar wird, dass eigene Leistungsbereitschaft oft nicht mehr ausreicht, um ein gesichertes Leben führen zu können. Sie gehören eher zu den politisch interessierten Jugendlichen, denen die wirtschaftliche Entwicklung Sorge bereitet. »Aus der Perspektive der konservativ-bürgerlichen Jugendlichen sollten die Anstrengungen der deutschen Regierung in erster Linie der Sicherung der nationalen Wirtschaft und inneren Sicherheit gelten - hier zeigt sich bei einigen Jugendlichen auch eine rechtskonservative Haltung.«/120/

Weder in der Schule noch im Leben außerhalb sind diese Jugendlichen wettbewerbsorientiert, es ist ihnen nicht wichtig, herauszustechen oder andere zu überflügeln.

Die adaptiv-pragmatischen Jugendlichen, die gekennzeichnet werden als »der leistungs- und familienorientierte moderne Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft«, machen 19% der Jugendlichen aus. Sie unterscheiden sich von den konservativ-bürgerlichen Jugendlichen vor allem in einem positiveren Bezug zu neuen Medien und sozialen Netzwerken und dadurch, dass sie weniger Zukunftsangst haben. »Auf der einen Seite hat man Sorgen hinsichtlich der Situation auf dem Arbeitsmarkt und ob man den Leistungsanforderungen in Ausbildung und Studium gerecht werden kann. Auf der anderen Seite glaubt man daran, mit Ehrgeiz und Selbstvertrauen sehr viel erreichen zu können ­... In jedem Fall wird man sich notfalls flexibel zeigen und den Weg gehen, der die meisten Chancen verspricht, auch wenn dies dann ein bescheidenerer Plan B wäre.«/159/

Selbst in dieser »Mainstreamgruppe« ist eine realistische Einschätzung der Risiken für die berufliche Zukunft vorhanden und Angst vor der Ungewissheit beispielsweise eines zukünftigen Studiums ist vorherrschend. »Mit Skepsis werden die Themen Integration von Ausländern und sozial Schwachen beobachtet. Hier werden mehr eigene Anstrengung, Fleiß, Integrationswille und Bereitschaft zur Anpassung erwartet.«/163/

Als dritte Gruppe der eher traditionell orientierten Jugendlichen - allerdings im unteren Bereich der sozialen Skala und mit niedriger Bildung - sind die materialistischen Hedonisten zu nennen, zu denen ca. 12% der Jugendlichen zu zählen sind und die als »freizeit- und familienorientierte Unterschicht mit ausgeprägten markenbewussten Konsumwünschen« charakterisiert werden.

Handy, Fernseher und Computer sind zentrale Bestandteile ihrer Freizeit - mehr noch als in den anderen Jugendmilieus. Jugendliche, die dieser Gruppe zuzuordnen sind, werden i.d.R. geringe formale Bildungsabschlüsse erwerben und haben oft bereits die Erfahrung gemacht, eigentlich nichts wert zu sein. Der Freundeskreis wie die Familie sind für diese Jugendlichen extrem wichtig, sie bleiben meist unter ihresgleichen. »Man mag keine 'eingebildeten' oder 'arroganten' Menschen, die 'mit anderen Wörtern' reden. Abgrenzung findet sowohl nach unten ('Sozialschmarotzer', 'Dauer-Hartzer') als auch nach oben statt ('Bonzen').«/224f./

Obwohl die Ansprüche an ihr zukünftiges Leben sich in relativ bescheidenem Rahmen bewegen und das beinhalten, was die Jugendlichen aus ihrer Herkunftsfamilie her kennen, ist die Furcht groß, das nicht erreichen zu können: »(Schule) Ja das ist wichtig für meine Zukunft. Weil ich muss mal mit meinem Beruf leben, von dem Beruf. Ich muss meine Kinder ernähren können, ich muss eine Miete zahlen können, ich muss Essen kaufen können. Ich muss meinen Kindern etwas bieten können. Das ist richtig wichtig.« (w, 15)

Die Sorgen und Ängste kreisen darum, keinen Ausbildungsplatz zu bekommen, weil man einen unzureichenden Schulabschluss hat, keine feste Arbeit zu finden und so dem Druck der Leistungsgesellschaft nicht standhalten zu können. Jugendliche in diesem Milieu haben bereits häufig in ihrer Familie entsprechende Erfahrungen gemacht und das prägt sie schon in sehr frühem Alter.

Prekäre Jugendliche sind »die um Orientierung und Teilhabe bemühten Jugendlichen mit schwierigen Startvoraussetzungen und Durchbeißermentalität«. Zu ihnen gehören die 7% Jugendlichen, bei denen sich mehrere Risikolagen miteinander verschränken wie bildungsfernes Elternhaus, Erwerbslosigkeit der Eltern, ein Familieneinkommen an der Armutsgrenze und schlechte Aussichten auf einen Schulabschluss./vgl. 177/

Der Vorstellung von Familie wird von diesen Jugendlichen eine zentrale Bedeutung beigemessen. Diese Vorstellung ist aber idealisiert, weil ihre eigene Erfahrung mit ihrer Familie damit wenig zu tun hat. Sie sehen viele Reality-Shows oder Doku-Soaps im Fernsehen, weil sich hier die Möglichkeit bietet, ihre eigene Lebenslage zu relativieren und gleichzeitig dort Probleme verhandelt werden, die den ihren ähnlich sind. Die Schranken ihrer Möglichkeiten, am Leben von Jugendlichen gleichberechtigt teilzunehmen, werden auch in ihrem Musikkonsum deutlich: »Während andere Jugendliche Gigabytes an Songs herunterladen, fehlt ihnen hierfür nicht nur oft die notwendige Kompetenz, sondern auch die entsprechenden Abspielgeräte.«/183/

Schule ist als Ort von Misserfolgen geprägt. Sie haben oft wenig Motivation, sich in der Schule anzustrengen, weil der Erfolg für viele von ihnen nicht erkennbar ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht sehen würden, wie wichtig eine gute Schulbildung für ihre Zukunft ist, sie sehen nur wenig Chancen, sie zu erreichen: »Wie die meisten Jugendlichen in ihrem Alter wissen die Prekären, dass sozialer Aufstieg eng an Bildungserfolge gekoppelt ist, dass man also ohne Schulabschluss und Ausbildung kaum eine Chance hat. Gleichzeitig bekommen sie von ihren älteren Freunden zurückgespiegelt, dass selbst mit einem Schulabschluss der Ausbildungsplatz nicht sicher und sogar mit einer abgeschlossenen Ausbildung eine Festanstellung nicht garantiert ist. Das verunsichert massiv und führt bei manchen zu der resignativen Frage: Warum denn dann eigentlich?«/198/

Die prekären Jugendlichen sind die Gruppe, die bereits am häufigsten eigene Erfahrungen mit Ausgrenzungen gemacht haben. Die »Distiktionsbemühungen« der gesellschaftlichen Mitte bekommen auch die Kinder benachteiligter Familien massiv zu spüren. Rückzugstendenzen und eigene Erfahrungen mit Gewalt, sowohl als Opfer als auch als Täter, sind in dieser Gruppe sehr verbreitet.

Experimentalistische Hedonisten, die »spaß- und szeneorientierten Nonkonformisten mit Fokus auf Leben im Hier und Jetzt«, sind die Jugendlichen, die in ihrer Grundorientierung moderne bis postmoderne Einstellungen haben. Zu dieser Gruppe gehören ca. 19% der Jugendlichen und sie erstrecken sich von sozial- und bildungsmäßig niedrigem bis zu hohem Niveau. Sie legen wenig Wert auf Statussymbole, sie nutzen die neuen Medien intensiv, vor allem auch für kreative Selbstgestaltung. Charakteristisch ist für diese Gruppe, das Leben in vollen Zügen jetzt zu genießen. Sie machen sich folglich wenig Gedanken und Sorgen um die Zukunft. »Experimentalistische Hedonisten kritisieren im Vergleich aller Lebenswelten mit am stärksten eine auf harten Wettbewerb ausgerichtete Wirtschaftsordnung. Ein klassisch karrieristisches Elitedenken mit 'Ellenbogenmentalität' ist experimentalistischen Hedonisten fremd.«/273/ Weil die Vorstellung, den Traumberuf im bestehenden Ausbildungs- und Berufssystem zu erreichen, ohnehin nicht vorhanden ist, ist die Skepsis bezüglich der beruflichen Zukunft in dieser Gruppe am größten.

Die sozialökologischen Jugendlichen haben eine moderne Grundorientierung und gehören zu den besonders bildungsnahen Jugendlichen, deren Eltern ebenfalls hohe Bildungsabschlüsse und stabile Einkommen haben. Sie sind die »nachhaltigkeits- und gemeinwohlorientierten Jugendlichen mit sozialkritischer Grundhaltung und Offenheit für alternative Lebensentwürfe.«

Zu ihnen zählen ca. 10% der Jugendlichen. Solidarität ist für diese Jugendliche ein wichtiger Wert, das zeigt sich auch an ihrer Haltung zur und in der Schule: Förderung und Chancenausgleich für die Benachteiligten und deshalb auch Kritik am dreigliedrigen Schulsystem. Ihre Affinität zu sozialen Berufen ist hoch, wobei es ihnen in erster Linie auf das Helfen statt auf gesicherte Einkommen ankommt. Sie interessieren sich besonders für umweltpolitische und sozialpolitische Themen und ordnen sich im Parteienspektrum eher links ein. Sozialökologische Jugendliche blicken in ihre berufliche Zukunft eher optimistisch und haben wohl auch die besten Voraussetzungen dafür.

Expeditive Jugendliche, »die erfolgs- und lifestyleorientierten Networker auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen«, sind im oberen Spektrum, was Bildungsvoraussetzungen und Sozialstatus betrifft, anzusiedeln. Sie sind diejenige Gruppe, die am stärksten »postmodern« orientiert ist. Zentral für diese Gruppe ist es, sich vom Mainstream abzugrenzen. »Sie verfügen über ein ausgeprägtes Selbstdarstellungs- und Durchsetzungsvermögen und haben ein elitäres Grundverständnis von sich selbst.«/327/

Diese elitäre Grundhaltung wird ergänzt durch eine starke Ab- und Ausgrenzung der Jungendlichen, die nicht zu ihnen gehören. Das zeigt sich besonders im Freizeitverhalten und in der Schule. »Das Banale, Triviale, Volkstümliche wird verunglimpft und entwertet.«/334f./ Insbesondere wenn das Gefühl aufkommt, in seinem persönlichen Vorankommen beim Lernen in der Schule von weniger Leistungsstarken behindert zu werden, grenzt man diese aus. Gymnasiasten, zu denen diese Jugendliche überwiegend gehören, lehnen Haupt- und Realschüler massiv ab. »Ich hab festgestellt, dass ich ein Bildungsrassist bin. Das ist echt krass, aber ich kann mich zum Beispiel mit Mitschülern nicht unterhalten. Ich finde ihre Ausdrucksweise ganz schlimm: Ey Alta!« (m, 17)

Sie blicken, was die berufliche Perspektive betrifft, sehr optimistisch in die Zukunft, auch weil sie über gute Verbindungen und die notwendige Unterstützung des Elternhauses verfügen.

Am Ende der Betrachtung der verschiedenen sozialen Milieus bleiben die Bildungsvoraussetzungen, in denen sich die sozialen Benachteiligungen oder Vorteile reflektieren, mit denen die Jugendlichen in die Welt starten, zentral für die Haltung der Jugendlichen. Es sind die sozial und bildungsmäßig benachteiligten oder zumindest nicht besonders gut ausgestatteten Gruppen von Jugendlichen, die am wenigsten Zuversicht für ihre Zukunft zeigen. Mangelhafte Bildungsabschlüsse, unsichere Ausbildungsplätze und prekäre Berufsaussichten sind die Perspektiven, die den Jugendlichen Angst vor der Zukunft machen. Nicht mithalten zu können mit den anderen, die Lebensziele, die durch das Leben der Eltern vorgegeben sind, nicht erreichen zu können - gepaart mit Ausgrenzungserfahrungen -, belastet Jugendliche schon in sehr frühem Alter. Lebensstile spielen verstärkend bzw. abschwächend eine Rolle, je nachdem, wie sehr sie sich an alten Mustern orientieren bzw. Distanz zum Mainstream entwickeln. Erschreckend aber ist an den vorliegenden Befunden, dass die große Mehrheit der Jugendlichen(milieus) mit wenig Zuversicht in ihre berufliche Zukunft blicken.


Selbstbehauptung trotz Verunsicherung?(5)

Das Autorenteam der 16. Shell-Studie unter Leitung von Mathias Albert, Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel gibt einen Überblick über die Situation der 12-25-jährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Jahr 2010. Anders als die Sinus-Studie ist diese Untersuchung eher mit den traditionellen Methoden der empirischen Sozialforschung durchgeführt. Insofern ergänzen sich beide Studien. Während die Sinus-Studie eher qualitative Befragungen durchführt und Wertorientierungen bei der Gruppierung der Jugendlichen mit einfügt, ist die Shell-Studie eher auf repräsentative Befragungen und die konventionelle Einteilung der Jugendlichen in Ober-, Mittel- und Unterschicht(6) angelegt.(7)

Die Shell-Studie, die bisher in ähnlicher Weise in vierjährigem Abstand durchgeführt wurde und folglich Zeitreihenvergleiche zulässt, stand 2010 unter dem Motto: »Eine pragmatische Generation behauptet sich.«

Schon etwas weniger optimistisch klingt die Überschrift zum einleitenden Abschnitt von Albert, Hurrelmann und Quenzel. Dort heißt es vorsichtiger: »Jugend 2010: Selbstbehauptung trotz Verunsicherung?« Viele der Befunde, die dann präsentiert werden, legen nahe, dass diese Frage in Bezug auf viele Jugendliche verneint werden muss.

In der Untersuchung werden die Befragungsergebnisse in einem Schichtenmodell differenziert. Zur Oberschicht gehören danach 14% der Jugendlichen, zur oberen Mittelschicht 22%, zur Mittelschicht 30%, zur unteren Mittelschicht 24% und zur Unterschicht 10% der Jugendlichen. Diese Differenzierung ist für die gesamte Studie von großer Bedeutung, weil die Ergebnisse sehr stark von der Schichtzugehörigkeit abhängen.

Das Auseinanderdriften zwischen den Jugendlichen nach ihrem sozialen Status ist das hervorstechende Merkmal der Shell-Studie 2010. »Die bereits in den letzten Shell Jugendstudien festgestellte Kluft zwischen den sozialen Milieus hat sich demnach zu den Jugendlichen aus der sozial schwächsten Herkunftsschicht trotz des positiven Gesamttrends eher noch vertieft.«/17/

Bestimmend für das Maß der Verunsicherung aller Jugendlichen - unabhängig davon, ob sie als Jüngere noch mitten in der Schulzeit stecken oder als Ältere kurz vor ihren Schulabschlüssen stehen, den Übergang in Berufsausbildung oder Studium gerade vollziehen oder erste Erfahrungen im Beruf sammeln - ist die Perspektive ihres beruflichen Lebens. »Die Chancen einer gelingenden Berufseinmündung werden für Jugendliche immer schwerer kalkulierbar.«/37/

Die demografische Entwicklung, die angeblich allen jungen Menschen bessere Chancen bietet, weil die geburtenschwachen Jahrgänge zu einem Mangel an Auszubildenden und Fachkräften führen, ändert an dieser tiefen Unsicherheit (momentan) nichts. »Selbst eine gute Bildung und eine hervorragende Ausbildung garantieren immer weniger die angestrebte Sicherheit in der Erwerbsbiographie. Die Lebensphase Jugend ist zu einem Abschnitt der strukturellen Unsicherheit und Zukunftsungewissheit geworden. Mädchen und Jungen treten in diesen Lebensabschnitt wegen der sich immer noch vorverlagernden Pubertät immer früher ein, sie erhalten aber immer weniger Gelegenheit, ihn relativ früh wieder zu verlassen und in die traditionelle Rolle des Erwachsenen einzutreten.«/38/

Auch die, die erfolgreich intensiv in das Erringen von Zertifikaten investieren und im Bildungssystem gut durchkommen, sind damit konfrontiert, die ersten zehn bis fünfzehn Jahre ihres Berufslebens »in steigendem Maße von befristeten Verträgen, temporärer Arbeitslosigkeit, Teilzeitjobs und Mehrfachjobs« /41/ abzuhängen.

Diejenigen mit einer Hochschulbildung haben nach dieser Zeit die besten Chancen, in dauerhaft feste Erwerbsstrukturen einzumünden. Bei denjenigen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung sieht das schon schlechter aus, und für diejenigen, die die Schule mit (oder gar ohne) Hauptschulabschluss verlassen und Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, sind die berufliche Perspektive und damit ein selbstbestimmtes Leben dauerhaft gefährdet. Und darüber - so ein Ergebnis der Shell-Studie - sind sich die meisten Jugendlichen bewusst. Das ist es, was zu Verunsicherung und oft - vor allem bei den männlichen Angehörigen der so genannten Unterschicht oder unteren Mittelschicht - zu Resignation führt. Diese Verunsicherung hat bedeutende Auswirkungen auf die Orientierung der Jugendlichen in Deutschland heute, auf ihre Einstellungen zu und ihr Erleben von Familie, Freizeit und Politik.

Die Bedeutung einer guten Bildung hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur in Deutschland ständig erhöht. Konnte man Europa 1950 noch als Volksschülergemeinschaft mit einer sehr schmalen Akademikerschicht und einem breiten Analphabetismus im Süden und im Osten beschreiben, ist es zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Gesellschaft von Hochschul- und Fachschulabsolventen geworden./70/ Auch für Deutschland bedeutet das, dass die, die geringe Bildungsabschlüsse erwerben, viel schlechtere Startchancen haben als in den zurückliegenden Jahrzehnten. So ist es nicht erstaunlich, dass die Hälfte der HauptschülerInnnen und ein Drittel der RealschülerInnen einen Schulabschluss anstrebt, der höher ist als auf ihrer Schule erreichbar./vgl. 75/ Vor dem Hintergrund, dass die Chancen nach Schulformen unterschiedlich verteilt sind, ist besonders schwerwiegend, dass »Bildung (...) in Deutschland weiterhin sozial vererbt«/72/ wird. Stärker als die eigene Leistungsfähigkeit entscheidet im gegliederten Schulwesen der Bundesrepublik die soziale Herkunft über Schulerfolg.

Die Schulabschlüsse haben sich in den letzten zehn Jahren weiter nach oben bewegt, damit ist der Hauptschulabschluss als erster Bildungsabschluss weiter entwertet und für die meisten Berufe unzureichend. Mädchen sind die Bildungsgewinner, ihr Anteil an den HauptschülerInnen sinkt ebenso überproportional wie ihr AbiturientInnenanteil steigt. (Tabelle 1)

Tabelle 1: Zeitreihenvergleich zur besuchten Schulform
%-Angaben

 2002
 gesamt

männlich

weiblich
 2006
 gesamt

männlich

weiblich
 2010
 gesamt

männlich

weiblich
Hauptschule
Realschule
Gymnasium
Gesamtschule
Sonstige Schulformen
21
25
41
7
6
24
24
39
6
7
19
26
43
7
5
19
25
44
5
7
22
25
40
6
7
17
25
47
5
6
20
24
44
6
6
23
24
41
6
6
17
24
48
5
6

Quelle: Shell Jugendstudie 2010 - TNS Infratest Sozialforschung (Tab. 2.6, S. 74)


Die schulische und berufliche Ausbildung ist für Jugendliche richtungweisend, was ihre Zukunft betrifft. Angesichts des selbst erfahrenen Konkurrenzkampfs in Schule und Beruf verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Jugendlichen sich durch Schule, Studium und Ausbildung belastet fühlt. Nur 24% bezeichnen den Alltag als eher locker, 24% fühlen sich sehr belastet und 54% etwas.

22% aller Jugendlichen haben bereits die Erfahrung gemacht, dass ihnen für ihren Wunschberuf der richtige Schulabschluss fehlt. Bei denjenigen ohne Hauptschulabschluss sind das 72% und bei den HauptschülerInnen fast die Hälfte (46%)./vgl. 111f./ Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Optimismus hinsichtlich der Verwirklichung der beruflichen Wünsche, der generell gegenüber den letzten Jahren gestiegen ist, sowohl »bei Studierenden als auch bei den Jugendlichen aus der Unterschicht« /115/ seit 2002 kontinuierlich abnimmt. Das ist bei den einen wohl darauf zurückzuführen, dass die Umstellung des Studiums auf Bachelor offenbar keine hinreichende Berufsperspektive erkennen lässt, bei den anderen auf fehlende Berufschancen trotz Arbeitskräftemangel.

Die Furcht vor Arbeitslosigkeit ist unter allen Jugendlichen verbreitet, mit unterschiedlicher Gewichtung je nach sozialer Lage. Selbst in der Oberschicht liegt diese Furcht noch bei über 50%. (Abbildung 2)

Abbildung 2: Furcht vor Arbeitslosigkeit
nach sozialer Schichtzugehörigkeit
Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren
Angaben in %
2002
2006
2010
Unterschicht
Untere Mittelschicht
Mittelschicht
Obere Mittelschicht
Oberschicht
58
58
57
55
45
78
73
71
65
61
75
68
58
59
54

Quelle: Shell Jugendstudie 2010 - TNS Infratest
Sozialforschung (Tab. 2.21, S. 120)


Wenn die Studie konstatiert, dass es eine hohe allgemeine Zufriedenheit mit dem eigenen Leben (im Unterschied zum gesellschaftlichen) unter Jugendlichen gibt, so zeigt die Tatsache, dass das nicht für Jugendliche aus der Unterschicht und für Arbeitslose gilt, dass die Schere in der Generation der 12-25-Jährigen sich immer weiter öffnet.

Unter allen Jugendlichen wird die gesellschaftliche Zukunft weiterhin eher düster eingeschätzt: »Auch in 2010 ist eine Mehrheit der jungen Menschen in den alten (53%) und neuen Bundesländern (57%) düster gestimmt, wenn es um die gesellschaftliche Zukunft geht.« /127/

Auch bei der Untersuchung der Lebenseinstellungen der Jugendlichen (Thomas Gensicke) zeigt sich zum einen, dass das Bild einer optimistischen Jugend zumindest stark gebrochen ist, und zum anderen das Auseinanderklaffen zwischen den verschiedenen Schichten. »Immerhin 30% der Unterschicht, aber nur 13% in der Oberschicht stimmen dem Statement zu: 'Eigentlich ist es sinnlos, sich Ziele für sein Leben zu setzen, weil heute alles so unsicher ist'.«/213f./

Das gleiche zeigt sich bei den Antworten auf die Aussage: »Man muss sich daran anpassen, was einem das Leben bietet, für eigene Wünsche bliebt da nicht viel Platz.« Dieser Aussage stimmt eine klare Mehrheit der Jugendlichen aus der Unterschicht eher zu, während diese Aussage in der Oberschicht 75% der Befragten ablehnen./vgl. 221f./

Diese fast schon resignative Haltung wird ergänzt durch ein starkes Bewusstsein darüber, dass Ausbildung und Beruf im Mittelpunkt auch der jugendlichen Welt stehen. Auch hier zeigt sich eine starke Abhängigkeit von der sozialen Lage der Befragten. (Abbildung 3)

Abbildung 3: Aussage "Heutzutage muss man sich auf
Ausbildung und Karriere konzentrieren, dahinter muss
alles andere zurückstehen." (Nach sozialen Schichten)
Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren
Angaben in %
Zustimmung
Teils-teils
Ablehnung
Unterschicht
Untere Mittelschicht
Mittelschicht
Obere Mittelschicht
Oberschicht
55
47
47
39
37
21
19
22
23
20
24
34
31
38
43

Quelle: Shell Jugendstudie 2010 - TNS Infratest
Sozialforschung (Tab. 5.16, S. 220)


Angesichts der unsicheren Zukunft und bereits erfahrener Niederlagen ist es nicht erstaunlich, dass Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten schon häufiger gewaltsame Konfliktlösungen erlebt und praktiziert haben.

Die Herkunftsfamilie bietet Jugendlichen Orientierung und Sicherheit. Der Stellenwert von Familie hat bei allen Jugendlichen von einem hohen Ausgangsniveau in den letzten acht Jahren weiter zugenommen. /vgl. 57/ Deutlich geringer ist die Wichtigkeit eigener Kinder. Beim eigenen Kinderwunsch macht sich die Schichtzugehörigkeit wieder stark bemerkbar: 58% aller Jugendlichen der Unterschicht, aber 70% der Mittel- und Oberschicht wünschen sich eigene Kinder.

Zwar bekommen Jugendliche aus der Unterschicht früher eigene Kinder, aber auch bei ihnen ist die Geburtenzahl rückläufig: »Da es vor allem die Jugendlichen aus den unteren Schichten sind, die ihre eigene Zukunft eher düster beurteilen, könnte dies ein wichtiger Hinweis auf die Ursachen für die gesunkene Lust auf Kinder sein. In diesem Fall wäre sie ein Ausdruck der Verunsicherung, ob sie es schaffen werden, die materiellen Voraussetzungen für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches zu erreichen.«/62/

Die finanziellen Verhältnisse sind es i.d.R., die dazu führen, dass die Mehrheit auch der 18-21-Jährigen (77%) und immerhin noch 38% der 22-25-Jährigen bei den Eltern wohnen. Nie gab es eine Generation, bei der das so stark der Fall war. Dies reflektiert die Unsicherheit der Perspektive für die jungen Erwachsenen, denn die Mehrheit würde gern ausziehen.

Die eigene finanzielle Lage wird von den Jugendlichen der oberen Schichten mehrheitlich gut, von den übrigen, vor allem von der Unterschicht, überwiegend als schlecht beurteilt. Auch die Möglichkeit, die Finanzen mit Nebenjobs aufzubessern, steht eher den Jugendlichen zur Verfügung, die eine längere Schul- oder Hochschulbildung durchlaufen - Jugendliche, die in Ausbildung oder berufsvorbereitenden Maßnahmen sind, können dies in der Regel nicht.

Wenn man weiß, dass die Freizeitgestaltung sehr stark kommerzialisiert ist, wird deutlich, dass auch die Freizeitgestaltung stark von der sozialen Lage geprägt ist - auch unter Jugendlichen. »Das Alter der Jugendlichen besitzt neben der sozialen Herkunft der Jugendlichen eine große Erklärungskraft, um das Freizeitverhalten der Jugendlichen zu differenzieren.«/97f./

Die Autoren entwickeln vier typische Muster von Freizeitbeschäftigungen, denen etwa jeweils ein Viertel der Jungendlichen zuzuordnen ist: Die »Kreative Freizeitelite«, die »geselligen Jugendlichen«, die »Medienfixierten« und die »engagierten Jugendlichen«. /98ff./ Die unteren sozialen Schichten sind erwartungsgemäß eher als medienfixiert einzuordnen, kreative und engagierte Freizeitaktivitäten sind eher selten. Bei den oberen sozialen Schichten sind die kreativen und engagierten Aktivitäten deutlich häufiger anzutreffen - eine gewisse Medienfixierung ist allerdings bei allen Jugendlichen vorhanden. (Tabelle 2)

Tabelle 2: Zusammenhangsanalyse:(1)
Die unterschiedlichen Freizeittypen
 %-Angaben
 (pro Zeile)
Kreative
Freizeitelite
Gesellige
Jugendliche
Medien-
freaks
Engagierte
Jugendliche
 Gesamt
23
28
26
23
 Geschlecht
 Männlich
 Weiblich
18
29
20
36
31
21
32
14
 Soziale Herkunft
 Unterschicht
 Untere Mittelschicht
 Mittelschicht
 Obere Mittelschicht
 Oberschicht
11
20
25
25
29
25
28
28
29
27
47
31
24
19
20
17
21
23
28
25
 Alter in Jahren
 12 bis 15
 15 bis 17
 18 bis 21
 22 bis 25
33
20
18
25
16
26
36
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(1) Der Zusammenhang wurde multivariat anhand einer Diskriminanzanalyse auf die variable "Freizeittypen" getestet. Einbezogene Prädiktoren: Alter, Geschlecht, alte/neue Bundesländer, Migrationshintergrund, Siedlungsstrukturtyp, soziale Herkunftsschicht. Hierbei wird statistisch getestet, bei welchen Merkmalen signifikante Effekte vorhanden sind, die auf den jeweiligen Freizeittyp schließen lassen. Das Besondere ist, dass die Merkmale hierbei im Zusammenhang beurteilt werden. Berücksichtigt wird der jeweilige Teilbeitrag (partieller Beitrag), so wie sich dieser in der Gesamtwirkung aller einbezogenen Merkmale ergibt. In der Tabelle wurde zur besseren Veranschaulichung auf die Darstellung der wissenschaftlich-korrekten statistischen Prüfgrößen verzichtet. Stattdessen werden die signifikanten Merkmale für sich genommen bivariat und dabei pro Zeile in % ausgewiesen. Pro Zeile lässt sich ablesen, wie sich die Kinder je nach Merkmal hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einem der Freizeittypen unterscheiden. Fett gedruckt sind nur die Ausprägungen, die sich auch innerhalb der statistischen Gesamtanalyse als signifikant erwiesen haben (p <0,05).

Quelle: Shell Jugendstudie 2010 - TNS Infratest Sozialforschung, Tab. 2.21, S. 100


Bei der Nutzung des Internets sind in wenigen Jahren deutliche Veränderungen zu konstatieren. Mit 96% Reichweite unter den Jugendlichen insgesamt kann von einer vollständigen Verbreitung gesprochen werden. »2002 und 2006 erwies sich die soziale Herkunft der Jugendlichen als zentraler Erklärungsfaktor für die Frage, ob Jugendliche einen Zugang zum Internet haben oder nicht.« /101/ Das gilt 2010 nicht mehr.

Damit haben sich die Unterschiede in der Nutzung des Internets zwischen den sozialen Schichten aber nicht nivelliert. »Die vormals zu beobachtende digitale Spaltung in Form einer eingeschränkten Nutzung des Internets durch Jugendliche aus sozial benachteiligten Schichten setzt sich nunmehr nach der Überwindung dieser Form der Spaltung in den Inhalten fort.«/109/

Jugendliche aus den benachteiligten Schichten nutzen das Internet in ersten Linie für Computerspiele, E-Mails werden kaum geschrieben und das Internet wird von diesen Jugendlichen auch wenig zur Suche nach Informationen oder für soziale Netzwerke genutzt. Männliche Jugendliche verbringen wöchentlich 2010 im Schnitt 15 Stunden im Internet, weibliche Jugendliche ca. 10,7 Stunden.

Die 16. Shell-Jugendstudie zeigt deutliche Auswirkungen der größten Weltwirtschaftskrise der Nachkriegszeit bei den befragten Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren. Entgegen den in der Studie oft auch angeschlagenen optimistischen Tönen zeigen viele Ergebnisse, dass der Übergang in das Erwachsenenleben, bei dem die Einmündung in eine Berufstätigkeit auch im Bewusstsein der Jugendlichen die zentrale Bedeutung hat, zu tiefgreifenden Verunsicherungen unter der Jugend insgesamt führt. Das gilt für benachteiligte Jugendliche wie auch für Kinder aus der Mittel- und Oberschicht und Studierende. Die Studie zeigt darüber hinaus deutlich, dass die soziale Spaltung in der Gesellschaft auch unter den Jugendlichen rasch voranschreitet. Die Kluft zwischen den benachteiligten und den übrigen Jugendlichen nimmt weiter zu, und die Gefahr, dass die Gruppe der Abgehängten weiter zunehmen wird, lässt wenig Verbesserung erwarten.


Klaus Bullan ist GEW-Vorsitzender in Hamburg.


Anmerkungen

(1) Marc Calmbach, Peter Martin Thomas, Inga Borchard, Bodo Flaig, Wie ticken Jugendliche? 2012: Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Düsseldorf 2012.

(2) Vgl. hierzu: Klaus Bullan: Eltern und Kinder unter Druck, in: Sozialismus 3/2010.

(3) Chinesischkurse in der Kita, Gebärdensprachkurse für Säuglinge sind nur extreme Auswüchse dieses Trends.

(4) In großstädtischen Ballungsgebieten wie Hamburg liegt der Anteil der Haushalte mit Kindern oft nur bei 20%.

(5) 16. Shell-Studie, Jugend 2010, Frankfurt 2010; Zitate im Folgenden aus diesem Text.

(6) »Der Begriff Schicht wird gebraucht, um die Unterschiede im Zugang zu ökonomischen Ressourcen und Bildungszertifikaten und die daraus resultierenden Lebenslagen von verschiedenen Gruppen in der Bevölkerung zu beschreiben. Da es sich sowohl bei Bildung als auch bei Vermögen um allgemein begehrte Ressourcen handelt, die in der Gesellschaft ungleich verteilt sind, erfasst der Schichtbegriff mit seiner Unterteilung in Oberschicht, Mittelschicht und Unterschicht die hierarchische Verteilung dieser Ressourcen.«/54/

(7) In einem zweiten Teil der Shell-Studie werden - wie in den zurückliegenden Studien - auch intensive qualitative Interviews mit 20 Jugendlichen dokumentiert.


Zum Thema:

Klaus Bullan: Bildung in Deutschland 2012. Die Spaltung der Gesellschaft vertieft sich weiter, Sozialismus 9/2012, S. 12-17.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Abbildung 1: Sinus-Lebensweltenmodell u18
Lebenswelten der 14- bis 17-Jährigen in Deutschland

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Quelle:
Sozialismus Heft 3/2013, Seite 18 - 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2013