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KULTUR/037: Wenn der Barkeeper zum Seelsorger wird (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 17.07.2007

Wenn der Barkeeper zum Seelsorger wird


Essen und Trinken sind in allen Religionen von großer Bedeutung. Welche Rolle sie dort spielen und wie sich religiöse Rituale rings um die Mahlzeiten im Alltagsleben niederschlagen, untersucht der Liturgiewissenschaftler Prof. Guido Fuchs. Für den neu gegründeten und von ihm geleiteten Arbeitskreis "Kulinaristik und Religion" sucht er Interessenten und Teilnehmer.

"Das Christentum ist ja im Prinzip eine 'Speisereligion'. Schließlich steht in seinem Mittelpunkt ein Mahl - das Abendmahl." Guido Fuchs ist Professor an der Universität Würzburg; der Liturgiewissenschaftler interessiert sich schon seit langem dafür, auf welche Weise religiöse Formen im Alltag der Menschen auftauchen und umgekehrt. Während er dazu in den vergangenen Jahren vor allem die Feiern von Fronleichnam und des Heiligabends erforscht hat, ist Fuchs jetzt zu einem Thema zurückgekehrt, mit dem er sich vor rund zehn Jahren schon einmal intensiv auseinandergesetzt hat: "Mahlkultur. Tischgebet und Tischritual" heißt das Buch, das der Theologe damals veröffentlicht hat. Jetzt geht es ihm also wieder um Essen, Trinken und Religion.

"'Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen': Selbst der Volksmund kennt den Zusammenhang zwischen Nahrungsaufnahme und Religiösem", sagt Fuchs. Und so finden sich in vielen Kulturen deutliche Einflüsse des Religiösen auf das Essen, den Mahlzeitenstil und sogar auf Kochrezepte. Da dienen jüdische Speisegesetze dem Zusammenhalt der Religionsgemeinschaft, da regeln christliche Traditionen die Speisenwahl am Freitag, da zeigt ein Wort aus der islamischen Mystik, dass Essen und Trinken auch für Muslime bedeutungsvolle Vorgänge sind, die weit über Verhaltensregeln wie das Fasten hinausgehen: "Das Einnehmen von Speisen ist ein großes Prinzip, das vieler Wissenschaften bedarf, da es die Angelegenheiten der Religion und des Diesseits umfasst und seine Wirkung am Herzen und am Leib haften bleibt."

Um den vielseitigen Bezügen zwischen Religion und Essen nachzuspüren, wurde von der "Deutschen Akademie für Kulinaristik", der Fuchs seit Anfang 2005 angehört, der Arbeitskreis "Kulinaristik und Religion" ins Leben gerufen. "Essen und Trinken als Phänomen des Lebens zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen" ist ein Ziel, das sich die Akademiemitglieder gesetzt haben. Ihnen gehören Volkskundler, Historiker oder Germanisten wie die Würzburger Mediävistin Trude Ehlert an, die unter anderem Kochbücher aus dem Mittelalter erforscht. Aber auch Gastronomen, Lebensmittelkundler, Spitzenköche, denn es geht auch um den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. "Ein Theologe hat allerdings bisher gefehlt - trotz der zahlreichen Bezüge zwischen Essen und Religion", sagt Fuchs.

Themen, die in dem Arbeitskreis eine Rolle spielen könnten, gibt es mehr als genug, angefangen von der gottesdienstlichen Mahlgestaltung über religiöse Ausdrucksformen im alltäglichen Essen und Trinken zu sozialethischen Aspekten der Nahrungsherkunft und -herstellung; ein Beispiel bietet die Heilige, deren 800. Geburtstag derzeit groß gefeiert wird: "Wenn Elisabeth von Thüringen auf Speisen verzichtet, die den Bauern unrechtmäßig abgepresst wurden, zeigt das, wie solche Aspekte schon damals eine Rolle spielten, sagt Fuchs. "Gastlichkeit" ist ein weiterer Punkt, der zum Beispiel im klösterlichen Alltag, aber auch in religiösen Bildungshäusern von großer Bedeutung ist. Oder Gastronomieseelsorge - das meint zwar die pastorale Sorge um die in der Gastronomie Tätigen, doch "gelegentlich übernimmt auch mancher Barkeeper oder Kneipenwirt die Funktion eines Seelsorgers seinen Gästen gegenüber", schmunzelt Fuchs.

Mit dem Arbeitskreis will der Theologe "Menschen ansprechen, Diskussionen anregen, das Thema ins Gespräch bringen, Beziehungen knüpfen". Und so dem Verhältnis von Religion und Essen und Trinken die Bedeutung zukommen lassen, die ihm zusteht. "Denn schließlich", so Fuchs, "war auch Jesus dort zu finden, wo die Menschen aßen und tranken, um ihnen in ihrem Alltag das Reich Gottes zu verkünden."

Dr. Guido Fuchs ist Liturgiewissenschaftler und apl. Professor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er leitet das "Institut für Liturgie- und Alltagskultur e. V." (Hildesheim), wo sich auch eine im Aufbau befindliche Spezialbibliothek zum Thema "Kulinaristik & Religion" befindet, deren Bestand laufend erweitert wird. Die Titel sind über die Website des Instituts (www.liturgieundalltag.de) einsehbar. Über die "Deutsche Akademie für Kulinaristik" kann man sich auf der Website www.kulinaristik.de informieren.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Guido Fuchs
Tel.: (05121) 44630
E-Mail: guido.fuchs@theologie.uni-wuerzburg.de oder
info@liturgieundalltag.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution99


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gunnar Bartsch, 17.07.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2007