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SPLITTER/361: Studie zu Hirnverletzungen bei Amateurboxern (SB)


Schwedische Wissenschaftler warnen vor Risiken

Auf dem Jahrestreffen der Amerikanischen Akademie für Neurologie in Boston wurde vor wenigen Tagen eine schwedische Studie zu der Gefahr von Hirnverletzungen bei Amateurboxern vorgestellt. Die Forscher kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß häufige Treffer des Kopfes auch im Amateurbereich ein erhebliches Gefahrenpotential bergen.

Wie Dr. Max Hietala vom Universitätskrankenhaus Sahlgrenska in Göteborg in einer schriftlichen Stellungnahme darlegte, seien Hirnschäden beim professionellen Boxen weithin bekannt und recht gut erforscht, doch lägen bislang noch wenig Kenntnisse über das mögliche Verletzungsrisiko des Gehirns bei Amateurboxern vor.

Grundlage der Studie bildete die Untersuchung der Hirnflüssigkeit auf den Gehalt an biochemischen Markern, die als Indikator für Hirnverletzungen angesehen werden. Testpersonen waren vierzehn Amateurboxer, die nach einem Kampf und dann noch einmal drei Monate nach ihrem letzten Kampf untersucht wurden. Dabei stellte sich heraus, daß der Gehalt an NFL (neurofilament light) bei Amateurboxern innerhalb von zehn Tagen nach ihrem Kampf viermal so hoch wie bei einer Kontrollgruppe war, die nicht geboxt hatte und kaum Sport betrieb.

Das Ergebnis dieser Studie scheint mit der These zu korrespondieren, daß wiederholte Schläge gegen den Kopf zu einer Vorschädigung in Gestalt feiner Hirnverletzungen führen können. Die unterschiedlich schnelle Beschleunigung von Gehirn und Schädel führt im Verbund mit den Vektoren des Übertrags zu mehrfachem Aufprall der Hirnmasse an der Schädelwand wie auch enormen Scherbewegungen, was eine Vielzahl von Mikroverletzungen hervorrufen kann, die bei konventionellen Untersuchungsmethoden kaum in Erscheinung treten. Dies ist auch im Amateurboxen von Bedeutung, wo der Kopfschutz zu der verbreiteten Fehleinschätzung verleitet, er verhüte Hirnverletzungen.

Daß bei Boxern mikroskopische Hirnschäden lange vor dem Auftreten ausgeprägter Symptome nachweisbar sind, zeigte beispielsweise eine Studie, die in der Januarausgabe 2003 des American Journal of Neuroradiology veröffentlicht wurde. Wie Dr. Robert D. Zimmerman von der Cornell University in New York darlegte, wiesen Boxer und andere Sportler, die im Laufe ihrer Karriere wiederholt Kopfverletzungen davontragen, Jahre später ein erhöhtes Risiko auf, eine sogenannte Chronische Traumatische Encephalopathie (CTE) zu entwickeln. Diese wird nach Angaben Zimmermans bei etwa 20 Prozent der ehemaligen Boxer diagnostiziert. Die Folgen seien Gedächtnisverlust, sprachliche und motorische Probleme sowie eine Reihe weiterer Symptome.

Wenngleich man bestrebt sei, Hirnverletzungen bereits im Frühstadium zu entdecken, könnten herkömmliche Verfahren wie etwa Magnetresonanzspektroskopie mikroskopische Veränderungen nur selten abbilden, so daß den Patienten ein normales Erscheinungsbild attestiert werde. Bei ihrer Studie untersuchte die Arbeitsgruppe um Zimmerman die Hirnstruktur von 24 aktiven Berufsboxern sowie 14 anderen Personen mit Hilfe alternativer Abbildungsverfahren. Keiner der Boxer wies zum Zeitpunkt dieser Untersuchung manifeste Symptome der CTE auf.

Bei der neuen Untersuchungstechnik werden nach Angaben Zimmermans die Bewegungen der Wassermoleküle im Hirn abgebildet. Da sich Wasser innerhalb des Gewebes langsamer bewege als in Hohlräumen, könne man aus der Veränderung der Geschwindigkeit in den jeweils untersuchten Bereichen ableiten, in welchem Ausmaß dort Gewebe geschädigt sei.

Wie sich bei der Studie herausstellte, wiesen die Boxer eine durchschnittlich raschere Wasserbewegung als die Vergleichsgruppe auf, so daß auf mikroskopische Schäden geschlossen werden konnte, die mit herkömmlichen Verfahren nicht nachweisbar waren. Zudem konnte ein Zusammenhang zwischen erhöhter Wasserbewegung und der Anzahl zuvor klinisch therapierter Hirntraumata nachgewiesen werden.

Nach Angaben der Forscher wies die Hirnstruktur der Boxer Ähnlichkeiten mit jener von älteren Menschen auf, vor allem wenn diese an Alzheimer erkrankt sind. Wie Zimmerman jedoch einschränken mußte, hätten die Forschungsergebnisse noch nicht das Stadium erreicht, in dem man einzelnen Boxern konkrete Ratschläge geben könnte. Noch wisse man beispielsweise nicht, ob die mikroskopischen Schäden reversibel seien und ob sie eindeutige Prognosen auf das spätere Auftreten von CTE zuließen.

Möglicherweise könnten diese Ergebnisse eines Tages dazu beitragen, Boxer vor den drohenden Gefahren zu warnen und ihnen gegebenenfalls zu einer Pause wenn nicht gar dem Ende ihrer Karriere zu raten. Für den Berufsboxer hänge die gesamte Lebensperspektive und damit natürlich nicht zuletzt seine Erwerbsmöglichkeit von seiner Karriere im Ring ab, weshalb die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung der sportlichen Laufbahn auf gesicherten Erkenntnissen gründen müsse.

8. Mai 2007