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SPLITTER/362: Fitneßprogramme für Freizeitboxer haben Konjunktur (SB)


"Boxercise" erfreut sich in Großbritannien wachsender Beliebtheit


"Boxercise" heißt ein Fitneßprogramm für Männer und Frauen jeden Alters, das sich in Großbritannien wachsender Beliebtheit erfreut. Orientiert am traditionellen Training von Boxern, doch unter ausdrücklichem Verzicht auf den Schlagabtausch mit einem Partner oder Gegner, verspricht es ebenso ungefährliche wie kurzweilige Übungssequenzen zur umfassenden körperlichen Ertüchtigung. Der Unterricht ist vielfältig und abwechslungreich, denn er wirkt der rasch aufkommenden Langeweile angesichts eintöniger Gymnastik und immer wiederkehrender Routinen durch eine Variation von Schattenboxen, Seilspingen, Pratzenarbeit, Tritten gegen den Sandsack, Bauchaufzügen, Bankdrücken und allerlei anderen Übungseinheiten entgegen.

Schöpfer dieses Konzepts für Freizeitsportler ist der frühere britische und europäische Boxchampion Clinton McKenzie, der auch in seiner Sportschule im Süden Londons Kurse anbietet. Die zugrundeliegende Philosophie ist einfach gehalten: So wie jeder Boxer von Grund auf beginnen muß, sich in Form zu bringen, kann auch jeder andere diesen Weg beschreiten und seine körperliche Verfassung systematisch verbessern. Wer dreimal die Woche am Training teilnimmt, könne binnen drei Monaten fit sein. Kommt man zweimal wöchentlich, dauert es sechs Monate, lautet die Faustformel.

Neben einer deutlichen Verbesserung der körperlichen Fitneß verspricht "Boxercise" auch einen kontrollierten Abbau von Aggressionen, der Stress reduziere und zu größerer Ausgeglichenheit führe. Eine direkte körperliche Auseinandersetzung sei dazu nicht erforderlich, da man Spannungen und Wut auch anders abarbeiten könne. Zugleich verbessere sich die Körperbeherrschung und das Selbstvertrauen steige.

Natürlich fallen den Teilnehmern diese vorteilhaften Folgen nicht in den Schoß. Vielfach werde die erforderliche Disziplin beim Boxtraining ebenso unterschätzt wie deren bemerkenswerte Rückwirkung auf das eigene Durchhaltevermögen nicht nur in der Trainingshalle, sondern zunehmend auch in anderen Lebensbereichen. Häufig ändere man im Zuge fortschreitender Fitneß die Gewohnheiten der Lebensführung, stelle die Ernährung um und finde Gefallen daran, sich regelmäßig körperlich zu betätigen.

"Float like a butterfly, sting like a bee?" Auch wenn man nicht so gut wie Muhammad Ali werde, gebe es doch schon bei den ersten Schritten sehr viel zu lernen und zu erfahren, das einem auch im Alltag nützlich sei, betont Clinton McKenzie. Er verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf seine Erfahrungen mit Kindern, die aus welchen Gründen auch immer Außenseiter zu werden drohten. Seine Form des Boxtrainings stärke ihre eigene Wertschätzung und vermittle ihnen zugleich Achtung vor anderen Menschen. Physische Fähigkeiten und die Selbstbehauptung im sozialen Umgang seien eng miteinander verwoben.

"Boxercise" ist in Großbritannien bereits seit Anfang der neunziger Jahre bekannt und eines unter mehreren durchaus vergleichbaren Angeboten, die inzwischen zu tausenden im Vereinigten Königreich angeboten werden. "Boxercise", "Body Combat", "Boxfit", "Boxing Fitness" und wie sie alle heißen, haben eines gemeinsam: Sie sind im Trainingsplan dem Boxsport entlehnt, schließen aber die direkte körperliche Auseinandersetzung aus.

Der Unterricht sollte von geschulten Fitneß- oder Aerobictrainern geleitet werden, ist in der Regel von Musik begleitet und heutzutage in zahlreichen Freizeitzentren und Sportschulen anzutreffen, wo er freilich in Konkurrenz zu diversen anderen Angeboten steht. Inzwischen haben auch etliche klassische Boxschulen dieses Zusatzgeschäft entdeckt und bieten Unterricht durch professionelle Boxer und Trainer an, der nicht zuletzt auch der eigenen Nachwuchsarbeit dient. Wer sich für diesen Zweig entscheidet, schnuppert gewissermaßen an der authentischen Atmosphäre, ohne gleich eins auf die Nase zu bekommen.

Natürlich wartet auf Interessierte eine Flut von Büchern, Broschüren, Magazinen und DVDs mit zahllosen Lernprogrammen und Informationen, die vom klassischen Boxtraining bis hin zu allen erdenklichen Kombinationen von Kampfkünsten mit Tanz und Gymnastik reichen - manche ernsthaft, andere amüsant und wieder andere ausgesprochen albern, wobei es sicher auf das Interesse des Betrachters ankommt, was einem zusagt und was man verwirft.

Wem das denn doch zu unseriös vorkommt, der sei auf sportwissenschaftliche Studien verwiesen, die zumindest dem traditionellen Boxtraining eine Reihe positiver Auswirkungen auf die körperliche und psychische Verfassung attestieren. Genannt werden unter anderem eine größere Entscheidungsfreudigkeit, eine bessere Auge-Hand-Koordination, eine symmetrische Vermeidung und Milderung von Haltungsschäden, günstigere Herz- und Lungenwerte wie auch eine insgesamt wachsende Kondition. Ferner eine muskuläre Stärkung der mittleren Körperpartien, schnellere Reflexe und eine agilere Bewegungsweise.

Das spielt sich natürlich alles im Rahmen konventioneller medizinischer und sportwissenschaftlicher Theoriebildung und Praxis ab, die man sich besser mit der gebotenen kritischen Skepsis zu Gemüte führt. Auf keinen Fall sollte man aber so weit gehen wie einige Protagonisten der britischen Freizeitboxwelle, die sich im Zuge ihrer Werbung zu der Behauptung versteigen, wir lebten in einer besseren Welt, wenn alle boxen würden.

17. Mai 2007