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SPLITTER/369: "White Collar Boxing" - Heldenspiele mit Ambiente (SB)


Tagsüber im Büro, abends im Boxring

Wann und wo es angefangen hat, vermag niemand zu sagen. Überliefert ist jedenfalls, daß im ältesten Boxklub der USA, dem Gleason's Gym in Brooklyn, 1988 erstmals ein Doktor der englischen Literatur und ein Anwalt aus freien Stücken in den Ring gestiegen sind, um sich im Faustkampf zu messen. Damals galt das Duell boxerischer Laien aus akademischen Kreisen als äußerst ungewöhnlich, und kaum jemand dürfte geahnt haben, daß dieses Beispiel eines Tages Schule machen und so etwas wie eine Modeerscheinung werden könnte.

Wenngleich es schon seit Jahren vereinzelt Manager gab, die aus Gründen der Fitneß einem Kampfsport frönten, wurden sie doch in den Führungsetagen als Exoten angesehen, sofern sie nicht ohnehin vorsichtshalber mit ihrem Hobby hinter dem Berg hielten. Das hat sich gründlich geändert. Nach wie vor weit davon entfernt, so etwas wie ein Massensport zu werden, wagen sich inzwischen doch diverse "White Collar Worker" zwischen die Seile, um Seiten an sich zu entdecken, die man angesichts ihres Berufs am allerwenigsten erwartet hätte. Schläge auszuteilen und einzustecken, gilt heute in gewissen Kreisen als chic.

"White Collar Boxing" ist darauf angelegt, niemanden ernsthaft zu verletzen, da schließlich alle am nächsten Tag wieder ins Büro gehen wollen. Kleine Blessuren, die man stolz zur Schau trägt, sind hingegen durchaus erwünscht: Auch wenn es nicht viele zugeben wollen, geht es doch nicht zuletzt darum, den staunenden Kollegen am Arbeitsplatz etwas beweisen zu können. Gefragt ist indessen vor allem ein intensives Gefühl und eine aufgeheizte Atmosphäre, wie man sie in dieser Art im beruflichen und privaten Alltag nirgendwo findet.

Festgeschriebene Regeln wie im regulären Boxsport gibt es zwar nicht, wohl aber Vereinbarungen und Gepflogenheiten, die sich an unterschiedlichen Schauplätzen kaum voneinander unterschieden. Die Kämpfe gehen für gewöhnlich über drei Runden, und die Teilnehmer tragen gut gepolsterte Handschuhe wie auch einen Kopfschutz. Mancherorts pflegt man mit gezieltem Understatement nicht einmal einen offiziellen Sieger zu verkünden, da die Teilnahme als solche gewissermaßen als Ehrensache gilt und niemand vorhat, eine sportliche Karriere darauf zu gründen. Dennoch weiß man natürlich in den meisten Fällen, wer den Kampf "gewonnen" hat, wobei jedoch in der Regel nicht nur der überlegene Akteur erhobenen Hauptes und mit vor Stolz geschwellter Brust die Walstatt verläßt.

Unverzichtbar ist ein spezifisches Ambiente, denn neben den beiden Akteuren, die im grellen Scheinwerferlicht schwitzen, wollen die Zuschauer in teuren Anzügen bei Champagner und Zigarren aus vollen Zügen genießen, was sie vom Pöbel unterscheidet. Für musikalische Unterhaltung ist gesorgt, wobei es natürlich nicht irgend eine Kapelle, sondern wenn möglich eine exquisite Darbietung sein sollte.

So prügeln sich in einer New Yorker Kirche regelmäßig Manager bei den "Friday Night Fights". In Hamburg kämpfen Führungskräfte aus der Medien- und Marketingbranche in einem Klub neben der Reeperbahn. Als Vorbild gelten indessen die Veranstaltungen im Londoner Faustkampfklub "City Boxers", die 1990 mit zwölf Leuten begannen und inzwischen mehr als 350 Mitglieder allein aus der Finanzbranche zählen. Geboxt wird vorzugsweise in vornehmer Umgebung, wie etwa dem Hilton Hotel an der Park Lane oder im Nachtklub SE1, wo man zum "Boxing on the Dancefloor" zusammenkommt. Dort steigen Banker und Juristen, Manager und Journalisten unter blutrünstigen Kampfnamen in den Ring, um wie große Kinder Boxer zu spielen, sich als Helden zu fühlen und gelegentlich sogar für einen guten Zweck aufeinander einzuschlagen. Schließlich sind die Brieftaschen dick genug, um dann und wann ein paar Tausender springen zu lassen, für die man des erhebende Gefühl eigener Wohltätigkeit kaufen kann.

10. August 2007