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SPLITTER/386: Dokumentation "Tyson" feiert Premiere in Cannes (SB)



Neue Berater des Ex-Champions arbeiten an einem geläuterten Image

Beim Festival in Cannes feiert die Dokumentation "Tyson" Premiere, in der Regisseur James Toback Interviews mit dem ehemaligen Schwergewichtsweltmeister, die dieser im vergangenen Jahr in der Rehabilitation gegeben hat, mit Ausschnitten aus früheren Kämpfen verknüpft. Wenn der Film voraussichtlich im Herbst in die Kinos kommt, wird er nach Auffassung Tobacks der Öffentlichkeit ein sympathischeres Bild des ehemaligen Boxers vermitteln, das bislang vor allem von seinen Ausfällen und Straftaten geprägt war.

Der Regisseur hatte Tyson bereits 1985 mehr oder minder zufällig am Rande von Dreharbeiten kennengelernt und damals ein anregendes Gespräch mit ihm geführt. Später verschaffte er ihm kleine Rollen in zwei seiner Filmen und vertiefte die Beziehung, die in der gemeinsamen Dokumentation ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

Deren Präsentation ist Teil der Strategie von Mike Tysons Beratern, diesen einem breiten Publikum neu vorzustellen und ihm den Weg zu einer Karriere nach dem Boxen zu ebnen. Erst in den Anfängen befinden sich die Memoiren Tysons, bei denen er mit dem Autor Larry Sloman zusammenarbeitet, der bereits als Ghostwriter die Autobiographien einiger Persönlichkeiten aus dem Showgeschäft verfaßt hat.

Promoter Don King, der Millionen Dollar mit Tyson verdient hat, ist Vergangenheit. Zu dessen wichtigsten Beratern gehören heute der 40 Jahre alte Harlan Werner, der viele Jahre mit Muhammad Ali in Fragen der Lizenzierung und Vermarktung zusammengearbeitet hat, sowie Damon Bingham, der Sohn des Fotografen Howard Bingham, der zu Alis besten Freunden zählt. Beide gehören zu den Produzenten der Dokumentation, auf deren Erstellung sie großen Einfluß hatten.

Werner und Bingham haben sich darangemacht, mit der Vergangenheit aufzuräumen. Sie setzten Anwälte darauf an, den Verkauf nicht lenzenzierter Produkte im Internet zu unterbinden und verhandeln nach wie vor mit der Steuerbehörde über die Modalitäten einer Abzahlung der Schulden in Millionenhöhe. Tyson hatte sich 2003 für bankrott erklärt und unterliegt seither einem Schuldendienst. In Arbeit sind auch Verträge für einen Comic und Videospiele, wobei die Berater bestrebt sind, sich nicht mit kleinen Fischen abzugeben. Leicht sei das freilich nicht, da es Tyson widerstrebt, sich komplett vermarkten zu lassen, und sein schlechter Ruf die meisten potentiellen Geschäftspartner abschreckt, räumen Werner und Bingham ein.

Früher hat Mike Tyson, der sich rühmte, der "böseste Mensch auf Erden" zu sein, hunderte Millionen Dollar damit verdient, im Ring furchterregend aufzutreten und darüber hinaus für reichlich Skandale zu sorgen. Wie sich einmal mehr bewahrheitete, ist das Publikum von bösen Boxern weit mehr fasziniert als von den Guten, wobei es Tysons Schicksal war, von der ihm zugedachten Funktion weitgehend bestimmt zu werden. Er hatte die Dramen nicht in der Hand, zu deren Hauptdarsteller ihn meist fremde Kräfte machten, die von seinem Ruhm und insbesondere seinen Einkünften zehrten.

Der mittlerweile 41-Jährige hat seit einigen Monaten in einem Vorort von Las Vegas seine Zelte aufgeschlagen und eigenen Angaben zufolge seit über einem Jahr nicht mehr getrunken oder Drogen konsumiert. Wie er heute fast verwundert erklärt, hätte er nie erwartet, so lange zu leben. Die Konfrontation mit seiner Vergangenheit ist zweifellos schmerzhaft, was auch für die Dokumentation gilt. Vieles, was darin zur Sprache komme, sei ihm außerordentlich unangenehm und wäre wohl besser unter Verschluß geblieben, sagte Tyson. Da die Auseinandersetzung mit seinem früheren Leben jedoch Kernstück der aktuellen Vermarktungsstrategie ist, bleibt ihm diese neuerliche Entblößung nicht erspart.

Nichts, was Mike Tyson nach seinem Abschied aus dem Ring angefaßt hat, war geeignet, ihn der Ausweglosigkeit immenser Schulden und einer prekären Lebensführung zu entreißen. Noch ist ungewiß, ob es gelingt, sein Image zu läutern und ihn neu zu vermarkten. Auf jeden Fall bleibt zu hoffen, daß er endlich ein Umfeld gefunden hat, das nicht allein daran interessiert ist, ihn bis auf den letzten Rest auszupressen.

16. Mai 2008