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SPLITTER/391: Britische Olympiaboxer haben eine Mission (SB)


Phänomenaler Aufschwung wirft gesellschaftspolitische Dividende ab


Der anhaltende Höhenflug des Boxsports auf den britischen Inseln hat auch im Amateurbereich einen phänomenalen Aufschwung herbeigeführt. Die Olympischen Sommerspiele in Peking stehen vor der Tür, bei denen die Mannschaft Großbritanniens erstmals seit langer Zeit wieder mit einem vielversprechenden Aufgebot im Boxturnier vertreten ist. Unterdessen richtet sich der Blick längst darüber hinaus, da London Gastgeber der Olympiade 2012 ist und man sich auf dieses heimische Großereignis nach besten Kräften vorbereiten will.

Erfolg, der sich in Medaillen manifestiert, ist das höchste Ziel des Amateurboxens und zugleich seine größte Bedrohung. Die führenden Promoter stehen Gewehr bei Fuß, um die besten Amateure abzugreifen und ins Profilager zu locken. Will man das zumindest befristet verhindern, um Planungssicherheit für die Sommerspiele 2012 zu schaffen, reicht ein bloßer Appell natürlich nicht aus. Fast jeder Boxer träumt von einer Karriere, die sich in klingender Münze auszahlt, und selbst wenn die Ziele bescheidener angesiedelt sind, muß er doch von irgend etwas leben. Amateursport auf olympischem Niveau zu betreiben, ist neben einer normalen Berufstätigkeit heute so gut wie unmöglich. Ohne gezielte Förderung und insbesondere angemessene finanzielle Unterstützung läßt sich keine hochwertige Boxstaffel über mehrere Jahre hinweg aufbauen.

Beim Olympiaturnier in Peking gelten die Russen als Favoriten, gefolgt von den Kubanern, Chinesen, US-Amerikanern und Briten. Auch wenn es angesichts dieser starken Konkurrenz natürlich nicht alle britischen Boxer aufs Podium schaffen werden, hat man doch einen Rahmen geschaffen, um so viele wie möglich im Amateurlager zu halten. So wurden mit den führenden Promotern Absprachen getroffen, zumindest in den letzten beiden Jahren der Vorbereitung auf London 2012 nicht dazwischenzufunken und mit Profiverträgen zu winken.

Acht britische Boxer haben sich für die Teilnahme am olympischen Turnier in Peking qualifiziert. Wie der Superschwergewichtler David Price aus Liverpool unterstrich, wäre der überwiegende Teil dieser vielversprechenden Staffel längst ins Profilager abgewandert, hätte man nicht ein System finanzieller Unterstützung ins Leben gerufen. Jetzt könne man sich voll und ganz auf die Vorbereitung konzentrieren. Mit dem 19jährigen Fliegengewichtler Khalid "King Khal" Yafai und dem drei Jahre älteren "Buzzing" Brad Saunders im Halbweltergewicht haben schon vor der Reise nach China zwei talentierte Boxer dieser Mannschaft zugesagt, dem Amateurverband bis 2012 zur Verfügung zu stehen. Yafai ist der kleinste Boxer im Team und will unbedingt eine Medaille in Peking gewinnen, damit ihn sein jüngerer Bruder nicht überflügeln kann, der einen Platz im Aufgebot für 2012 anstrebt. Am liebsten wäre ihm dabei, in vier Jahren gemeinsam in London zu boxen. Das wünscht sich auch Brad Saunders, der ebenfalls einen jüngeren Bruder im Nachwuchskader hat.

Die größte Aufmerksamkeit haben jedoch zwei andere Olympiateilnehmer auf sich gezogen. Da ist zum einen Frankie "Fun Time" Gavin aus Birmingham, der im vergangenen Jahr in Chicago als erster Brite Amateurweltmeister wurde. Ihm an Beachtung ebenbürtig ist Billy Joe Saunders, der aus einer Zigeunerfamilie stammt, die seit Generationen im Boxring gestanden hat. Wie es heißt, habe sein Ururgroßvater noch mit bloßen Fäusten gekämpft und sich einen Namen als Berufsboxer gemacht.

Dabei gehören die Akteure dieser Staffel durchaus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten an. Tony "Jaffa" Jeffries beispielsweise, ein Halbschwergewichtler aus Sunderland, ist der Sohn eines Millionärs, der den Geschäftssinn seines Vaters geerbt zu haben scheint und recht erfolgreich einen mobilen Imbißstand vor dem Stadium of Light in seiner Heimatstadt betreibt. Der 23jährige beschreibt sich dennoch als ganz normalen Durchschnittstyp, der schon als Kind davon geträumt habe, eines Tages an der Olympiade teilzunehmen. Er könne es noch immer nicht fassen, daß ihn inzwischen die ganze Stadt zu kennen scheine. Daß der "Burger Van Man" auch sein Handwerk im Ring versteht, hat er als siebenfacher Landesmeister unter Beweis gestellt.

Sie alle werden von Cheftrainer Terry Edwards und dessen Team betreut, der sich einen wesentlichen Beitrag zu diesem beispiellosen Entwicklungssprung zugute halten kann. Von den dreizehn Goldmedaillen, die britische Boxer bei Olympischen Spielen erkämpft haben, wurden nur zwei in den letzten 52 Jahren gewonnen. Und vor vier Jahren in Athen leistete ein einziger Boxer dem einsamen Trainer Gesellschaft, nämlich Amir Khan, der allerdings aus dieser Sonderrolle Kapital schlug und mit einer Silbermedaille zum Liebling des heimischen Sportpublikums aufstieg. Der Sohn pakistanischer Einwanderer aus Nordengland gehört zu den maßgeblichen Aushängeschildern des aktuellen Boxbooms auf der Insel und macht längst im Profilager Karriere.

Bei den Sommerspielen im eigenen Land steht der britische Sport in der Pflicht, zur Ehre der Nation Edelmetall einzufahren. Disziplinen wie Boxen sind dafür in besonderem Maße geeignet, da in zahlreichen Gewichtsklassen gekämpft wird und jede gewonnene Medaille zählt. Gelingt es einem Land, in einer solchen Sparte womöglich sogar mehrfach Gold zu erringen, ist der ersehnte Aufstieg im Medaillenspiegel nicht mehr fern. Das antiquierte olympische Motto, wonach die Teilnahme wichtiger als der Sieg sei, hat für den britischen Boxverband unwiderruflich ausgedient. In Peking werde es keine Touristen in der Mannschaft geben, denn ein Phänomen wie "Eddie the Eagle" gehöre endgültig der Vergangenheit an. Dabei handelte es sich bekanntlich um einen englischen Skispringer, der so schlecht war, daß er Ende der achtziger Jahre als olympische Lachnummer große Popularität erlangte. Für liebenswerte Verlierer, die das unerbittliche Leistungsprinzip in persona ad absurdum führen, hat man jeden Sinn verloren, was in einem Land, das sich einst ein besonderes Maß an schrulliger Kauzigkeit und versponnenen Exzentrikern zugute hielt, schon etwas heißen will.

Die gesellschaftspolitische Dividende der britischen "Operation Olympia" nimmt Gestalt an. Waren die Amateurboxer mangels präsentabler Erfolge seit Jahren in der Versenkung verschwunden, ist es jetzt gelungen, den Werdegang dieser Mannschaft nun schon seit Monaten im Fokus der Medien zu halten. Allenthalben liest man in der britischen Presse Geschichten über Jugendliche aus ganz gewöhnlichen Familien der hart arbeitenden Bevölkerung, die das Beste aus ihren körperlichen Gaben machen. Eine verschworene Truppe hingebungsvoller Amateure hat sich auf den Weg gemacht, nicht etwa dem großen Geld nachzujagen, sondern traditionelle Werte wie Ehre und Dienst am Vaterland hochzuhalten. Das sind herzerwärmende Geschichten in einer Zeit, in der junge Briten vor allem damit Schlagzeilen machen, einander bei Messerstechereien abzuschlachten.

18. Juli 2008