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SPLITTER/399: Joe Calzaghe will zum Abschied Roy Jones vermöbeln (SB)



Kelly Pavlik drückt dem Waliser nicht ganz uneigennützig die Daumen

Auf einer seiner CDs feierte sich Roy Jones jr. als "Mr. Unstoppable, Mr. Undroppable, Mr. Invincible, Mr. Unbeatable, Mr. Unknockoutable." All diese Unüberwindlichkeit ist längst Vergangenheit, was jedoch nicht heißt, daß man den mittlerweile 39jährigen auf die leichte Schulter nehmen kann. Das gilt auch für Joe Calzaghe, gegen den er am 8. November im New Yorker Madison Square Garden zu einem weiteren spektakulären und zugleich lukrativen Duell zweier Stars des internationalen Boxgeschäfts antritt. Der Sender HBO vermarktet das Spektakel wie in den USA üblich im Bezahlfernsehen und rechnet optimistisch mit bis zu 750.000 Abonnenten.

Der Waliser, vordem WBO-Weltmeister und WBA-Superchampion im Supermittelgewicht, bestreitet die letzten Kämpfe seiner Karriere im Halbschwergewicht gegen namhafte Gegner in den USA. Dabei geht es einerseits um die Klärung der ewigen Frage, wer gegenwärtig der allerbeste Boxer in dieser hochkarätig besetzten Gewichtsregion sei, und andererseits natürlich um sehr viel Geld, wie es nur mit ausgewählten Duellen handverlesener Publikumsmagneten generiert werden kann.

Ursprünglich war der Kampf zwischen Roy Jones und Joe Calzaghe für den 20. September angesetzt, doch mußte der Waliser diesen Termin wegen einer Handverletzung absagen. Calzaghe, der in 45 Profikämpfen ungeschlagen ist und zuletzt mit Bernard Hopkins einen anderen US-Star knapp nach Punkten besiegt hat, bekommt es mit einem erfahrenen Gegner zu tun, der in vier Gewichtsklassen Weltmeister war und von seinen 56 Profikämpfen nur vier verloren hat.

Wie der 36jährige Waliser angekündigt hat, will er nach 15 Jahren im Profigeschäft mit dem Novemberkampf seine Laufbahn beenden. Der Rechtsausleger ist seit dem 11. Oktober 1997 Weltmeister im Supermittelgewicht und hält die Titel der Verbände WBC, WBA und WBO. Galt er nach dem Triumph über Hopkins im britisch-amerikanischen Prestigeduell zunächst als klarer Favorit gegen Roy Jones, der seine besten Tage hinter sich hat, so scheint zumindest in den USA die Stimmung langsam aber sicher umzuschlagen.

Daran nicht unbeteiligt ist Kelly Pavlik, der die Titel von WBC und WBO im Mittelgewicht hält, als weltbester Boxer dieser Gewichtsklasse gehandelt wird und - wie könnte es anders sein - einem spektakulären Duell mit Calzaghe nicht abgeneigt wäre. Sofern er selbst den Kampf gegen Bernard Hopkins am 18. Oktober gewinnt und sich der Waliser gegen Roy Jones im November durchsetzt, wäre der Weg frei für ein mögliches Duell zwischen Pavlik und Calzaghe im nächsten Jahr, das als die hochkarätigste Paarung eingestuft wird, die der professionelle Boxsport derzeit zu bieten hat. Und da der Waliser bei der Ankündigung seines Rücktritts die Hintertür offengelassen hat, einen weiteren Auftritt unter besonderen Umständen nicht völlig auszuschließen, bleibt diese Option durchaus eine realistische Möglichkeit.

Wenngleich Kelly Pavlik also großes Interesse daran hat, Joe Calzaghe im Madison Square Garden siegen zu sehen, ist er keineswegs davon überzeugt, daß das auch gelingen wird. Was die definitive Absage Calzaghes an einen Kampf gegen ihn betrifft, hat der 26jährige aus Youngstown, Ohio, seine eigene Meinung. Wie Pavlik jüngst in einem Interview erklärte, hoffe er auf einen Sieg des Walisers, da er gegen ihn antreten wolle. Zuerst müsse er wohl gegen dessen Vater kämpfen, der seiner Meinung nach die treibende Kraft hinter der Absage sei. Zudem würde es ihn gar nicht überraschen, wenn Roy Jones im November die Oberhand behielte. Könnte Joe Calzaghe größeren Angriffsdruck entfalten, würde Roy Jones aller Voraussicht nach untergehen wie schon gegen Glen Johnson und Antonio Tarver. Da der Waliser seiner Meinung nach aber nicht dazu in der Lage sei, wolle er nicht ausschließen, daß Roy Jones einen kampfentscheidenden Treffer landen könne.

Wie Pavlik zur Begründung seiner Einschätzung anführte, habe er bekanntlich im Juni Gary Lockett vermöbelt, der ebenfalls von Enzo Calzaghe trainiert wird. Diese Niederlage habe den älteren Calzaghe vermutlich dazu bewogen, seinen Sohn mit allen Mitteln von ihm fernzuhalten, da er andernfalls ein weiteres Debakel befürchte. Hinter allem stecke der Vater, der ständig das Reden übernehme und dabei nicht einmal einen linken Haken von einem Angelhaken unterscheiden könne.

Mit diesen provozierenden Worten spielt Kelly Pavlik darauf an, daß Enzo Calzaghe zeitlebens nie geboxt und ebensowenig eine reguläre Trainerausbildung durchlaufen hat. Der gebürtige Sarde war lange Jahre Musiker und Vagabund, bis er schließlich in Wales seßhaft wurde, eine Familie gründete und eine Boxschule aufmachte. Diese war allerdings so erfolgreich, daß das renommierte Fachmagazin "The Ring" Enzo Calzaghe zum weltbesten Trainer des Jahres 2007 kürte.

Wenn es nach Joe Calzaghe gegangen wäre, hätte er seinen Abschiedskampf im November am liebsten in Cardiff ausgetragen. Um im Millennium Stadium vor seinem Heimpublikum zu boxen, hätte er leichten Herzens auf den Auftritt im berühmten New Yorker Madison Square Garden verzichtet, sagte er dieser Tage im Interview mit einer britischen Boulevardzeitung. Leider habe man den Sender HBO nicht dazu bewegen können, den Kampf außerhalb der USA über die Bühne zu bringen. Obgleich in finanzieller Hinsicht auch Las Vegas interessant gewesen wäre, zog Calzaghe als zweite Wahl den Madison Square Garden vor: "New York ist viel näher als Las Vegas und außerdem können wir dort unsere ganzen Weihnachtseinkäufe machen, nachdem ich Roy Jones in den Hintern getreten habe."

Im Grunde genommen sind Kelly Pavlik und Joe Calzaghe einander sehr ähnlich: Beide ausgesprochen bodenständig, heimatverbunden und am besten im Kreis ihrer Familie aufgehoben, heben sie sich deutlich von dem prunksüchtigen Starkult des US-amerikanischen Boxgeschäfts ab. Keiner von beiden hat seine Heimatstadt länger verlassen, keiner im Laufe der Karriere einen namhafteren Trainer angeheuert. Sie haben sich entschiedener als die Mehrzahl ihrer Zunftkollegen der Maschinerie ferngehalten, die mit dem Versprechen auf Ruhm und Reichtum die Boxer auszupressen pflegt, um die Taschen anderer zu füllen.

4. September 2008